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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Irritantĭa; Irritieren; Irrlicht; Irrsinn; Irrsterne; Irrtum

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Irritantia - Irrtum

Arzt Glisson (1597‒677) eingeführt und von Gorter in Harterwijk (1688‒1762) namentlich aber von A. von Haller (s. d.) ausgebildet.

Irritantĭa (lat.), reizende Heilmittel und Einflüsse, welche namentlich das Gefäß- und Muskelsystem zu lebhafterer Thätigkeit anregen, im Gegensatz zu den Excitantia, den «erregenden» Mitteln, welche insbesondere die sensiblen Nerven zu energischerer Thätigkeit anspornen.

Irritieren (lat.), anreizen, aufreizen, ärgern; oft auch (unter Anlehnung ans Deutsche) irre machen, beirren; Irritation, Aufreizung; irritatīv, irritatorisch, anreizend u. s. w.

Irrlicht, Irrwisch, in Norddeutschland auch Tückebote, sind angeblich kleine, flammenartige und leuchtende, besonders in sumpfigen Gegenden vorkommende Erscheinungen, die durch den leisesten Luftzug fortbewegt werden und von einem Orte zum andern hüpfen sollen. Man hat diese Erscheinung für Gase gehalten, die sich aus faulenden Körpern entwickeln und schon durch die bloße Berührung der Luft entzünden; dabei hat man namentlich auf das selbstentzündliche Phosphorwasserstoffgas hingewiesen; aber die Schilderungen glaubwürdiger Beobachter von I. (List, Knorr, Tschudi, Ule u. a.) stellen der obigen Annahme gewichtige Bedenken entgegen, und die wahre Erklärung dieser Erscheinungen hängt noch von weitern Beobachtungen ab.

Irrsinn, s. Geisteskrankheiten.

Irrsterne, soviel wie Kometen (s. d.).

Irrtum, in der Logik ein jeder für wahr gehaltene Gedanke, der der Wahrheit in der That nicht entspricht. Wird der Grund des I. nicht dem Irrenden, sondern dem Gegenstande zugeschrieben, so nennt man ihn Schein. Formal irrig nennt man eine falsche Meinung, die auf einem logischen Fehler beruht, material irrig diejenige, die, ohne einen logischen Fehler einzuschließen, doch dem Gegenstand nicht entspricht.

Im Civilrecht ist der I. bei Verträgen ohne rechtliche Bedeutung, wenn er sich auf die Motive des einen oder des andern Teils beschränkt. Daß jemand eine Zahlung zurückfordern kann, welche er in dem irrtümlichen Glauben, schuldig zu sein, geleistet hat, ist eine Folge davon, daß dem Erwerbe des Empfängers die Causa (s. d.) fehlt. Anders wenn der eine Kontrahent von dem andern betrogen ist, da hier auch ein I. in den Beweggründen die Anfechtbarkeit begründet. I. in dem Wesentlichen des Geschäfts macht die Erklärung ungültig, weil dem Erklärenden der Wille fehlt, das Geschäft abzuschließen, welches die Worte der Erklärung wiedergeben. Es ist also eigentlich nicht der I., sondern der mangelnde Konsens die Ursache der Ungültigkeit. Deshalb hat Savigny diesen Fall als unechten I. bezeichnet. Als wesentlich bezeichnet man gewöhnlich den I. 1) über die Vertragsart, z. B.: A erhält eine Summe von B, welche ihm dieser unter Bezugnahme auf eine frühere Unterhaltung als Darlehn geben will, während A jene Unterhaltung so verstanden hat, als wolle ihm B das Geld schenken. A. erwirbt Eigentum am Gelde; aber, weil weder ein Darlehn noch eine Schenkung zu stande gekommen ist, kann B das Geld zurückfordern. 2) Wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache gerichtet war als der Wille des andern. Z. B. mit der auf Blatt 215 des Grundbuchs verzeichneten Nummer ist nach der örtlichen Lage das Haus 17 in der Langen Straße bezeichnet. Dieses will auch der Verkäufer auflassen. Der Käufer glaubt aber, durch die Auflassung das Haus 19 zu erwerben, welches dem Verkäufer auch gehört. In diesem Falle geht das Eigentum nicht über. 3) Wenn die irrig vorausgesetzten Eigenschaften der Sache so erheblich sind, daß dieselbe, je nachdem diese Eigenschaften vorhanden sind oder fehlen, im Verkehr zu einer ganz verschiedenen Gattung oder Art von Gütern gerechnet wird. Z. B. beide Kontrahenten glauben, der verkaufte Stein sei ein echter Diamant, demnach wird auch der Preis bestimmt; es ist aber nur ein Similidiamant. Hier ist der Kauf ungültig. 4) Wenn der eine Teil irrtümlich eine Leistung von erheblich größerm Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerm Umfange sich hat versprechen lassen als es sein Wille war. Z. B. bei der Preisberechnung hat der eine Pfund, der andere Kilogramm im Sinne gehabt. Dann ist kein Kauf zu stande gekommen. Dies Resultat entspricht allen Rechten, wenn nur der, welcher sich auf den I. beruft, diesen zu beweisen im stande ist. Maßgebend bleibt immer, daß derjenige, welcher seine Erklärung anficht, sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde (Deutscher Entwurf §. 94). Unter solcher Voraussetzung gilt auch der I. über die Person des Gegenkontrahenten als wesentlich. – Um die großen Nachteile zu beseitigen, welche dem Gegenkontrahenten des Irrenden aus solcher Ungültigkeit erwachsen können, schlägt der Deutsche Entwurf §. 94 statt Nichtigkeit des Geschäfts dessen Anfechtbarkeit von seiten des Irrenden vor, und zwar (§. 96) muß die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Ferner (§. 97) soll der Erklärende, wenn die Erklärung einem andern gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden ersetzen, welchen derselbe dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat (also das sog. negative Vertragsinteresse, s. Interesse), jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches derselbe an der Gültigkeit der Erklärung hat. Die Schadenersatzpflicht soll nicht eintreten, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen mußte). – Über die Bedeutung des I. bei der Eheschließung s. Ehehindernis. – Bei letztwilligen Verfügungen kann auch ein I. im Beweggrunde die Ungültigkeit der Verfügung zur Folge haben, wenn nachzuweisen ist, daß der Erblasser so nicht verfügt haben würde, wenn er nicht geirrt hätte. – Über die Bedeutung des Unterschiedes von Rechtsirrtum und I. über Thatsachen für das bürgerliche Recht s. Ignorantia juris nocet.

Im Strafrecht gilt der Grundsatz, daß sich der Thäter der sämtlichen Merkmale, durch welche seine Handlung vermöge der Definition, die im Gesetz gegeben ist, zu einer strafbaren wird, bewußt gewesen sein muß, wenn er für die Handlung strafrechtlich verantwortlich sein soll, und daß er straflos bleiben muß, wenn er das Vorhandensein einzelner Merkmale nicht kannte. Derjenige, welcher eine fremde Sache in der irrigen Annahme, sie gehöre ihm, wegnimmt, und derjenige, der eine zweite Ehe schließt in dem guten Glauben, der erste Ehegatte sei gestorben, kann nicht wegen Diebstahls und nicht