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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hessen-Cassel
konstituierende Gewalt der Deutschen National-
versammlung an. Die Grundrechte wurden publi-
ziert, die Reichsverfassung vom 28. März 1849
verkündet. Nach dem Scheitern derselben entschloß
sich die Regierung, dem Dreikönigsbündnis beizu-
treten, und die 14. Juli 1849 nach dem neuen Wahl-
gesetze zusammengetretene Ständeversammlung ge-
nehmigte den Veitritt zum preuß. Bündnis. Aber
die Unionsverfassung erschwerte dem Kurfürsten
die ersehnte Unterdrückung der neuen Landesver-
fassung. Am 22. Febr. 1850 erhielt das März-
ministeriumseine Entlassung. Hassenpflug, Haynau,
Baumbach, Lometsch, Volmar bildeten die neue
Verwaltung. Hassenpflugs Aufgabe follte es fein,
die Union zu löfen und mit Hilfe Österreichs den
Wunfch des Kurfürsten zu erfüllen. Dadurch er-
hielt der Ministerwechscl für ganz Deutschland
eine entscheidende Wichtigkeit, indem hiermit Oster-
reich gegen die preuh. Union und den parlamenta-
rischen Bundesstaat aufzutreten Gelegenheit fand.
Zwar versicherte Hassenpflug vor der Ständever-
sammlung (26. Febr.), zu Ausnahmemaßregcln nie
die Hand bieten zu wollen; allein die Versammlung
gab Hassenpflug gegenüber ein einstimmiges Miß-
trauensvotum ab und ward vertagt. Nach ihrer
Wiedereröffnung stellte ihr Verfassungsausschuß
den Antrag, an der Union festzuhalten und gegen
die beabsichtigte Wiederherstellung des Bundestags
zu protestieren; aber noch ehe diese Anträge zur
Verhandlung kamen, ward 12. Juni die Stände-
versammlung aufgelöst, und Hassenpstug begab sich
als Vertreter Kurhessens zur Plenarversammlung
des Bundes nach Frankfurt. Die neuen Wahlen
verstärkten die demokratische Partei. Das Mini-
sterium legte kein Finanzgesetz vor und verlangte
nur die Forterhebung der Steuern. Die Kammer
beschloß (31. Aug.) die Erhebung und Deponierung
der indirekten Steuern für Juli bis September,
verweigerte aber die direkten Steuern für diefelbe
Periode wegen mangelnden Finanznachweises. Am
2. Sept. ward die Versammlung aufgelöst und in
einer Verordnung vom 4. Sept. einseitig die Fort-
erhebung sämtlicher Steuern verfügt. Da die Ver-
fassung ausdrücklich die Erhebung der Steuern ohne
landständische Bewilligung untersagte, weigerten
die Gerichte und die Verwaltungskollegien die Voll-
ziehung dieser Verordnung. Das Ministerium ver-
hängte darauf 7. Sept. über das ganze Land den
Kriegszustand und übertrug die unbeschränkte Voll-
macht dem General Bauer. Gleichwohl beharrten
die Behörden bei ihrem verfassungsmäßigen Ver-
halten. Der ständische Ausschuß reichte gegen die
Minister wegen Mihbrauchs der Amtsgewalt und
wegen Hochverrats eine Klage ein, und General
Bauer forderte seine Entlassung. Da begab sich
13. Sept. der Kurfürst plötzlich mit Hassenpstug
nach Wilhelmsbad, wohin 17. Sept. auch der Sitz
der Negierung verlegt wurde. Unterdessen hatte
Hassenpflug bei dem in Frankfurt versammelten
Engern Rate des Bundestags einen Beschluß er-
langt (21. Sept.), der die kurhess. Regierung auf-
forderte, alle einer Bundesregierung zustehenden
Mittel anzuwenden, um die bedrohte landesherr-
liche Autorität sicher zu stellen. Der ständische Aus-
schuß bestritt die rechtliche Gültigkeit dieses Be-
schlusses schon aus dem Grunde, weil nach Hassen-
pflugs früherer Erklärung der Bundestag aufgehört
habe M existieren; auch die preuß. Regierung wies
auf diplomat. Wege dies Einschreiten einer nicht
anerkannten Behörde zurück. Eine Verordnung
vom 28. Sept. entzog hierauf den Gerichten jede
Ermittelung über die Wirksamkeit der September-
verordnungen und erklärte jedes deshalb eingelei-
tete Verfahren für unwirksam. Die Stelle des
Oberbefehlshabers ward dem General Haynau
übertragen, gegen welchen der ständische Ausschuh
eine Anklage wegen Verfassungsverletzung und
Hochverrat einreichte. Am 9. Okt. gab das Offizier-
korps, mit geringen Ausnahmen, seine Entlassung.
Ende des Monats erhielten sämtliche Truppen in
und um Cassel Befehl zum Marsch ins Hanauische.
Die auswärtige Intervention war inzwischen vor-
bereitet worden. Das Bündnis in Bregenz (11. Okt.)
hatte die Verabredungen festgesetzt, und der Engere
Rat in Frankfurt beschloß 25. Okt., die von Hassen-
pflug angerufene Vundeshilfe zu gewähren. Am
1. Nov. überschritt ein bayr.-österr. Armeekorps
unter Fürst Taxis die kurhess. Grenze und besetzte
Hanau. Sofort überschritten im Norden des Kur-
staates auch preuß. Truppen die Grenze und be-
setzten Cassel und Fulda. Am 8. Nov. kam es in der
Nähe von Fulda bei Bronnzell zwischen den Preußen
und der vorrückenden Bundesarmee zu einem Zu-
sammenstoß. Aber das Eingehen der preuß. Re-
gierung auf die österr. Politik, wie es zu Olmütz
verabredet war, hatte auch das Geschehenlassen
der Intervention in H. zur Folge. Die kurhess.
Armee war bis auf die Cadres beurlaubt und einer
Anzahl Offiziere der verlangte Abschied erteilt. Die
Septemberverordnungen wurden jetzt durchgeführt,
die Vürgerwehren entwaffnet, die Presse unterdrückt,
die Steuern gewaltsam eingetrieben, die an der
Verfassung haltenden Beamten und Richterkollegien
mit Exekution belegt, die gesetzliche Rechtspflege
durch Kriegsgerichte ersetzt. Am 22. Dez. rückten
die Exekutionstruppen in Cassel ein, und 27. Dez.
kehrte der Kurfürst dahin zurück. Eine Verordnung
vom Jan. 1851 fetzte Militärgerichte ein, und fremde
Soldaten saßen über die Hess. Beamten und Richter
zu Gericht. Als die gesetzliche Frist zur Berufung
der Ständeversammlung verflossen war, reichte
der permanente Ständeausschuß gegen Hassen-
pflug eine Anklage beim obersten Gerichtshofe ein
(3. März), worauf einige Mitglieder des Ausschusses
verhaftet wurden. Eine Verordnung vom 29. Juni
hob dann jenes Gefetz auf, das den Ständen eine
Mitwirkung in der Besetzung des obersten Gerichts-
hofs einräumte. UnterZunahmederVerarmung und
Auswanderung der Bevölkerung verließ die Exe-
kutionsarmee erst nach dreivierteljährigem Verweilen
das Land. Während die polit. Prozesse sich häuften,
ging mit der polit. Reaktion Hand in Hand die kirch-
liche, die, durch Vilmar vertreten, der pietistischen
Richtung das Übergewicht zu verschaffen suchte.
Die Verfassungsangelegenheit trat in ein neues
Stadium, als im März 1852 die Bundesversamm-
lung die Verfassung von 1831 mit den Zusätzen
von 1848 und 1849 außer Wirksamkeit setzte und
dem von der Regierung vorgelegten Entwürfe im
allgemeinen die Zustimmung erteilte. Dieser Ent-
wurf wurde dann 13. April als neue Verfassung
veröffentlicht und hiernach 30. Juni ein Landtag
zusammenberufen. Als der Verfassungsausschuß
wenig Neigung zeigte, die neue Verfassung zu ge-
nehmigen, löste Hassenpstug 4. Jan. 1854 die Stände
auf und änderte dann einseitig die Grundlage des
Wahlgesetzes, die Gemeindeordnung. Allein auch
der hiernach gewählte Landtag wünschte die Ver-