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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Embryogenie; Embryologie

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Embryogenie - Embryologie

der Brust oder sind an die Brust und mit den Händen an das Gesicht gedrückt. Was die Bewegungen im und am E. betrifft, so ist das Herz der zuerst Bewegungen zeigende Teil, denn schon in der dritten Woche zeigt es sich als hüpfender Punkt (punctum saliens). Etwas später bildet sich das Nabelbläschen und vom dritten Monat an der Mutterkuchen-Blutkreislauf aus. Vom fünften Monat an sind am Bauche der Schwangern durch das ansgelegte Ohr die Herztöne des E. zu vernehmen, sowie auch die Bewegungen der von nun an ziemlich lebhaften Frucht (die sog. Kindesbewegungen) gefühlt und gesehen werden können. Schlingbewegungen kommen unzweifelhaft bei E. in den spätern Zeiten der Schwangerschaft vor, wie verschlucktes Fruchtwasser, Haare und Darmkot im Magen beweisen.

Das Leben der ungeborenen Frucht, das Fötalleben, unterscheidet sich sehr wesentlich von dem des geborenen Kindes. Die Atmung durch Luftwerkzeuge fehlt und der Fötus bezieht seinen Sauerstoffbedarf aus dem Blut der Mutter mittels der Gefäße des Mutterkuchens (Placentaratmung). Daher mangelt ihm auch der ganze sog. kleine Kreislauf, d. h. die Strömung des Blutes aus dem rechten Herzen in die Lungen und von da zurück ins linke Herz. Statt dessen geht bei ihm das Blut aus dem Mutterkuchen durch die Nabelvenen nach dem rechten Herzen, von da durch das runde Loch der Scheidewand des Herzens sowie durch einen die Lungen- und Körperarterie verbindenden Kanal, den Ductus arteriosus Botalli, sofort in die Körperarterie (Aorta) und endlich durch die Nabelarterien wieder zum Mutterkuchen (sog. Fötalkreislauf). Diese besondern Blutbahnen des Fötus schließen sich nach der Geburt von selbst, sobald die Atmung und dadurch der kleine Kreislauf in Gang gekommen sind. Ferner genießt der Fötus keine Nahrungsmittel durch den Mund; denn er nährt sich ebenfalls aus dem Mutterblute, indem innerhalb des Mutterkuchens zwischen kindlichem und mütterlichem Blut auch ein außerordentlich reger Stoffaustausch stattfindet. Der Fötus entleert bis zum Augenblick der Geburt keinen Kot; wiewohl die Bereitung eines eigentümlichen Kots, des sog. Kindspechs (Meconium), das hauptsächlich aus Schleim, Darmepithelien, Galle und verschluckten Wollhaaren besteht, bei ihm schon früher beginnt. Seine äußere Haut, der atmosphärischen Luft entzogen und in einer milden, eiweißhaltigen Flüssigkeit, dem Fruchtwasser (s. d.), verweilend, hat den Charakter einer Schleimhaut. Seine Sinne scheinen zu schlummern; doch erregt Berührung, Kälte u. s. w. in den spätern Fruchtmonaten allerdings Zuckungen der Glieder, also Reflexbewegungen. Der Herzschlag des Fötus ist weit häufiger als der der Mutter und schwankt durchschnittlich zwischen 120 und 160 Schlägen in der Minute. Man unterscheidet ihn von der 18. oder 20. Woche an durch Auskultieren an der Bauchwand der Mutter oft ganz deutlich (Fötalpuls): das sicherste Kennzeichen, daß eine Frau mit einem lebenden Kind schwanger geht. Das ganze Fötalleben ist auf Neubildung und Wachstum des Organismus gerichtet und der Wechselwirkung mit der Außenwelt, dem unmittelbaren Stoffwechsel mit ihr, der Empfindung und Bewegung, besonders der bewußten, entzogen. Mit dem Moment der Geburt, sobald der Fötus den ersten Atemzug thut, beginnt eine völlige Umgestaltung seiner Lebensthätigkeit; während bis dahin der mütterliche Organismus dem Fötus das gesamte Ernährungsmaterial fertig gebildet zuführte, beginnt mit der Geburt die selbständige Atmung und damit in innigstem Zusammenhang stehend der normale Lungenkreislauf, während gleichzeitig die Nabelgefäße, das runde Loch der Scheidewand des Herzens und der Ductus arteriosus Botallii sich schließen; bald darauf beginnt das neugeborene Kind sich selbst durch den Verdauungsprozeß die zugeführte Nahrung anzueignen und seine Eigenwärme angemessen nach der Temperatur der Außenwelt zu regulieren. - Vgl. Kölliter, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höhern Tiere (2. Aufl., Lpz. 1879); ders., Grundriß der Entwicklungsgeschichte (2. Aufl., ebd. 1884); His, Anatomie menschlicher E. (3 Bde., mit Atlas, ebd. 1880-85); Preyer, Specielle Physiologie des E. (ebd. 1884). (über die Erkrankungen des E. im Mutterleib s. Fötalkrankheiten.)

Rechtliches. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der vollendeten Geburt. So bestimmt auch der Deutsche Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs §. 1 zweiter Lesung. Das schließt nicht aus, daß der E. unter den Schutz des Strafgesetzes gestellt wird. (S. Abtreibung der Leibesfrucht.) Ist zur Zeit eines Erbfalles ein E. vorhanden, der Erbe werden würde, wenn er lebte, so wird ihm der Erwerb seiner Rechte bis zur Geburt offen gehalten. Kommt es zu keiner lebendigen Geburt, so wird es so angesehen, als ob gar keine Empfängnis stattgefunden hätte. Wird ein lebendiges Kind geboren, so wird der Erwerb auf die Zeit des Erbfalles zurückbezogen. Das ist im wesentlichen die praktische Bedeutung des Satzes: "Nasciturus pro jam nato habetur" (lat., "der künftige Sprößling wird als schon geboren angesehen"). Vgl. Preuß. Allg. Landr. I, 1, §. 12; Bayr. Landr. I,3, §. 2, Nr. 3; Sächs. Gesetzb. §. 32; Österr. Gesetzb. §. 32; Deutscher Entwurf §§. 1758, 1867, 1904, 2026. Derselbe Grundsatz wird in Bezug auf Alimentationsrechte angewendet (§. 723). Wo es sich um Familienschlüsse handelt, wird für ein noch nicht geborenes Kind ein Pfleger ernannt (Sächs. Gesetzb. §. 2535) oder bei Familienfideikommissen ein Pfleger, welcher die Interessen der Nachkommenschaft überhaupt vertritt (Preuß. Allg. Landr. II, 4, §. 95; Österr. Gesetzb. §. 630).

Der pflanzliche E. oder Keim ist derjenige Gewebekörper, welcher aus der Eizelle infolge der Befruchtung entsteht und die ersten Stadien des neuen Individuums darstellt. Die Ausbildung des E. erfolgt stets auf der Mutterpflanze, und die Trennung von letzterer findet erst dann statt, wenn der E. im stande ist zu einem selbständigen Pflanzenindividuum heranzuwachsen; dies ist aber nur der Fall, wenn er ein mehrzelliger Körper geworden ist und wenn in seinen Zellen oder in den ihn umhüllenden Gewebepartien genügend Reservestoffe zur Bildung neuer Zellen vorhanden sind. Demnach kann man bei Algen und Pilzen nicht von einem E. sprechen, da hier die befruchtete und zur Spore ausgewachsene Eizelle sich nach der Reise von der Mutterpflanze ablöst und zu einem neuen Individuum heranzuwachsen vermag. Nur die Moose, Gefäßkryptogamen und Phanerogamen haben E. Näheres über den Bau und die Entwicklungsgeschichte des E. s. Dikotyledonen, Gefäßkryptogamen, Gymnospermen, Monokotyledonen und Moose.

Embryogenie (grch.), Entstehung, Entwicklung des Embryos.

Embryologie (grch.), die Lehre und Kenntnis vom Embryo (s. d. und Entwicklungsgeschichte).