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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gewerbeakademie - Gewerbefreiheit

namentlich der Bannmeile (s. d.), sodann durch den korporativen Zusammenschluß der Handwerker in den Zünften (s. d.). Die Form des Handwerks und die künstlerische Verfassung desselben genügte so lange, als es innerhalb dieses Rahmens möglich war, das vorhandene Konsumtionsbedürfnis zu befriedigen, und die Technik mit dieser Art des Betriebes noch im Einklang stand. Den Übergang zur Fabrikation vermittelte in der Regel die Hausindustrie, bei welcher der Handwerker nicht mehr ausschließlich für den Konsumenten oder die Zunft beschäftigt war, sondern auf Bestellung und nach Vorschrift des Händlers arbeitete, was natürlich schon eine Lockerung der strengen Zunftsatzung voraussetzte. Auch als landwirtschaftliches Nebengewerbe kommt die Hausmanufaktur in dieser Übergangsperiode vielfach vor. Die Nachteile dieser Betriebsart, das Wachstum der Bevölkerung und der Bedürfnisse, die Fortschritte der Technik und die Vermehrung des Kapitals mußten allmählich zum Fabrikgewerbe überleiten, das durch die Konzentration des Betriebes, die Anwendung der kostspieligsten, aber wirksamsten technischen Hilfsmittel, insbesondere des Maschinenwesens, und den möglichst hohen Grad von Arbeitsteilung die beste Ausnutzung der produktiven Kräfte der Volkswirtschaft gestattet. Sehr begünstigt und gefördert wurde dieser Übergang durch die Erstarkung der Staatsgewalt und das von ihr gehandhabte Gewerbeschutzsystem der Neuzeit, welches die Großindustrie durch Schutzzölle und andere künstliche Maßregeln zu stärken suchte (s. Merkantilsystem). Auf die Dauer war aber auch diese Art von Gewerbeverfassung für die Weiterentwicklung der geistigen und materiellen Kultur der Menschheit zu eng geworden. Mit dem Streben nach persönlicher, individueller Freiheit auf geistigem und polit. Gebiete ging das Verlangen nach wirtschaftlicher Selbständigkeit der Einzelnen Hand in Hand, als dessen Hauptvertreter in der Wirtschaftswissenschaft Adam Smith (s. d.) erscheint und das in der Gewerbefreiheit (s. d.) des 19. Jahrh. seine Befriedigung gefunden hat. Seitdem hat das individuelle Konkurrenzbestreben die Gewerbethätigkeit der Völker auf eine bis dahin kaum geahnte Höhe gebracht und den Volksreichtum in schneller Progression vermehrt. Wissenschaft und Kunst im Bunde mit dem Handel greifen fördernd ein, um die Produktion zu vereinfachen, zu erleichtern, zu verfeinern und den Absatz zu erweitern. Nur auf diese Weise erscheint es möglich, den gesteigerten Bedürfnissen einer fortwährend im Wachsen begriffenen Volkszahl gerecht zu werden, und es ist keine Frage, daß die modernen Fortschritte des Großbetriebes allen Volksklassen, wenn auch nicht immer in gleichem Grade, zu gute kommen. Die vielfach gehegte Meinung, daß durch die Anwendung von Maschinen im Großgewerbe die Nachfrage nach Arbeitskräften geringer wird, ist durch die Thatsachen widerlegt. Sind die unvermeidlichen Nachteile der Übergangsperiode überwunden, so finden regelmäßig in der Großindustrie weit mehr Menschen ihr Brot als im Kleingewerbe. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß die kapitalistische Betriebsweise in den durch sie hervorgerufenen großartigern Verhältnissen auch vielerlei Schattenseiten zeigt, welche in einfachern Wirtschaftszuständen nicht oder nur in geringerm Grade vorhanden sind. Dahin gehören: die Anhäufung des Besitzes in wenigen Händen, die Schwächung des Mittelstandes, das Anwachsen des Arbeiterproletariats, die Lockerung des Familienlebens u. s. w., Umstände, welche den Klassengegensatz auf wirtschaftlichem Gebiete erzeugt und die sog. sociale Frage in den Vordergrund des polit. Interesses der Jetztzeit gestellt haben (s. Socialismus). Da eine Beseitigung oder auch nur Milderung dieser Übelstände durch die freie Konkurrenz nicht zu erwarten ist, vielmehr durch sie die Gegensätze häufig noch gefördert werden, so hat sich in jüngster Zeit der Staat veranlaßt gesehen, durch gesetzliche Maßnahmen vorzugsweise auf dem Gebiete der Fabrikgewerbe helfend einzugreifen (s. Fabrikgesetzgebung, Gewerbegesetzgebung und Gewerbegerichte). Für die Förderung des Gewerbefleißes, bez. zur Regelung der Beziehungen zwischen den Gewerbetreibenden unter sich sowie mit ihren Gehilfen, dem Publikum und den Behörden, kommen ferner in Betracht: Gewerbekammern, Gewerbemuseen, Gewerbeschulen, Gewerbevereine, Gewerbesteuer (s. die betreffenden Artikel). Über die Verteilung der Betriebe und der beschäftigten Arbeiter auf die einzelnen Gewerbszweige in Deutschland s. Deutschland und Deutsches Reich (Bd. 5, S. 130); über die Verteilung der Hauptbetriebe mit mehr als 5 Arbeitern auf die einzelnen Berufsgruppen s. Fabrik (Bd. 6, S.500). – Vgl. die Litteratur bei Gewerbegesetzgebung.

Gewerbeakademie hieß seit 1866 eine 1821 in Berlin unter dem Namen Technisches Institut gegründete, seit 1827 Gewerbeinstitut genannte Lehranstalt für gewerbliche Ausbildung, die sich allmählich zur Hochschule entwickelte, 1871 akademische Verfassung erhielt, 1879 aber mit der Bauakademie (s. Bauschulen) zur Technischen Hochschule vereinigt wurde. (S. Gewerbeschulen.) – Vgl. Die technische Hochschule zu Berlin (Berl. 1886).

Gewerbeaufsichtsbeamte. Die Aufsicht über Ausführung und Innehaltung der zur Fürsorge der gewerblichen Arbeiter, nicht bloß der Fabrikarbeiter, und deren Beschäftigung in der Gewerbeordnung getroffenen Vorschriften ist nach §. 139 b (Gesetz vom 1. Juni 1891) ausschließlich oder neben den ordentlichen Polizeibehörden besondern von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten übertragen. (S. Fabrikinspektor.)

Gewerbeausstellung, s. Industrieausstellungen.

Gewerbebanken, s. Vorschuß- und Kreditvereine.

Gewerbebetrieb im Umherziehen, s. Hausierhandel und Wanderhandel.

Gewerbefreiheit, die jedermann zuerkannte Befugnis, jedes beliebige Gewerbe selbständig zu betreiben, ohne Erfüllung irgend welcher Vorbedingungen. Speciell bedeutet G. die Freiheit von dem früher vorherrschenden Zunftzwange, vermöge dessen niemand ein Gewerbe treiben durfte, ohne der betreffenden Zunft anzugehören. Aber auch obrigkeitliche Konzessionen, Prüfungen und ähnliche beschränkende Bedingungen für einen Gewerbebetrieb stehen mit dem Princip der absoluten G. im Widerspruch. Ebenso müssen mit der G. die frühern Beschränkungen der Freizügigkeit (s. d.) und des Verehelichungsrechts aufhören. Der Hauptnutzen der G. besteht darin, daß sie die individuellen Fähigkeiten und Kräfte in der Wirtschaft am besten zur Entfaltung und Bethätigung bringt und daß der durch sie hervorgerufene Wettbewerb die wirtschaftliche Entwicklung weiter fördert und vor Stillstand bewahrt. Ihre Nachteile liegen in der auflösenden, zersetzenden Wirkung, welche sie auf die gesellschaftlichen Gruppen und Interessenverbände übt, sowie