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Glatze – Glaube
Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Glatz'
sonders die Eisenbahn zu beherrschen, und so den Durchbruch einer feindlichen Armee nach Schlesien zu verhindern. Die Stadt erhebt sich in ihrem alten Teile mit engen Straßen
bis an den Schloßberg. Seit 1878 sind an Stelle der eingeebneten Festungswerke schöne Stadtteile und Parkanlagen entstanden. Von Gebäuden sind nennenswert: die kath.
Pfarrkirche mit herrlichem Geläute, großer Orgel, Gruft mehrerer Herzöge von Münsterberg und Grafen von G. und dem Grabmal des Erzbischofs Ernestus (gest. 1364), die kath.
Minoritenkirche, die evang. Garnison- (Franziskaner-) Kirche, das nach dem Brande (1886) neu aufgeführte Rathaus mit hohem Turm, das Gymnasium (früher Jesuitenkollegium)
und Konviktorium, die Kommandantur, das kath. Bürgerhospital, Stadtkrankenhaus, städtische Arbeitshaus, das Kreishaus, Land- und Amtsgerichtsgebäude, die Post, das neue
Gefängnis und die neue Kaserne. Ferner bestehen ein königlich kath. Gymnasium, aus dem 1597 gegründeten Jesuitenkolleg hervorgegangen (Direktor Dr. Stein, 13 Lehrer,
9 Klassen, 312 Schüler), je eine kath. und evang. private höhere Mädchenschule; eine Kommandite des Schlesischen Bankvereins zu Breslau, ein städtisches Krankenhaus, kath.
Bürgerhospital, ein städtisches Theater, Gasanstalt und Wasserwerk. Die Industrie erstreckt sich auf Metallgießerei, Maschinenfabrik, Möbeltischlerei, Branntweindestillation
(6 Brennereien), 5 Brauereien, Fabrikation von Schuhen und Gamaschen, 2 Cigarrenfabriken, Brett- und Fournierschneidemühle, 3 Mehlmühlen und Dampfziegelei. – G. wurde an
der ehemaligen Haupthandelsstraße von Böhmen durch Schlesien nach Polen wahrscheinlich im 10. Jahrh. durch böhm. Fürsten als festes Schloß (auf dem Schloßberge) erbaut,
an dessen Fuße sich allmählich ein städtisches Gemeinwesen entwickelte. Im Mittelalter wurde es mehrfach belagert und erobert, 1622 im Dreißigjährigen Kriege. Im Schlesischen
Kriege wurde es 1742 durch Kapitulation den Preußen übergeben. Im Siebenjährigen Kriege nahm Laudon 1760 die Citadelle durch Überrumpelung. Auch 1807 war G., obgleich
es durch seinen Kommandanten, den Grafen Götzen, tapfer verteidigt wurde, nahe daran, von den Bayern und Württembergern genommen zu werden, als der Friede zu Tilsit (9.
Juli 1807) erfolgte. – Vgl. Kögler, Chroniken der Grafschaft G. (Glatz 1841); Kutzen, Die Grafschaft G. (Glogau 1873); Vierteljahrsschrift für Geschichte und Heimatkunde der
Grafschaft G. (Habelschwerdt 1881 fg.); Peter, Kleiner Führer durch die Grafschaft G. (ebd. 1882); Beschreibung des östl. Teils der Grafschaft G. (2. Aufl., Landeck 1885).
Glatzer Gebirge, Hauptteil der Sudeten (s. d.), zu beiden Seiten der obern Neisse, ein Gebirgsviereck, dessen Inneres, der
Glatzer Gebirgskessel, eine 325–400 m hohe Hügellandschaft, von 4 höhern Randgebirgen umschlossen wird: im S. vom
Glatzer Schneegebirge mit dem Großen oder Glatzer Schneeberg 1427 m, im NO. vom
Reichensteiner Gebirge und Eulengebirge (s. d.), im SW. vom
Habelschwerdter Gebirge (s. d.) und Heuscheuer Gebirge
(s. Heuscheuer), im N. vom Schweidnitzer Gebirge (s. d.).
Glaube (lat. fides; grch. pistis), im religiösen Sinne eine nicht auf dem Umwege
wissenschaftlichen Erkennens, sondern durch unmittelbare ↔ Selbsterfahrung gewonnene innere Gewißheit, die sich auf des Menschen persönliches Verhältnis
zum Übersinnlichen, Überirdischen, Unendlichen bezieht; daher der G. nichts anderes ist als die Religion überhaupt, und nach denselben psychol. Gesetzen wie diese in uns
entsteht. Jene Gewißheit von einer Beziehung zwischen dem Menschen und Gott könnte aber nicht entstehen, und wie es thatsächlich der Fall ist, auf Wollen und Vorstellen des
Glaubenden einwirken, wenn ihr die Selbsterfahrung, auf der sie beruht, nicht zugleich eine Offenbarung Gottes wäre. G. und Offenbarung sind daher korrelate Begriffe, die ohne
einander nicht bestehen können. Die Offenbarung aber erscheint in einem gewissen Stadium der religiösen Entwicklung als eine übernatürlich ergangene und daher unfehlbare
Belehrung betreffs übersinnlicher Wahrheiten und Realitäten. Wird diese Belehrung ein Gegenstand der Überlieferung, so beruht der G. bei
den Empfängern der letztern, statt aus eigener innerer Selbsterfahrung, zunächst nur auf vertrauensvollem Fürwahrhalten des Überlieferten
als göttlicher Offenbarung. Bei dieser Art von G. beschränkt sich dann das eigentlich Religiöse auf das Vertrauen, sofern sich hierin immer
noch ein Gemütszustand kundgiebt, den jeder unmittelbar in sich erleben kann, und der daher die eigentümlichen Wirkungen der Religion auf Wollen und Vorstellen ausübt. Doch
pflegt dabei das Fürwahrhalten des Überlieferten dem Glaubenden als die Hauptsache, als eine religiöse Pflicht, zu erscheinen, und statt der
religiösen Bedeutung vom G. stellt sich damit eine andere, dogmatische, Bedeutung des Wortes ein,
wonach unter G. nur das Fürwahrhalten der dogmatischen und geschichtlichen Überlieferung der betreffenden religiösen Gemeinschaft, und weiterhin geradezu auch die so
geglaubte Überlieferung selbst verstanden wird (jüd., christl., mohammed. «Glaube»). Innerhalb der christl. Entwicklung kennt schon das Neue Testament diese Einmischung jenes
bloßen Fürwahrhaltens in die Bedeutung von G., ja auch schon die Gleichsetzung des G. mit der Lehrüberlieferung selbst. Gegenüber dem G. in diesen so veräußerlichten
Bedeutungen gaben dann schon die Gnostiker ihre Gnosis (s. d.) für eine höhere, auf wirklichem Wissen beruhende Form religiösen Überzeugtseins aus, und
in der Kirche konnte der Streit über «Glauben und Wissen» beginnen, der erst mit der neuern Unterscheidung des religiösen und des dogmatischen Sinnes vom G.
gegenstandslos geworden ist. In der kath. Theologie gewann und behielt G. den Sinn als Autoritätsglaube an das kirchliche Dogma, wie als
Bezeichnung dieses letztern selbst (das «credo»), an dessen kirchlich festgestellten Inhalt auch das von der scholastischen Theologie
erstrebte «Wissen» durchaus gebunden bleiben wollte.
Die Reformation ging auf die ursprünglichen Grundlagen des G. in der eigenen Selbsterfahrung des menschlichen Gemütes zurück, indem sie persönliche Heilsgewißheit jedes
Einzelnen verlangte, die sie gemäß der Paulinischen Lehre auf die Rechtfertigung aus dem G. allein begründete. Diese aber muß freilich, solange man unter dem G. nur
Fürwahrhalten, sei es der biblischen, sei es der kirchlichen Lehre versteht, jedes sittlich-religiösen Sinnes entbehren. Der G. ist dem Protestantismus daher vor allem persönliche
vertrauensvolle Zuversicht (fiducia) zur göttlichen Gnade. Das Zurückgehen auf das Subjekt und sein religiöses Bedürfnis hatte dem kirchlichen
Autoritätsprincip ein Ende gemacht; in-
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 60.