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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Freihändler; Freihart; Freiheit

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Freihändler - Freiheit

vorgegangen sein mag. Namentlich war es ein taktischer Fehler, daß die 1873 unter außergewöhnlichen Verhältnissen beschlossene Aufhebung der Eisenzölle 1877 unter ganz veränderten Umständen vollständig durchgeführt wurde. Es trug dies nicht wenig dazu bei, die bereits vorhandenen protektionistischen Bestrebungen zu voller Energie zu erwecken. Ohnehin war man in weiten Kreisen angesichts der seit 1874 dauernden Geschäftsstockung geneigt, jedes Mittel zur Abhilfe zu versuchen, und da der Freihandel den gehofften Aufschwung nicht gebracht, so sahen viele in ihm jetzt die Wurzel alles Übels und namentlich auch die Ursache des Gründerschwindels und der darauf hereingebrochenen Krisis. Es trat nunmehr eine innere Zersetzung der F. ein, die früher nicht nur fast alle politisch fortschrittlichen und liberalen Elemente, sondern auch die meisten konservativen Landwirte umfaßte. Die letztern gingen jetzt, erschreckt durch die zunehmende nordamerik. Konkurrenz, zu den protektionistischen Agrariern (s. d.) über; in der Nationalliberalen Partei traten Spaltungen ein, und das Centrum zeigte sich den Schutzzöllen geneigt. So trat, nachdem der deutsche Tarif 1873 fast auf den Standpunkt des englischen gebracht worden war, ein rascher Umschwung ein, der in dem Tarif vom 15. Juli 1879 seinen Ausdruck gefunden hat und dessen Sätze, namentlich für landwirtschaftliche Erzeugnisse, späterhin durch den Generaltarif vom 22. Mai 1885 und die Gesetze vom 24. Juni und 21. Dez. 1887 noch weiter erhöht wurden. Ohne die energische Initiative des Fürsten Bismarck wäre diese Wendung allerdings wohl nicht so leicht zu stande gekommen; aber es ist doch nicht zu verkennen, daß mächtige und weitverbreitete und eben deswegen beachtenswerte Interessenströmungen der verschiedensten Art in diesem Sinne zusammengewirkt haben. In der akademischen Wissenschaft, in der übrigens die absolute Freihandelstheorie niemals zu voller Herrschaft gelangt war, hat die socialpolit. («kathedersocialistische») Richtung, die namentlich durch den «Verein für Socialpolitik» vertreten wird, immer mehr Boden gefunden und der alten F. Eintrag gethan. (S. Kathedersocialismus.) Eine Wendung zur gemäßigtern Richtung der Schutzpolitik endlich ist nach dem Rücktritt Bismarcks von Caprivi mit dem Abschluß der Handelsverträge auf die Dauer von zwölf Jahren zwischen dem Deutschen Reiche einerseits und Österreich-Ungarn, Italien, Belgien, der Schweiz und Rußland andererseits seit 1892 gemacht worden. Die Regierung hat sich dabei gegen den Vorwurf des «Manchestertums» energisch verwahrt und für die Umkehr lediglich Zweckmäßigkeitsgründe angegeben. Es ist ganz natürlich, daß sich die F. nichtsdestoweniger einen Teil dieses Sieges zu gute schreibt und auch nicht unwahrscheinlich, daß sich jetzt ihr unter der Herrschaft des autonomen Zolltarifs gesunkenes Ansehen wieder mehr befestigt.

Auch andere Länder sind, gedrängt oder veranlaßt durch das Beispiel Deutschlands und Frankreichs, im letzten Jahrzehnt zu Verschärfungen des Zollschutzes übergegangen. So namentlich Österreich-Ungarn durch Gesetz vom 25. Mai 1882 und 21. Mai 1887 und Italien durch Gesetz vom 9. Aug. 1883 und 14. Juli 1887. Fast alle Zolltarife der europ. Länder mit Ausnahme von England, Holland und Norwegen haben Zollerhöhungen erfahren. Durch die erwähnten neuen Tarifverträge und infolge derselben haben aber bereits wieder Ermäßigungen der Zollsätze im Verkehr verschiedener Staaten stattgefunden, und es ist nicht unmöglich, daß diese Verträge den Ausgangspunkt einer mitteleurop. Zolleinigung bilden werden, welche von verschiedenen Theoretikern der Volkswirtschaft als Gegengewicht des russ. und amerik. Abschließungssystems schon längere Zeit empfohlen wird.

Eine polit. Parteifrage ersten Ranges bildete der Gegensatz von Freihandel und Schutzzoll schon lange in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Tarifbildung derselben begann mit sehr mäßigen Zöllen von hauptsächlich finanziellem Charakter. Seit 1812 trat die schutzzöllnerische Richtung stärker hervor, und dieselbe erhielt durch den Tarif von 1816 entschieden das Übergewicht. Von nun an war die Zollfrage einer der Hauptstreitpunkte zwischen dem Norden und Süden, indem der letztere, welcher ausschließlich Rohstoffe (Baumwolle, Tabak, Reis u. s. w.) produzierte, den industriellen Schutzzöllen, die der erstere verlangte, abgeneigt war. Schon der Tarif von 1828 führte zu Anfang der dreißiger Jahre zu secessionistischen Regungen. Mit dem Tarif von 1846 schien die amerik. Union endgültig in die Bahn des gemäßigten Freihandels einzulenken, und auch der Tarif von 1857 blieb in dieser Richtung. Der Bürgerkrieg aber brachte einen vollständigen Umschwung. 1861‒67 wurden alle Zölle bedeutend erhöht, zunächst im finanziellen Interesse, aber zugleich auch unter der unzweideutigen Herrschaft der Schutzzollpartei. Seitdem hat der amerik. Tarif trotz mancher Abänderungen den Charakter eines hochprotektionistischen behalten und durch die MacKinley-Bill (s. d.) vom 6. Okt. 1890 die stärkste Verschärfung erfahren. Die Monroe-Doktrin findet ihren Ausdruck sowohl in diesem Tarif, als in dem Streben der Regierung der Vereinigten Staaten, einen amerik. Zollbund zu stande zu bringen. Die erste Frucht dieses Strebens ist der unterm 1. April 1891 ins Leben getretene Zollvertrag mit Brasilien, welchem zunächst Zollabkommen mit den centralamerik. Staaten folgen sollen. Die durch Clevelands Wahl zum Präsidenten 1892 begründete Hoffnung, daß auch Nordamerika wieder in gemäßigtere Bahnen einlenken würde, hat sich bisher wenig verwirklicht. (S. Schutzzollsystem.)

Vgl. Levi, History of British commerce (2. Aufl., Lond. 1880); Amé, Étude sur les tarifs des douanes (2 Bde., Par. 1876); Krökel, Das preuß.-deutsche Zolltarifsystem (Jena 1881); Hall, A history of the custom revenue in England (1887); Taussig, The Tariff history of the United States (Neuyork 1888); Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 49, 50, 51 u. 57: Die Handelspolitik der wichtigern Kulturstaaten in den letzten Jahrzehnten (Lpz. 1892 u. 1893); A. von Matlekovits, Die Zollpolitik der österr.-ungar. Monarchie und des Deutschen Reichs (ebd. 1891) – Der individualistische Standpunkt der F. in Deutschland wird zur Zeit noch vertreten von der «Vierteljahresschrift für Volkswirtschaft, Politik und Kulturgeschichte», von Julius Faucher 1863 begründet (Herausgeber Karl Braun), ferner in den «Volkswirtschaftlichen Zeitfragen», welche von der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft und der ständigen Deputation des Kongresses deutscher Volkswirte in Berlin seit 1879 herausgegeben werden.

Freihändler, s. Freihandel.

Freihart, Name für herumziehende Spaßmacher in der Zeit vom 14. bis 16. Jahrh.

Freiheit, in allgemeinster Bedeutung soviel wie Selbständigkeit,Unabhängigkeit von äußerm Zwang.