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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Eisenbahnpersonenbeförderung - Eisenbahnpolitik
Mit der wichtigste Teil der E. ist die Ermitte-
lung der Preise für die von den Eisenbahnen
geleisteten Transporte, also die Feststellung der
Tarife (s. Eisenbahntarife). Die Ware der Eisen-
bahnverwaltungen ist die Transportlcistung, dcr
Preis für diefe Leistung kann nicht unter die Selbst-
kosten fallen; soll bei dem Unternehmen etwas ver-
dient werden, so muh der Preis die Selbstkosten um
etwas übersteigen. Auf die Selbstkosten des Trans-
ports wirken aber wesentlich ein: die Verschieden-
artigkeit der zum Transport kommenden Gegen-
stände, die Verschiedenheit der Entfernungen, aus
welche die Gegenstände befördert werden, die Men-
gen, in welchen die Gegenstände zur Versendung
kommen, und noch viele andere weniger bedeu-
tende Umstände.
Eine unentbehrliche Hilfswissenschaft der E. ist
die Eisenbahnstatistit (s. d.), durch wclchc die Er-
scheinungen des Eisenbahnwesens, insbesondere des
Verkehrs, ermittelt und ziffernmäßig zur Darstel-
lung gebracht werden. Die statist. Aufnahmen bilden
die Hauptgrundlage für die Beurteilung des Ein-
flusses der Eifenbahnen auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung eines Landes; sie allein gewähren einen
zuverlässigen Anhalt bei Entscheidung der Frage, wie
der Privatwirtschaftsbetrieb der Eisenbahnen im In-
teresse der Gemeinwirtschaft einzurichten fei. Den
statist. Aufzeichnungen verdanken wir, um nur einige
Beispiele anzuführen, nachstehende interessante Zah-
lenangaben über die E n t w i cklu n g d er E i f e n b a h -
nen auf der Erde und ihre wirtfchaftlichen Leistungen.
1875 waren auf den 143187 km langen Eifenbahnen
Europas 42000 Lokomotiven, 90000 Personen- und
1 Mill. Güterwagen, auf den 296 000 km langen
Eisenbahnen der ganzen Erde 62000 Lokomotiven,
112000 Personen- und 1465 000 Güterwagen vor-
handen. Mit diesen Betriebsmitteln wurden damals
jährlich in Enropa 1140 Mill. Personen und 540
Mill. t Güter, auf der ganzen Erde aber 1550 Mill.
Personen und 800,5 Mill. t Güter befördert, sodaß
im Durchschnitt täglich mehr als 4 Mill. Personen
auf allen Schicnenstraßen der Erde verkehrten und
ungefähr 2,2 Mill. t Güter an ihren Bestimmungs-
ort gebracht wurden. Zehn Jahre später, 1885,
waren in Europa auf den 195 665 km langen Bah-
nen bereits über 56 550 Lokomotiven, 116500 Per-
sonen- und 1360000 Güterwagen, auf der ganzen
Erde aber bei einer Eisenbahnlänge von 486188 km
ungefähr 94000 Lokomotiven, 141600 Personen-
und 2436 000 Güterwagen im Betrieb. Hiermit
wurden gefahren in Europa: über 1500 Mill. Per-
sonen und 781 Mill. t Güter, auf der ganzen Erde:
über 2030 Mill. Personen und nahezu 1262 Mill. t
Güter. Am Schlüsse des I. 1888, als die Länge der
Eisenbahnen der Erde bereits auf 572 570 kin ge-
stiegen war, finden sich schon 105 000 Stück Loko-
motiven. Wird die Leistungsfähigkeit einer Loko-
motive durchschnittlich zu 300 Pferdestärken an-
genommen und erwogen, daß ein Pferd auf der
glatten ^chienenbahn etwa 7-10mal so viel Last
fortbewegen kann, als auf der befestigten Straße,
so ergiebt sich eine Gesamtkraft von etwa 250 Mill.
Pferdestärken, welche durch die Eifenbahnen und die
auf ihnen fahrenden Lokomotiven für die Gcmein-
wirtschaft dienstbar gemacht ist. In dcm im franz.
Ministerium der öffentlichen Arbeiten herausgege-
benen "^.Idum äs 8tg>ti8tiqno FVHpliitiue cl6 1888"
wird ein interessantes Beispiel aufgeführt, in
welchem Umfange durch die Eisenbahnen die Reise-
zeit abgekürzt und die Reisekosten vermindert worden
sind. Die Reise von Straßburg nach Paris dauerte
1650 218 Stunden
1782 108 "
1814 70 "
1834 47 "
1845 10 " 40 Minuten
1887 8 " 49 "
Die Beförderungskosten betrugen 1798(Diligence
II. Klasse" 73 Frs., 1887 (Eisenbahn II. Klasse)
44 Frs. Die wissenschaftliche Behandlung der Eisen-
bahnen in ihren wirtschaftlichen Beziehungen ist erst
in neuerer Zeit gepflegt und gefördert worden, ins-
besondere durch Sax, Cohn und Wagner.
Litteratur. Sax, Die Ökonomik der Eisenbah-
nen (Wien 1871); ders., Die Verkehrsmittel in Volks-
und Staatswirtschast, Bd. 2: Die Eisenbahnen
(ebd. 1879); ders., Das Transport- und Kommuni-
kationswesen (in Schönbergs "Handbuch der polit.
Ökonomie", 3. Aufl., Tüb. 1890; Bd. 1, in Verbin-
dung mit von Scheel: "Die Erwerbseinkünfte als
Art der Staatseinnahmen, insbesondere die Eisen-
bahnen"; Bd. 3, ebd. 1891); Schima, Studien und
Erfahrungen im Eisenbahnwesen, Teil 2: über die
Ausgaben des Eisenbahnbetriebes (Prag 1881);
Cohn, System der Nationalökonomie, Bd. 1 u. 2
(Stuttg. 1885 u. 1889); A. Wagner, Das Eisenbahn-
wesen als Glied des Verkehrswesens, insbesondere
der Staatsbahnen (in dessen "Finanzwissenschaft",
3. Aufl., Lpz. 1883); Lannhardt, Theorie der Tarif-
bildung der Eisenbahnen (Berl. 1890); Ulrich, Eisen-
bahntariswcsen (ebd. 1886; sranzösisch ergänzte Aus-
gabe, Par. und Verl. 1890); Neumann-Spallart,
Übersichten der Weltwirtschaft (Stuttg. 1881,1887;
Fortsetzung von Franz von Iuraschek, Verl. 1885
-89); Wilczek, Gedanken über die Sicherheit und
Ökonomie des Eisenbahnbetriebs (Wien 1893).
Gifenbahnperfonenbeförderung, inter -
nationale, s. Eiscnbahnrecht (S. 881 d).
Gisenbahnpolitik, der Inbegriff derjenigen
Grundfätze, nach denen feitens einer Staatsregie-
rung das Eisenbahnwesen behandelt wird; sie ist in
den verschiedenen Ländern sehr verschieden. In Be-
ziehung auf das Verhältnis des Besitzes und Be-
triebes der Eisenbahnen zum Staate treten die
nachstehenden Erscheinungsformen auf: 1) Privat-
eigentum und Privatbetrieb der Eifenbahnen,
2) Staatseigentum und Privatbetrieb der Eifen-
bahnen, 3) Privateigentum und Staatsbetrieb der
Eisenbahnen, 4) Staatseigentum und Staatsbetrieb
der Eisenbahnen. Bei den beiden ersten Formen ist
die Fürsorge des Staates für die Erreichung feiner
Zwecke eine mittelbare, indem die Aufsicht des
Staates über dic Privatthätigkeit die letztere regelt
und beschränkt. Die Aufsicht des Staates in dem
erstm Fall ist lediglich die auf Gesetz und Konzession
(s. Eisenbahn!onzession) beruhende, während sie in
dem zweiten Fall verstärkt wird durch die Vorbehalte
des Eigentümers. Bei den beiden letzten (dritten
und vierten) Gestaltungsformen ist die Fürsorge des
Staates eine unmittelbare, indem an die Stelle der
Privatthätigkeit die Thätigkeit des Staates tritt. Die
letztere ist in dem dritten Falle beschränkt durch die
Vorbehalte des Privateigentümers, in dem vierten
Fall dagegen unbeschränkt. In England und m den
Vereinigten Staaten von Amerika ist Bau und Be-
trieb ausschließlich der Privatthätigkeit überlassen,
in den meisten andern Ländern findet sich ein He-