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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Gerichtliche Analyse; Gerichtliche Medizin

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Gerichtliche Analyse – Gerichtliche Medizin

Schöffengerichten sind der beamtete Richter und die Laien gemeinschaftlich zur Urteilsfindung berufen; bei den Schwurgerichten ist die richterliche Thätigkeit zwischen dem Gericht und den Geschworenen geteilt. (S. Handelsgericht, Schöffengericht, Schwurgericht.)

C. Die Funktion des Gerichts umfaßt, nach mittelalterlichem wie nach vormaligem gemeinem deutschen Recht, die Prozeßleitung, Entscheidung, Vollstreckung. Nach franz. Auffassung ist das Gericht ausschließlich urteilende Behörde. Eine mittlere Stellung nimmt der heutige deutsche Prozeß ein; der Prozeßbetrieb ist zum Teil Parteisache, die Zwangsvollstreckung im Civilprozeß zum Teil dem unabhängig vom Gericht im Parteiauftrag handelnden Gerichtsvollzieher zugewiesen; die Strafvollstreckung jedoch ist fast ausschließlich in die Hand der Staatsanwaltschaft gelegt (nur in schöffengerichtlichen Sachen kann die Landesjustizverwaltung sie den Amtsrichtern übertragen). Die wesentliche Funktion des Gerichts, d. h. diejenige, ohne welche der Begriff nie gedacht wird, ist demnach das Entscheiden, Urteilen. Dieses ist nicht Schaffen, sondern vielmehr Anwenden des bestehenden Rechts auf den festgestellten konkreten Thatbestand, mit bindender Wirksamkeit für die Beteiligten. Das Nähere hierüber enthalten die betreffenden Einzelartikel (Entscheidung, Urteil, Vollstreckung etc.). S. auch die Artikel Gerichtsbarkeit und Richter.

Die österreichische Gerichtsverfassung gestaltet sich insofern einfacher, als nicht mehrere Instanzen bei demselben Gericht vereinigt sind. Gerichte erster Instanz für Civil- und Strafsachen sind die Bezirksgerichte (s. d.), welche als Einzelrichter thätig sind, und die Kollegialgerichtshöfe erster Instanz, welche bei gleichem Wirkungskreis in den Landeshauptstädten die Bezeichnung Landesgericht (s. d.), übrigens die Bezeichnung Kreisgericht (s. d.) führen. Die für ein oder mehrere Kronländer gebildeten Oberlandesgerichte (s. d.) bilden die zweite, der Oberste Gerichts- und Kassationshof (s. d.) in Wien die dritte Instanz.

Vgl. Hauck, Gerichtsverfassungsgesetz (Nördl. 1879); Hoffmann, Die Gerichtsorganisation im Deutschen Reiche (2. Aufl., Berl. 1879); Pfafferoth, Jahrbuch der Deutschen Gerichtsverfassung (ebd. 1880 fg.); Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozeßrechts (Lpz. 1885), §§. 25 fg.; Planck, Lehrbuch des Deutschen Civilprozeßrechts (Nördl. 1887), §§. 7 fg.; Loewe, Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz (in dem Kommentar zur Strafprozeßordnnng, 5. Aufl., Berl. u. Lpz. 1888); Stenglein, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz (Nördl. 1885).

Gerichtliche Analyse, die verschiedenen Untersuchungsmethoden, die in Kriminalfällen anzuwenden sind, um in Leichenteilen das Vorhandensein von Giften, an Kleidern, Waffen, Gerätschaften u. dgl. die Gegenwart von vergossenem Blut festzustellen. Ist die G. A. im wesentlichen auch nichts anderes als eine qualitative oder auch quantitative Analyse, so kommen hier doch besondere Schwierigkeiten vor, die durch die Anwesenheit von vielem fremden Material, Mageninhalt, Darminhalt, tierischen Gewebstoffen sowie dadurch bereitet werden, daß die zur Untersuchung kommende Substanz sich nicht selten in einem weit vorgeschrittenen Stadium der Fäulnis und Verwesung befindet. Wesentlich vereinfacht kann die Untersuchung werden, wenn dem Sachverständigen vom Untersuchungsrichter bestimmt formulierte Fragen, z. B. nach dem Vorhandensein eines bestimmten Giftes, zur Beantwortung gegeben werden, während bei allgemein gehaltenen Fragen, z. B. bei der Frage ob überhaupt Giftstoffe vorliegen, das Gesamtgebiet aller zugängigen Giftstoffe zu berücksichtigen ist. Bei der Ausführung der G. A. hat der Sachverständige sich stets zu vergegenwärtigen, daß sein Ausspruch meist das am schwersten wiegende Moment in der ganzen Untersuchung ist. Jede von außen kommende Einwirkung muß streng abgeschnitten werden, das Laboratorium darf während der Arbeit von keinem Unbeteiligten betreten werden, die zu verwendenden Apparate dürfen früher zu keinem andern Zweck benutzt worden sein, und die zur Untersuchung zu verwendenden Chemikalien müssen chemisch rein sein, da diese nicht selten als Verunreinigungen Giftstoffe (Arsen, Blei) enthalten. – Vgl. Otto, Anleitung zur Ausmittelung der Gifte und zur Erkennung der Blutflecken bei gerichtlich-chem. Untersuchungen (6. Aufl., Braunschw. 1884); Duflos, Handbuch der angewandten gerichtlich-chem. Analyse der chem. Gifte u. s. w. (Lpz. 1873); Schwanert, Hilfsbuch zur Ausführung chem. Arbeiten (2. Aufl., Braunschw. 1874); Dragendorff, Die gerichtlich-chem. Ermittelung von Giften (3. Aufl., Gött. 1888); Sonnenschein, Handbuch der gerichtlichen Chemie (neu bearbeitet von Classen, 2. Aufl., Berl. 1881).

Gerichtliche Medizin (Medicina legalis oder forensis), eine besondere Wissenschaft, die nicht nur der Gerichtsarzt, sondern auch der Rechtsverständige kennen muß. Sie ist die theoretische Einleitung zur Erforschung und Verwertung von mediz. und damit zusammenhängenden naturwissenschaftlichen Thatsachen für die Zwecke der allgemeinen Gesetzgebung und Rechtspflege und bildet somit einen wichtigen Teil der Staatsarzneikunde, welche die Anwendung mediz. Kenntnisse und Erfahrungen für die Zwecke des Staates überhaupt lehrt. Zu den Verhältnissen, deren Erörterung für den Richter bei seiner Entscheidung in einem gegebenen Rechtsfall in Frage kommt, gehören häufig genug auch Zustände des menschlichen Organismus, insofern diese entweder als der natürliche Erfolg eines widerrechtlichen Eingriffs oder umgekehrt als die natürliche Veranlassung zu Rechtsverletzungen gegen andere erscheinen. Wenn dergleichen Zustände von der Art sind, daß zu ihrer Untersuchung solche technische Fertigkeiten und zu ihrer Beurteilung solche Kenntnisse und Erfahrungen, wie sie nur ein allseitig gebildeter Arzt besitzen kann, erforderlich sind, so ist die Hinzuziehung eines mediz. Sachverständigen zu der richterlichen Untersuchung notwendig und jetzt in allen civilisierten Staaten durch die Gesetze geboten. Gewöhnlich ist für solche Fälle bei jedem Gericht ein besonderer Arzt angestellt, der dann Gerichtsarzt, auch wohl Physikus heißt. Von dem Gerichtsarzt wird gefordert, daß er nicht bloß mit der Medizin, sondern mit dem durch die Medizin zu befriedigenden Bedürfnis des gerichtlichen Verfahrens gründlich vertraut sei. Zur Befriedigung dieses Bedürfnisses gehört Kenntnis der einschlagenden Gesetzgebung, eine durch Übung zu steigernde Fähigkeit, das Gesetz richtig anzuwenden, den für die Rechtsanwendung wesentlichen Kern der zu stellenden Fragen leicht und sicher zu fassen und präzis zu beantworten, eine der Sachkunde entsprechende Sicherheit, dieselbe zum mündlichen Verfahren zu verwerten. Das Maß der Fähigkeit, als