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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Französisches Heerwesen
Zwei weite Lücken bestehen in der gesamten Linie,
und zwar die eine zwischen der belg. Grenze und
Verdun in einer Ausdehnung von etwa 30 km,
und die zweite zwischen Toul und Epinal von etwa
5><> km; bei beiden bietet die Natur starte Verteidi
qungsmittel, und im übrigen soll die Feldarmee an
stelle von Festungswerken einem feindlichen Einfall
durch die vordere Linie wehren, während Stütz-
punkte in zweiter Linie zu Hilfe kommen, dort Reims
mit Laon und La Fere, hier Langres und Dijon.
An der Schweizer Grenze liegen die Posi-
tionen von Morteau und Pontarlier sowie einige
Sperrforts zur Beherrschung von Bahnlinien und
Flußtbä'lern, so das Fort des Rousses und Fort
Risour sowie die Stellung von Morez. Als Stel-
lung in zweiter Linie hinter der Iuragrenze und ihr
als Reduit dienend, ist das befestigte Lager von
Besancon eingerichtet, ein doppelter Brückenkopf
für den Doubs.
Gegen Italien sichern in erster Linie Sperr-
forts, die die Flußthäler der Isere, Maurienne und
Durance beherrschen, in letzterm namentlich die Stel-
lung von Albertville; gegen die Pässe sind ebenfalls
Sperrbefestigungen errichtet, so an der Straße über
deu Mont-Cenis die noch in Vollendung begriffenen
Werte bei den Arponts und der Loza; die Mün-
dung des Alpentunnels wird durch die Werke von
Modane (Forts Sapey und Replaton) verteidigt.
Bei Cbamousset ist gegen die vereinigten Thäler
der Isere und der Arc eine große Sperrstellung ein-
gerichtet. Als Verteidigungsreduit für alle diese
Anlagen dient die Festung Grenoble (befestigtes
Lagerj, und weiter im Innern fpielt dann ^iyon für
den südöstl. Teil von Frankreich dieselbe Rolle wie
Paris für die Nordgegend.
Am Mittelmeer ist Nizza das Centralreduit eines
großen verschanzten Lagers. Hafenplätze von Be
deutung sind Antibes, Toulon, Marseille und Cette.
An der tunesischen Küste ist ein neuer starker Kriege"
Hafen entstanden, Biserta, der Hauptsache nach eine
ständige Bedrohung Italiens.
Gegen Spanien tragen die Befestigungen einen
veralteten Charakter; hervorzubeben sind von den
festen Punkten nur: Perpignan, Bayonne, Port-
vendres, Collioure und Mont-Louis.
Am Atlantischen Ocean sind die Hauptkriegsbäfen
Nochefort, La Rochelle, zwischen der ^oiremündung
und der der Gironde, mit dem neuen Hafen La Pal-
lice, Lorient und Brest; am Kanal Cherbourg, Dün-
Nrchen und Calais; an der Mündung der öeine ist
der Handelshafen Havre durch Batterien und von
der Landseite durch Forts geschützt.
Corsica bat nur wenige und zugleich ziemlich un-
bedeutende Befestigungen.
Französisches Heerwesen. I. Landheer. Nach-
dem durch das Rekrutierungsgesetz vom 27. Juli 1872
die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden ist,
hat die franz. Armee durch das im Jan. 1890 in
Kraft getretene Wehrgesetz vom 15. Juli 1889 eine
weitere, planmäßig betriebene, außerordentliche
Stärkung erfahren. Die wichtigsten Hinderungen
gegenüber dem Gesetz von 1872 sind folgende: 1) Her-
absetzung der aktiven Dienstzeit von 5) auf 3 Jahre.
2) Gänzliche Abschaffung aller bisherigen gesetz-
lichen Befreiungen vom Dienst und an deren Stelle
Einstellung zum Dienst auf 1 Jahr. 3) Beschrän-
kung des Vorrechts der bisherigen Einjährigen aus
die Besucher einiger höhern im Gesetz bezeichneten
Lehranstalten. 4) Ausdehnung der gesainten Dienst-
pflichtvon20auf25Jahre. 5)Einführung einerjähr-
lich zu entrichtenden Wehrsteuer für alle wegen Un-
tauglichkeit nicht Eingestellten und für die weniger
als 3 Jahre aktiv Dienenden. Die Dienstzeit dauert
3 Jahre in der aktiven Armee, 7 (früher 4) Jahre in
der Referve, 6 (früher 5) Jahre in der Territorial-
armee, 9 (früher 6) Jahre in der Reserve der letztern.
Durch Gesetz vom 19. Juli 1892 erfolgte eine Ände-
rung der Dienstzeit der Reserve derart, daß dieselbe
bei der aktiven Armee von 7 auf 10 Jahre erhöht,
bei der Territorialarmee von 9 auf 6 Jahr erniedrigt
wurde. Diese Verordnung trat Nov. 1892 in Kraft.
Die Zahl der jährlich Eingestellten beträgt minde-
stens 200 000 (ausschließlich Ossiziere, Unteroffiziere,
Kapitulanten, Freiwillige). Um die Armeefriedens-
stärke in Einklang mit den Geldmitteln zu bringen,
kann der Kriegsminister nach Ablauf eines oder (falls
sie nicht lesen und schreiben können) zweier Dienst-
jahre die bei der Aushebung mit der höchsten Loos-
nummer Bedachten entlassen. Hierdurch ist fak-
tisch die sog. zweite Portion beibehalten. Infolge
der rückwirkenden Kraft des Gesetzes auf alle
Wehrpflichtigen unter vollendetem 45. Lebensjahre
stehen fünf volle, bereits aus der Dienstpflicht ge-
schiedene Jahrgänge, zusammen 600000 gediente,
zum Teil ^eldzugssoldaten wieder zur Verfügung.
Auf Grund des neuen Wehrgefetzes würde sich bei
einem Jahreskontingent von 220000 Mann (ein-
schließlich 20000 Freiwillige) die Armee im Frie-
den unter Abrechnung der nach dem ersten oder
zweiten Dienstjahr zur Entlassung Kommenden aus
3 Jahresklassen von 220000, 150000 und 135000
Mann zusammensetzen. Unter Hinzurechnung des
cacii'6 z)6rm9.iit;nt (rengagierte Unteroffiziere, An-
geworbene der Koloniallruppen, aber ausfchliehlich
der Offiziere und der Gendarmerie) ergiebt sich eine
Stärke von 545000 Mann, nämlich eine um 42000
Mann höhere als die im Budget von 1890 vorge-
sehene. Zur Steigerung der budgetären Stärke bis
auf diefe Höhe aber wird vermutlich die auf 30 Mill.
geschätzte Wehrsteuer Verwertung finden. Den man-
cherlei Härten des GefetzeS: Ausdehnung der Dienst-
verpflichtung bis zum 46. Jahre, überhaupt strenge
Strafbestimmungen bei Entziehung von der Wehr-
Pflicht und Beurlaubtentontrolle stehen als Vorteile
gegenüber die bedeutend gesteigerte Zahl militäriscb
geschulter Leute der jüngern Jahresklassen und
die Möglichkeit, die Friedensstärke der Compagnie
u. s. w. entsprechend zu erhöhen. Als ein ganz beson-
derer Vorteil des neuen Gesetzes aber ist die bessere
Vorbildung der Reserveofsiziere,die nunmehrinüber-
wiegender Zahl aus 3 Jahr Gedienten hervorgehen
werden, zu betrachten. Außerdem sind in dem Ren-
gagementsgesetze vom 18. März 1889 den Unteroffi-
zieren derartige materielle Vorteile zugesichert, daß
sie wohl geeignet erscheinen, der Armee in Zukunft
einen Stamm von ältern Unteroffizieren zu sichern.
Die Territorialarmee, der deutschen Land-
wehr zu vergleichen, wird durch die in der Region
wohnhaften Wehrpflichtigen gebildet, welche nicht
der aktiven Armee und deren Referve angehören; die
Reserve der Territorialarmee wird nur einberufen,
wenn die vorhandenen Streitkräfte nicht genügen.
Die Grundlage für die gegenwärtige Heeres-
organisation bildet das die Zusammensetzung der
Cadres und Effektivstärken der aktiven und Terri-
torialarmee regelnde Gesetz vom 13. März 1875,
obwohl es mehrfache Abänderungen erfahren hat.
Durch das Gesetz vom 24. Juli 1883 erhielt die AM'