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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geometrie
Die G. der Römer, deren Sinn für dav prat-
tische Leben den Drang nach wissenschaftlicher Er-
kenntnis überwog, steht im Vergleich zur griechischen
O. auf einer niedrigen Stnfe. Sie beschränkte sich
auf praktische Feldmeßkunst.
Die Iuder besaßen eine eigenartige G. Sie
unterscheidet sich von der griechischen dadurch, daß
sie kein organischem Ganzes bildet. Es fehlen grund-
legende Definitionen und Axiome. Jeder Satz wird
für sich bewiesen und zwar durch die bloße augen-
fällige Anschauung, welche Methode das Vordringen
zu kompliziertem Sätzen unmöglich machte, weshalb
die indische G. stets eine Art Gefühlsgcometric
blieb. Interessant ist, daß die Inder den Pytha-
goreischen Lehrsatz selbständig fanden, was ihre
beiden eigenartigen und sehr einfachen Beweise
dieses Satzes zeigen. Die Hauptwerke sind die des
Aryabhatta, um 510 n. Chr. (Formeln über Inhalt
von Pyramide und Kugel), des Vrahmegupta, um
638 (Sätze über das Viereck sowie Anfänge der
Trigonometrie) und desBhaskaraAcharya, um 1160
(eine Art algebraische G.).
Im Gegensatz zu der selbständigen G. der Inder
ist die der Araber zunächst eine Übersetzung der
griechischen, indem der Chalif Al-Mamun, der von
813 bis 833 n.Chr. regierte, in einem Friedens-
vertrag von dem oströ'm. Kaiser MichaelII. die Aus-
lieferung einer großen Zahl griech. Schriften for-
derte, um sie ins Arabische überfetzen zu lassen. So
wurden von Achmed ibn Musa - ibn Schaker und
Thebit ibn Korah die Werke von Enklid, Apollonius
und Archimedes übersetzt; namentlich bildeten für
die Araber Euklids Elemente die Grundlage der G.
Vervollkommnet wurde von ihnen namentlich die
Trigonometrie (s. Arabische Sprache und Litteratur,
Bd.'i, S. 792d).
Im Abcndlande waren seit der Völkerwande-
rung bis zum 12. Jahrh, geometr. Kenntnisse so gnt
wie unbekannt. Ein Aufleben der Wissenschaft
beginnt 1120 mit Atelharts (engl. Mönch) Über-
setzung des Enklid aus dem Arabischen ins Latei-
nische. Um dieselbe Zeit übersetzte Plato von Tivoli
die Sphärik des Theodosius aus dem Arabischen,
1220 verfaßte Leonardo von Pifa seine "^i-Hotica
K60M6tricÄ", eine Art Kompendium der G. der Alten.
Im 14. Jahrh, schrieb Thomas von Bradwardin
(Erzbischof von Canterbury) eine "(^komoti-ili 8po
culativk". Purbach (1423-61) förderte die Trigo-
nometrie, die sein Schüler Regiomontanus vervoll-
kommnete. Seit diesem beginnt die G. sich auch
mit praktischen Dingen der Architektur und Malerei
zu beschäftigen, an welcher Richtung auch Albrecht
Dürer beteiligt war. Die G. des 16. Jahrh, ist
durch die numerische Behandlung geometr. Begriffe
gekennzeichnet, welchen Weg schon Lucas Paecioli
(1494) vorgezcichnet hatte. Zu nennen ist hier
besonders Maurolycus von Messina, der nament-
lich die Theorie der Tangenten und Asymptoten
förderte. Weitere Verdienste erwarben sich der Por-
tugiese Nonius, der Niederländer Ludolph van
Keulen (LudolphfcheZahl),fernerVieta und Pitiscns
auf dem Gebiete der sphärischen Trigonometrie.
Napier und Brigg förderten die Trigonometrie
durch Einführung der Logarithmen. Im 17. Jahrh,
beschäftigt man sich namentlich mit der schon von
Archimedes angebahnten Inhalt^berechnung von
Kurven und krummen Oberflächen, so .^lepler, (5a-
valeri (1598-1647) und der durch seine baryzen-
trische Regel bekannte Guldin.
, De^carte^ (1596-1650) gab der G. durch Er-
! findung der analytischen G. einen gewaltigen Auf-
z schwung, der von seinen Nachfolgern noch durch die
Anwendung der von Newton und Leibniz erfundenen
> höhern Analysis erhöht wurde. In dieser Richtung
arbeiteten Newton und Leibniz selbst und führten
die G. auf die moderne Bahn. Das Ende des 17.
^ und das 18. Jahrh, zeigten die weitere Durchbildung
der neuen Methoden in ihren wichtigsten Vertretern:
^ Jakob und Johann Vernoulli, Euler, Lambert,
Monge. Namentlich Monge (1746-1816) ver-
^ mehrte die Anwendungen der höhern Analysis auf
! die G., auch ist er der Schöpfer der darstellenden G.
Das 19. Jahrh, brachte sowohl in der reinen G.
als in der höhern analytischen G. neue großartige
Fortschritte. Poncelet (1788-1867) schuf die pro-
jettive G., die von Möbius, Plücker, Chasles,
Steiner und von Staudt nach verschiedenen Rich-
tungen hin ailsgebildet wurde. Andererseits eröffnete
Gauß (1777-1855) in der Theorie der Abwicklung
krummer Flächen eine äußerst fruchtbare Unter-
suchungsrichtung. Mit großem Eifer untersuchte
man auch die Grundlagen der G. (Lobatschewski,
Volyay, Niemann). Gegenwärtig hat die reine G.
nnr wenige Vertreter, die Analysis herrscht fast
vollständig und die G. wird mehr als Hilfsmittel
für die Analysis betrieben als um ihrer selbst willen.
Litteratur. Aus der sehr reichhaltigen geometr.
Litteratur seien hervorgehoben sür Elementar-
geometrie: Hcis und Eschweiler, Lehrbuch der G.
(3 Tle., in 7., 4. und 3. Ausl., Köln 1881-82,
1888): Valtzer, Elemente der Mathematik, 2. Teil
(6. Aufl., Lpz. 1883); Lübsen, Ausführliches Lehr-
buch der Elementargeometrie (27. Aufl., ebd. 1890).
Für Trigonometrie: Lübsen, Ausführliches
Lehrbuch der ebenen und sphärischen Trigonometrie
(15. Aufl., Lpz. 1890); .Meyer, Lehrbuch der ebenen
Trigonometrie (Stnttg. 1888); Spitz, Lehrbuch der
ebenen Trigonometrie (6. Aufl., Lpz. 1888); ders.,
Lehrbuch der sphärischen Trigonometrie (3. Aufl.,
ebd. 1886). Für analytische G.: Fort und
Schlömilch, Lehrbuch der analytischen G. (2 Tle.,
6.Aufl., Lpz. 1894fg.); Salmon, AnalytischeG.der
Kegelschnitte (2 Tle., 5. Aufl., ebd. 1887); ders.,
Analytische G. des Ranmes (2 Tle., 3. Aufl., ebd.
1880); ders., Analytische G. der böhern ebenen
Kurven (2. Aufl., ebd. 1882). Für neu er eG.: Erler,
Elemente der Kegelschnitte in synthetischer Behand-
lung (3. Aufl., Lpz. 1887); Clebsch, Vorlesungen
über G. (1. u. 2. Bd., ebd. 1875 - 91); Cremona,
Elemente der projektivischen G. (Stuttg. 1883);
Reye, D^e G. der Lage (3 Bde., 3. Aufl., Lpz. 1886
- 92); Steiner, Vorlesungen über synthetische G.
(1. Tl., 3. Aufl., ebd. 1887; 2. Tl., 2. Aufl., ebd. 1876);
Killing, Die nicht-euklidischen Raumformcn in ana-
lytischer Behandlung (ebd. 1885). übn darstel-
lende G. s. Projettion, über Geschichte der G.:
Cantor, Vorlesungen über Geschichte der')Nathematik
(1. Bd.: Von den ältesten Zeiten bis 1200 n. Chr.,
2. Aufl., Lpz. 1894; 2. Bd.: Von 1200 bis 1668,
ebd. 1892; 3. Bd.: Von 1668 bis 1759, ebd. 1894fg.);
.^ankel, Zur Geschichte der Mathematik im Altertum
und Mittelalter (ebd. 1874); Klimpert, Geschichte
der G. (Stuttg. 1888); Fel. Müller, Zeittafeln zur
Geschichte der Mathematik, Physik und Astronomie
bis Zum Jahre 1500 (Lpz. 18M-. BrelW^n,Die
G. und die Geometer vor Euklid (ebd. 1870). Zeu-
then, Die Lehre von den Kegelschnitten im Altertum
(Kopenh. 1886; deutsch von von Iischer-Benzon).