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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gebärmutterkrankheiten

Katarrh kann auch vorübergehendes Fieber vorhanden sein. Bei vollkommener Ruhe und Schonung, lauen Bädern oder lauen Einspritzungen von Milch oder Leinsamenthee, warmen Umschlagen oder feuchten Einpackungen auf den Unterleib kann der Katarrh nach 8-14 Tagen in Genesung übergehen, während bei Vernachlässigung sich leicht die chronische Form aus ihm entwickelt, die unter dem Namen des Weißen Flusses oder der Leukorrhöe (fluor albus) bekannt ist. Hier ist der Schleim- und Eiterabgang gewöhnlich sehr reichlich und hartnäckig und nicht selten tritt nach längerm Bestehen der Krankheit Abmagerung, Blutarmut, trübe und melancholische Gemütsstimmung oder Hysterie ein, die solchen Kranken und ihrer Umgebung das Leben sehr verbittert. Beim chronischen Gebärmutterkatarrh kann nur von einer konsequenten und verständigen örtlichen Behandlung, die natürlich ausschließlich Sache des Arztes ist, und oft nur von der allmählichen Kräftigung der gesamten Konstitution der Kranken durch kräftigende animalische Kost, gute reine Gebirgsluft, Sol- oder Seebäder und den innerlichen Gebrauch des Eisens Heilung erwartet werden. Bei der Gebärmutterentzündung im engern Sinne (Metritis parenchymatosa) ist nicht bloß die Schleimhaut, sondern das ganze Organ entzündet, geschwollen und ungemein blutreich und schmerzhaft. Die Krankheit geht entweder in Genesung über, indem der Fruchthalter zu seiner normalen Größe und Beschaffenheit zurückkehrt, oder sie führt zu einer bleibenden Bindegewebsvermehrung und die Gebärmutter bleibt dauernd vergrößert und verhärtet, oder endlich es kommt zur Bildung von Abscessen, die nach den benachbarten Organen oder in die Bauchhöhle durchbrechen und Bauchfellentzündung oder langwierige Eiterung zur Folge haben können. Die hauptsächlichsten Symptome sind hohes Fieber, meist mit Schüttelfrösten und heftigen Schmerzen in der Tiefe des Beckens, die nach den verschiedensten Richtungen ausstrahlen und durch Druck auf den Leib erheblich gesteigert werden; häufig sind damit Übelkeit und Erbrechen, Harndrang und Blutabgang vorhanden. Die Krankheit erfordert eine energische entzündungswidrige Behandlung; horizontale Lage im Bett, strengste Diät, Abführmittel und örtliche Blutentziehungen durch Skarifikationen oder durch Blutegel, die man am Scheidenteil der Gebärmutter ansetzt; im weitern Verlauf feuchtwarme Umschläge zur Beförderung der Aufsaugung.

Die chronische Gebärmutterentzündung, auch chronische Anschoppung oder Infarkt der Gebärmutter genannt, entsteht meist durch andauernden Blutandrang nach dem Gebärorgan (infolge unmäßigen Geschlechtsgenusses, falscher Lagerung der Gebärmutter, Klappenfehler am Herzen, Lungenemphysem u. dgl.) oder nach wiederholten Fehlgeburten sowie durch unzweckmäßiges Verhalten im Wochenbett und stellt sich als eine oft beträchtliche Vergrößerung und Verhärtung der ganzen Gebärmutter oder auch wohl nur des Scheidenteils derselben dar. Die Symptome, welche der chronische Infarkt verursacht, sind sehr verschieden; während er bisweilen ohne wesentliche örtliche und allgemeine Störungen verläuft, verursacht er in andern Fällen allerhand subjektive Beschwerden und mancherlei Störungen der Geschlechtsfunktionen (Kreuzschmerzen, Gefühl von Schwere und Druck im Becken, namentlich beim längern Gehen und anhaltendem Stehen, hartnäckige Stuhlverstopfung, Harndrang, Störungen der Menstruation, Magenbeschwerden u. dgl.); nicht selten stellen sich auch allgemeine Schwäche, Abmagerung, Nervosität und Hysterie ein. Der Verlauf der Krankheit ist immer ein sehr langwieriger; häufig wechseln Besserungen mit Verschlimmerungen ab. Die Behandlung besteht in zeitweiligen Blutentziehungen, milden Abführmitteln, warmen Sitz- und Vollbädern und der lauwarmen Gebärmutterdouche; eines besondern Rufs gegen dieses Übel erfreuen sich Badekuren in Marienbad, Kissingen, Homburg sowie bei gleichzeitiger Blutarmut der Gebrauch der Stahlquellen von Elster, Bocklet, Schwalbach, Pyrmont, Franzensbad u.a. Die Entzündung des Bauchfellüberzugs der Gebärmutter heißt Perimetritis, die des lockern Zellgewebes in der Umgebung der Gebärmutter Parametritis; beide kommen vorzugsweise im Wochenbett (s. d.) vor.

Unter den Lageveränderungen der Gebärmutter ist der Gebärmuttervorfall (prolapsus uteri) ein ebenso häufiges wie lästiges Übel; dasselbe besteht im Anfang nur in einem allmählichen Herabsinken der Gebärmutter in die Höhle der Mutterscheide (sog. Tiefstand oder Senkung der Gebärmutter, descensus uteri), während bei den höhern Graden des Vorfalls der Scheidenteil der Gebärmutter äußerlich zwischen den großen Schamlippen hervortritt oder gar die vorgefallene Gebärmutter samt der umgestülpten Scheide als bläulichrote, pralle, schmerzhafte Geschwulst außerhalb der Schamspalte gelegen ist. Ein solcher Gebärmuttervorfall entsteht infolge eintretender Erschlaffung der Gebärmutterbänder und der Mutterscheide entweder plötzlich, wenn frisch entbundene Frauen zu früh das Bett verlassen und sich wohl gar schwerer Arbeit unterziehen, oder allmählich, außerhalb des Wochenbettes, infolge anhaltender schwerer körperlicher Arbeit, Heben schwerer Lasten u. dgl. Der Gebärmuttervorfall ist ein außerordentlich lästiges und unangenehmes Übel, das die Kranken zu jeder angestrengten Thätigkeit unfähig macht und die mannigfachsten Beschwerden verursacht; infolge der beständigen Reibung, welche der bloßliegende Schleimhautüberzug des Vorfalls beim Gehen und Sitzen erfährt, sowie der andauernden Verunreinigung mit Harn und Kot bilden sich Geschwüre oder selbst brandige Abstoßungen an der Gebärmutter und an der Scheide und werden beständig entzündliche Reizungen hervorgerufen, die sich durch peinigende Schmerzen, Blutflüsse und übelriechende ätzende Schleimabgänge zu erkennen geben. Die Behandlung besteht darin, daß man die vorgefallene Gebärmutter in ihre normale Lage zurückbringt und in dieser durch gewisse mechan. Vorrichtungen, die sog. Mutterkränze oder Pessarien und die Mutterhalter oder Hysterophore, erhält; hochgradige Fälle werden am schnellsten und sichersten durch operative Eingriffe geheilt.

Bei den Neigungen oder Versionen der Gebärmutter ist die letztere als Ganzes entweder nach vorn (Anteversion) oder nach hinten (Retroversion) in verschieden hohem Grade umgelegt, ohne daß ihre Form dabei verändert ist, während bei den Knickungen oder Beugungen (Flexionen) der Gebärmutter diese in der Gegend des Halses eine Knickung derart erleidet, daß die Achse des Gebärmutterkörpers mit der des Cervikalkanals einen mehr oder minder spitzigen Winkel bildet; dabei