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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Gift

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Gift

15405 weibl.) E., 2 Städte, 82 Landgemeinden und 24 Gutsbezirke. -

2) Kreisstadt im Kreis G., 87 km südlich von Lüneburg, auf einer Anhöhe in wiesen- und moorreicher Gegend, an der Mündung der Ise in die Aller und an der Nebenlinie Meine-Triangel der Preuß. Staatsbahnen, Sitz des Landratsamtes und eines Amtsgerichts (Landgericht Hildesheim), hat (1890) 3108 E., darunter 64 Katholiken und 17 Israeliten, Post zweiter Klasse, Telegraph; Fabrikation von Tabak und Glas, Woll- und Baumwollspinnerei, Garten- und Gemüsebau. Ehemals war G. eine starke Festung; nach G. nannte sich eine Linie des mittlern Hauses Braunschweig-Lüneburg.

Gift (Virus, Venenum), im allgemeinen jeder Stoff, der, dem gesunden Körper auf irgendwelche Weise einverleibt, mehr oder minder schwere Ernährungs- und Funktionsstörungen bestimmter Organe veranlaßt und damit entweder Krankheit oder im ungünstigen Falle selbst den Tod verursacht. Strenggenommen kommt allerdings dem Worte G. nur eine relative Bedeutung zu, da kein Stoff unter allen Umständen und unbedingt giftig wirkt, wie man am besten daraus ersehen kann, daß gerade die als heftigste G. bekannten Stoffe, wie Blausäure, arsenige Säure, Strychnin, Morphium, Atropin, Quecksilbersalze u. a., innerhalb gewisser Grenzen die heilsamsten Wirkungen auf den Organismus ausüben und deshalb als Heilmittel hochgeschätzt sind, und daß andererseits viele Tiere von gewissen Substanzen, die auf andere entschieden giftig wirken, gar nicht oder nur äußerst wenig beeinflußt werden. Vor allem spielen hierbei das Lösungsmittel der betreffenden Substanz, die Art der Einverleibung, die individuelle Disposition, wie nicht minder der Grad der Gewöhnung, wie das Beispiel der Arsenikesser in Steiermark und der Opiumesser im Orient beweist, eine entscheidende Rolle. Die G. können mittels des Verdauungsprozcsses, des Einatmens und der Einsaugung durch die Haut in den Körper dringen; manche, wie z. B. das amerik. Pfeilgift, erweisen sich nur dann erst giftig, wenn sie mit dem Blute in unmittelbare Berührung (durch Wunden) gebracht werden, während sie bei der Einführung in den Magen völlig wirkungslos bleiben. Man teilt die G. in verschiedene Gruppen, die sich weniger auf die noch größtenteils unerforschten, die toxische Wirkung bedingenden elementaren Eigenschaften als auf Erscheinungen an Vergifteten gründen.

Die sog. ätzenden oder irritierenden G. wirken mehr chemisch, das organische Gewebe zerstörend, die Form und den Zusammenhang der Teile verletzend, und erregen dadurch heftige Reizung, schnelle Entzündung und Brand. Hierher gehören aus dem Mineralreiche der Arsenik, eins der zerstörendsten G., von dem schon 0,1-0,2 g tödliche Zufälle hervorbringen können; ferner alle Verbindungen von Gold, Silber, Kupfer, auch die meisten des Quecksilbers und Antimons; weiterhin Phosphor, Jod, Chlor, starke Mineral- und Pflanzensäuren, wenn sie unverdünnt in den Körper kommen, z. B. die konzentrierte Schwefelsäure oder das sog. Vitriolöl, die Salpetersäure oder das sog. Scheidewasser, die Salzsäure, die konzentrierte Carbolsäure, die Sauerkleesäure u. a.; sodann Ätzkali, Ätzammoniak, gebrannter Kalk, Ätzbaryt; viele Pflanzen, die einen sehr scharfen und ätzenden Stoff enthalten, wie Gichtrübe (f. Bryonia), Wolfsmilch (s. Euphorbia), Croton (s. d.), Gummigutti (s. Garcinia), Koloquinte (s. d.) u. a. (s. Giftpflanzen); aus dem Tierreiche die Kanthariden oder sog. Spanischen Fliegen. Andere G. wirken mehr durch schnell vorübergehende Reizung des Nervensystems und bald darauf folgende gänzliche Lähmung desselben. Dies sind die sog. betäubenden oder narkotischen G., die zumeist dem Pflanzenreiche angehören. Sie äußern ihre Wirkung durch Brennen im Halse, Übelkeit, Würgen und Erbrechen, heftige Kopsfchmerzen, Schwindel und Sinnestäuschungen, gewaltsame Krämpfe des ganzen Körpers, insbesondere der Gesichtsmuskeln, und führen den Tod durch Lähmung und Schlagfluß herbei; bei der Leichenöffnung findet man nicht die geringste Spur einer Entzündung. Hierher gehören das Opium mit seinen Alkaloiden, das Hanfharz oder Haschisch (s. d.), der Schierling (s. Cicuta), das Bilsenkraut (s. Hyoscyamus), der Giftlattich (s. Lactuca), der Kirschlorbeer (s. d.), die Tollkirsche (s. Atropa), die Krähenaugen oder Brechnüsse (s. Brechnuß), die das Strychnin enthalten, das Pfeilgift der Indianer (s. unter Giftpflanzen) u. a. Auch in den bittern Mandelkernen ist ein ähnliches, schnell das Leben vernichtendes G., die Blausäure (s. d.) enthalten. (S. Narkotische Mittel.) Ähnlich wirkt das Schlangengift (s. d.) und das in der Hundswut sich erzeugende G. Einige G., die sog. reizend-narkotischen G., vereinigen beide Wirkungen, indem sie mittels eines eigenen scharfen Stoffs reizend und entzündungerregend und vermöge des ihnen zukommenden narkotischen Stoffs betäubend wirken, so z. B. der rote Fingerhut (s. d.), der Eisenhut (s. Aconitum), der Tabak (s. d.), der Stechapfel (s. Datura), der Taumellolch (s. Lolium) und das Mutterkorn (s. d.), die meisten giftigen Pilze (s. d.) u. dgl.; auch zählen Chloroform, Äther und Alkohol hierher. Andere G. wirken dadurch, daß sie die zum Leben nötigen Verrichtungen mancher Organe plötzlich oder allmählich unterdrücken. Hierher gehören alle schädlichen, nicht zum Atemholen tauglichen (irrespirablen) Luft- und Gasarten, wie z. B. das Kohlenoxydgas, das der schädliche Bestandteil des Kohlendunstes ist, Schwefeldämpfe, die durch das Atmen und die Ausdünstung vieler Menschen in einem verschlossenen Raume verdorbene Luft, eine Menge starkduftender Blumen in verschlossenen Zimmern u. a. Septische oder zymotische G. sind Substanzen, die fäulnis- und gärungsähnliche Prozesse im Organismus hervorrufen und zur fauligen Zersetzung des Blutes führen, wie namentlich das Schwefelwasserstoffgas, die aus faulenden und verwesenden organischen Massen sich entwickelnden Gase und Dämpfe sowie verschiedene Tiergifte, wie z. B. das G. mancher Schlangen, der Skorpione, mancher Insekten, das Wurst- und Käfegift, das Fischgift, Ichthyotoxin (s. d.), das Fäulnis- und Leichengift. Vor allem gehören hierher die giftigen Stoffwechfelprodukte (Toxine), welche durch die verderbliche Thätigkeit niederer Organismen, der Bakterien, im Verlauf der einzelnen Infektionskrankheiten im Körper gebildet werden. (S. Kontagium und Miasma.)

Gegenmittel, Gegengift oder Antidotum nennt man jede Substanz, die den Körper gegen die Einwirkung der G. zu schützen oder die schon geäußerte schädliche Wirkung der letztern wieder aufzuheben vermag; die Antidota sind ebenso verschieden, als es im allgemeinen die G. sind. Ihre Wirkung beruht in den meisten Fällen darauf, daß sie die in den Körper eingeführte giftige Substanz durch