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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechenland (Geschichte 1503-1832)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Griechenland (Geschichte)'

Venetianern nur noch einige Festungen auf der albanes. Küste, Kreta und die Ionischen Inseln ließ, war die Unterwerfung G.s unter die Türken vollendet. Es wurde nun völlig zur türk. Provinz, der ein Beglerbeg vorstand, und die in mehrere Sandschaks geteilt war. Doch blieb den Unterworfenen wenigstens eine Art von Gemeindeverfassung unter selbstgewählten Ortsvorstehern (Archonten, Demogeronten oder Kodscha-Baschi). Die Cykladen zahlten der Pforte jedesmal nur gezwungen einen Tribut und blieben infolge der häufigen Angriffe der Malteserritter faktisch unabhängig. Ein neuer Krieg der Türken mit den Venetianern (1645–69) brachte auch Kreta unter türk. Herrschaft; doch waren die Venetianer in ihrem nächsten Kriege (1684–99) glücklicher, indem sie Morea erwarben. Aber schon durch den Türkenkrieg von 1715 verloren sie die Halbinsel wieder und mußten sie im Passarowiczer Frieden (1718) förmlich an die Türken abtreten. So war G. wieder ganz türkisch, wurde in Paschaliks eingeteilt und dem Rumeli-Valessi (Großrichter von Rumelien) untergeordnet, während 31 Inseln des Ägäischen Meers dem Kapudan Pascha und andern türk. Beamten zur Verwaltung oder vielmehr Nutznießung überlassen waren. Dieses Verwaltungssystem artete bei der Käuflichkeit der Beamtenstellen und bei der despotischen Weise der Abgabenerhebung bald in ein schreckliches Aussaugungssystem aus. Teils hierdurch, teils durch den Umstand, daß der größte Teil des Grundeigentums in die Hände der Türken gefallen war, trat eine völlige Lähmung in der produktiven Thätigkeit des Landes ein, daher die Griechen sich fast nur dem Handel widmeten.

Unter solchen Umständen würde die Nationalität der Griechen wahrscheinlich zu Grunde gegangen sein, wenn nicht zwei Institute sie erhalten hätten: die griech. Religion und Kirche und ihre selbständige Gemeindeverfassung. Die Kirche, die eine Art Gerichtsbarkeit über ihre Religionsgenossen behalten hatte, nahm sich durch den Patriarchen und die Heilige Synode zu Konstantinopel der Rechte derselben gegenüber der Pforte an, bildete einen Mittelpunkt der Nation und übte großen Einfluß auf ihre innern Angelegenheiten aus. Die Gemeindeverfassung der Griechen unter selbstgewählten Lokalbehörden hielt ihre Selbständigkeit aufrecht und verhinderte ihre polit. Vermischung mit den Türken. Für die Erhaltung und Förderung des Unabhängigkeitssinns wirkten besonders auch die sog. Armatolen (s. d.) und mehr noch die in den schwer zugänglichen Berggegenden einen fortwährenden Kleinkrieg gegen die Unterdrücker führenden Klephten, während in den dem Dienst der Pforte sich widmenden Fanarioten (s. d.) eine mit europ. Bildung vertraute Adelsklasse sich bildete. Höchst vorteilhaft wirkte auf die Hebung der Griechen die besonders im Laufe des 18. Jahrh. sich entwickelnde Ausbreitung des griech. Handels. Von griech. Handelshäusern im Auslande ging die Gründung der ersten griech. Bildungsanstalten in der Türkei selbst aus, die, anfangs durch die Türken sehr beschränkt, gegen Ende des 18. Jahrh. sich immer mehr erweiterten.

Rußland, durch das Band der orthodoxen Kirche mit den Griechen verbunden, wurde schon seit Peter d. Gr. von diesen immer mehr als ihr natürlicher Beschützer, von dem ihre Befreiung ausgehen werde, betrachtet. Entscheidend wurde der russ. Einfluß auf G. aber erst durch die Kaiserin Katharina II., die den Plan einer Eroberung G.s zuerst zu ↔ verwirklichen suchte. Schon gedachte sie ernstlich an die Ausführung zu gehen, als ihr die Pforte zuvorkam und 1768 den Krieg erklärte. Rußland hatte alles in Bewegung gesetzt, um die Griechen zu einem Aufstande zu bewegen. Doch gelang dies dem russ. Sendling Pappadopulos nicht; erst als ein Teil der russ. See-Expedition unter Feodor Orlow 28. Febr. 1770 in Itylon (dem alten Ötylos) in Lakonien landete und mehrere Orte einnahm, erhoben sich die Griechen; allein die von der Pforte angeworbenen Albanesen eroberten Mesolongion und brachten den Russen in Morea eine Niederlage bei, worauf die türk.-albanes. Soldateska plündernd und mordend das Land durchzog und Feodor Orlow mit den Resten seiner Landungstruppen in größter Eile sich einschiffte, die Griechen ihrem Schicksal überlassend.

So war die ganze Unternehmung zur Befreiung G.s verfehlt; einige Bestimmungen in dem Frieden von Küċük-Kainardža (21. Juli 1774) zu Gunsten der Griechen (Amnestie, Religionsfreiheit und Freizügigkeit) waren ihr einziges Ergebnis. Allein die Pforte war weder gesonnen noch im stande, diese Bedingungen zu halten; denn die Albanesenbanden, die Morea wieder der türk. Herrschaft unterworfen hatten, sahen sich als Herren des Landes an, das neun Jahre lang ihrem furchtbaren Treiben preisgegeben blieb, bis die Pforte endlich Maßregeln gegen sie ergriff und Hassan Pascha die Albanesen 10. Juni 1779 bei Tripolis fast gänzlich aufrieb. In dem bald darauf von neuem zwischen Rußland und der Pforte ausgebrochenen Kriege wurden die Sulioten und Chimarioten in Epirus, die ohnedies mit Ali Pascha von Jannina in einen Kampf verwickelt waren, von russ. Sendungen gegen die Türken aufgewiegelt. Von den Russen im Frieden von Jassy 9. Jan. 1792 wieder im Stich gelassen, mußten sie auf eigene Hand den Krieg fortführen, der noch in demselben Jahre mit Erringung ihrer Unabhängigkeit von Ali Pascha endete. Der Friede von Jassy bestätigte die im Frieden von Küċük-Kainardža bewilligten Vorteile mit der Bestimmung, daß sie freie Schiffahrt unter russ. Flagge treiben durften.

Während der folgenden Zeit der Ruhe nahm der Handel G.s einen außerordentlichen Aufschwung, besonders auf den weniger bedrückten Inseln. Viele griech. Schulen, sowohl in den griech. Städten der Türkei selbst als auch im Auslande, wurden begründet. Auch verfehlte die durch ganz Europa gehende große polit. Bewegung nicht, auf die Griechen ihren Einfluß zu äußern und den Gedanken an die Befreiung vom türk. Joch mit verstärkter Energie zu wecken. Männer wie Alex. Maurokordatos der Ältere, Alex. Hypsilantis der Ältere, Anthimos, Gazis und vor allen Rhigas aus Velestinos (Pherä) in Thessalien, der Dichter der Freiheitslieder, von dem die erste Idee des Geheimbundes einer Hetärie zur Befreiung der griech. Länder ausging, ergriffen diesen Gedanken mit einer Wärme, die schon damals die glänzendsten Erfolge gehabt hätte, wenn man mit mehr Vorsicht zu Werke gegangen wäre. Allein die Hinrichtung des von der österr. Polizei an die Türken ausgelieferten Rhigas (Juni 1798) vereitelte vorderhand die Pläne zur Befreiung G.s. Bald darauf brach ein neuer Krieg zwischen Ali Pascha und den Sulioten aus, der mehrere Jahre hindurch dauerte und 1803 mit fast vollständiger Vernichtung der Sulioten und der völligen Unterwerfung ganz Albaniens und Epirus’ unter die Herrschaft Ali Paschas endigte. Die noch übrigen Su-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 334.