Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

109

Frankreich (Geschichte 1852-70)

Christenmord in Syrien (Juni bis Juli 1860) Veranlassung zu einer Expedition dahin. Nicht ohne Mühe erreichte Napoleon die Zustimmung Englands zu einem Protokoll, das die Großmächte zu Paris 3. Aug. unterzeichneten (definitive Konvention 5. Sept.), kraft dessen eine franz. Brigade von 7000 Mann zu Schiffe ging, die 16. Aug. in Beirut landete. Napoleon III. war offenbar bestrebt, diese Occupation von Syrien bis ins Ungewisse hinaus zu verlängern. Dagegen regte sich aber die Eifersucht Englands in so hohem Grade, daß die franz. Truppen im Juni 1861 wieder heimkehren mußten.

Den Ausbruch des großen Bürgerkrieges in den Vereinigten Staaten von Amerika benutzte Napoleon, um ungehindert auch auf dem amerik. Kontinent festen Fuß zu fassen. Die Republik Mexiko, die sich seit Jahren in einem Zustande der Anarchie befand, hatte wiederholt die Interessen und Rechte franz. Unterthanen willkürlich verletzt und zuletzt durch ein Ausnahmegesetz vom 17. Juli 1861 alle vertragsmäßigen Zahlungen auf zwei Jahre eingestellt. Sofort ergriff Napoleon diesen Vorwand, und es gelang ihm, England und Spanien zur Mitwirkung zu bewegen. Durch den Vertrag zu London 31. Okt. 1861 vereinigten sich die drei Mächte, die mexik. Küsten militärisch zu besetzen, bis die Republik ihren Verpflichtungen nachkommen werde. Napoleons Pläne gingen indes auf die Errichtung eines von F. abhängigen monarchischen Staates in Mexiko aus und brachten ihn bald mit seinen Verbündeten in Konflikt, die sich 9. April 1862 von dem Unternehmen lossagten.

Am 10. Juni 1863 hielt der franz. General Forev seinen Einzug in die Hauptstadt Mexiko, und 10. Juli beschloß eine Notablenversammlung daselbst, die Kaiserkrone von Mexiko dem Erzherzog Maximilian anzutragen. Dieser nahm die dargebotene Krone (10. April 1864) an und schloß gleichzeitig den Vertrag von Miramar mit Napoleon III. ab, wodurch F. eine Kriegsentschädigung von 270 Mill. Frs. zugesichert wurde und Napoleon sich verpflichtete, 25000 Mann in Mexiko so lange zu lassen, bis Maximilian aus Fremden und Einheimischen eine Armee zu organisieren vermöge. Die Occupationstruppen sollten vom 1. Juli 1864 an aus der mexik. Staatskasse unterhalten werden. So ward eine Art von Vasallenstaat in Mexiko begründet, dessen Existenz nur von der Fortdauer des franz. Schutzes abhängig war. (S. Mexiko, Geschichte.)

Dieses Unternehmen, das später kläglich scheitern sollte, hatte von Anfang an nur Abneigung im franz. Volke gefunden. Man sah seinen Zweck nicht ein, auch dann nicht, als Napoleon hinterher von amerik. Gleichgewicht und Unterstützung der lat. Rasse sprach. Die immer steigenden Ausgaben erzeugten Verstimmung, die sich endlich auch in der Kammer zu äußern begann. Napoleon hatte sich, angesichts der ungünstiger gewordenen Lage nach außen, 1860 zu Zugeständnissen im Innern bewogen gefühlt. So gestand ein 24. Nov. erlassenes kaiserl. Dekret dem Senat und dem Gesetzgebenden Körper das Recht zu, auf die jährliche Thronrede durch eine Adresse zu antworten und bei der Adreßdebatte Aufklärung über die innere und äußere Politik zu fordern. Minister ohne Portefeuille (sog. Sprechminister) sollten neben den Staatsräten die Regierungsvorlagen verteidigen. Das Recht der Abgeordneten, Amendements zu stellen, ward erweitert und der ausführliche Abdruck der Verhandlungen gestattet. Die parlamentarische Debatte nahm demzufolge in der Session von 1861 einen Aufschwung und fand im Gesetzgebenden Körper ihre Vertreter an der demokratischen Opposition der Fünf (Jules Favre, Darimon, Picard, Hénon, Ollivier). Jetzt ward auch die finanzielle Seite der Regierungspolitik, welche die Staatsausgaben gewaltig gesteigert hatte, zum erstenmal einer ernstern Kritik unterzogen. Ein Senatskonsult vom 31. Dez. erweiterte die Kompetenz des Gesetzgebenden Körpers bei der Abstimmung über das Budget und stellte zugleich fest, daß die außerordentlichen und Supplementarkredite nicht mehr wie bisher bloß durch ein kaiserl. Dekret, sondern nur durch ein förmliches Gesetz bewilligt werden dürften. Auch die Presse erhielt eine kleine Erleichterung durch das Gesetz vom 2. Juli 1861. Unmittelbar nach dem Schluß der Session (7. Mai 1863) wurden die Neuwahlen zur dritten Legislaturperiode ausgeschrieben, wobei 36 Oppositionsmänner in die Kammer gelangten, darunter Thiers. Unmittelbar nach den Wahlen erhielt Persigny den Abschied; zugleich wurde das ganze Ministerium umgestaltet, die Minister ohne Portefeuille wurden abgeschafft und deren Funktionen dem Staatsministerium übertragen (23. Juni 1863).

Im Winter 1862-63 zog der Aufstand der Polen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, und auch die alten franz. Sympathien wurden wieder laut, sodaß Napoleon Veranlassung zu einer diplomat. Einmischung nahm, die jedoch von Rußland zurückgewiesen wurde. Auch der Plan eines allgemeinen Kongresses zur Regelung der poln. Frage scheiterte, und Rußland hatte freie Hand, Polen mit Härte zu unterjochen, was das Kaiserreich bei den liberalen Franzosen in Nachteil brachte. Zu derselben Zeit kam es zum Bruch zwischen Deutschland und Dänemark. Anfangs versuchte Napoleon III. zugleich mit England und Rußland zwischen König Christian IX. und den deutschen Mächten zu vermitteln. Aber die Aufforderung Englands, zu Gunsten Dänemarks eine kriegerische Demonstration am Rhein zu machen, lehnte er ab, da er den nationalen Wünschen Deutschlands und Schleswig-Holsteins nicht mit den Waffen entgegentreten könne.

Diese Vorgänge in der auswärtigen Politik fanden, neben den Übelständen im Innern, eingehende Kritik in der neuen Kammer, wo die geistig überlegene Opposition ihr Gewicht schon bei der Adreßdebatte von 1864 fühlbar machte und die Reden Thiers' in der Kammer und beim Publikum tiefen Eindruck hervorbrachten. Noch lebhafter war die Adreßdebatte von 1865; hier wurde selbst der Staatsstreich vom 2. Dez. auf das rücksichtsloseste zur Sprache gebracht, was zu den leidenschaftlichsten Auftritten führte. Unterdes machte Napoleon III. eine Reise nach Algerien (Mai bis Juni), wo er die langwierigen Konflikte zwischen der Militär- und Civilverwaltung persönlich beizulegen und die aufgeregte arab. Bevölkerung durch Proklamationen u. s. w. zu beruhigen suchte. Während seiner Abwesenheit führte die Kaiserin Eugenie die Regentschaft.

Gerade in diese Zeit der wachsenden Opposition fiel auch das definitive Scheitern des mexik. Abenteuers. Die Vereinigten Staaten hatten ihren Bürgerkrieg beendet und forderten den bedingungslosen Rückzug der Franzosen, wozu sich Napoleon endlich verstand. Das war eine entschiedene Niederlage, der die Hinrichtung des Kaisers Maximilian