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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Karikatur

bild, die Darstellung einer Person oder eines Gegenstandes mit in satir. Absicht angeordneten Übertreibungen einzelner ihrer Eigenschaften oder Erscheinungsformen. Die K. gehört sowohl dem Gebiet der bildenden Künste wie dem der Litteratur an als Satire (s. d.). Sie ist eine komische Sitten- und Charakterschilderung, die ihren Witz an den lächerlichen Erscheinungen der Menschen und Tiere ausläßt. Schon das griech. und röm. Altertum kannte und gebrauchte die K. in religiösen und polit. Dingen. In der altchristl. Zeit war Satan ein häufiger Gegenstand der K., und die fratzenhaften Tierungetüme, die verhexten Zwittergestalten mit ungeheuern Mäulern, Tiger-, Affen- und Krötenbeinen, wie sie an den Kirchenportalen des Mittelalters vorkommen, sind ebenso viele K. auf den Teufel und seine Sippschaft. Auch die Juden wurden vielfach Gegenstand der K., indem man sie mit dem Schwein in lächerliche Verbindung brachte. Für eine spätere Art von K. scheint das satir. Epos «Reineke Vos» (s. d.) das erste Vorbild geliefert zu haben. Bald ist es der Esel in allen Verwandlungen geistlicher Würden, in der Mönchskutte, mit rotem Kardinalshut, am Beichtstuhl lauschend, oder der Fuchs als Moralprediger auf der Kanzel; bald der Tod in Gestalt eines menschlichen Gerippes, der Leute aus allen Ständen, vom Papst und Kaiser herab bis zum Bettler und Narren, zum unwillkommenen Tanze abholt. (S. Totentanz.) Mit Beginn der Buchdruckerkunst und der technischen Vervielfältigungsmittel der Zeichnung hub eine Glanzzeit der K. an, der die Kämpfe der Reformation den Stoff boten. Lukas Cranach, Tobias Stimmer, Nikolaus Manuel Deutsch waren die Vertreter der meist gegen den Papst, vielfach aber auch gegen die Reformatoren gerichteten Angriffe mittels Holzschnitt und Kupferstich. Während des 16. Jahrh., besonders während des Dreißigjährigen Krieges, wurde die politische K. neben den weitverbreiteten über die Unsitten der Zeit (Trinken, Kleiderpracht, Volksbedrückung) fortgeführt, ohne daß sie höhern künstlerischen Wert erlangt hätte. Diesen gab ihr zuerst um die Mitte des 18. Jahrh. in England Hogarth (s. d.), der mit bisher nicht gekannter Schärfe die Zeitschäden grausam geißelte und weniger in der Absicht, Lachen als Abscheu zu erwecken, gegen das Laster auftrat. Durch ihn wurde die englische K. auf eine bisher von keiner Nation erreichte Höhe erhoben. Männer wie James Gillray (1757‒1815), Thomas Rowlandson (1756‒1827), George Cruikshank (s. d., 1792‒1878) und auch Isaak Cruikshank haben, unterstützt durch das hochentwickelte Leben Englands, die Art Hogarths fortgesetzt. In gleichem Sinne arbeitete in neuerer Zeit John Leech (1817‒64), George du Maurier, Charles Keene u. a., denen sich in harmloserer und künstlerisch abgerundeter Weise Miß Kate Greenaway, M. R. Caldecott und Walter Crane (geb. 1845) anschlossen. Das Hauptblatt für die englische K., der «Punch», zeichnet sich noch heute durch die feste, stilvolle Haltung sowie durch echt künstlerische Handhabung der K. aus.

Die französische K. des 17. Jahrh., wie sie Callot (s. d.) ins Leben gerufen hatte, war wesentlich durch die hugenottischen Kämpfe, die des 18. Jahrh. durch die Modethorheiten beeinflußt; erst mit der Revolution begann sie politisch und damit geschichtlich bedeutungsvoll zu werden, doch blieb sie zumeist noch im Groteskkomischen stehen und trat nur anonym hervor. Besonders lebhaft entwickelte sie sich unter dem Direktorium, wo ihr C. Vernet zuerst eine künstlerische Gestaltung gab. Doch überwog noch der engl. Einfluß und Hogarths Beispiel. Erst durch die Lithographie wurde die K. allgemeiner verbreitet. Ihr wendeten sich namhafte Künstler, wie Delaroche, Boulangé, M. Mayeux, Raffet, Le Poittevin, zu. Doch erst unter König Ludwig Philipp kam es zur Gründung bedeutenderer Witzblätter. Ch. Philipon gründete 1830 «La Caricature», welche bis zu ihrem Untergang 1835 heftig den König angriff, seit 1832 unterstützt durch «Le Charivari», welcher bis heute die hervorragendsten Zeichner beschäftigt. Als solche sind zu nennen Honoré Daumier (gest. 1879), der sich durch Sittenbilder auszeichnete, Gavarni (s. d., gest. 1866) und Grandville (s. d., gest. 1847), die eigentlichen Gründer der geistvollen, bissigen, aber dabei doch künstlerischen K. in Frankreich, und der sich an sie anschließende Amédee de Noé (gest. 1879). Unter dem zweiten Kaiserreich fanden diese ein reiches Feld für ihre Thätigkeit. Es war seit 1848 das «Journal pour rire», welches 1856 seinen Titel in «Journal amusant» umänderte und als solches vorzugsweise die oft an das sehr Gewagte grenzende Geißelung socialerZustände sich zur Aufgabe machte. Gustave Doré (s. d., gest. 1883) und vorzugsweise Nadar (eigentlich Félix Tournachon, geb. 1820 zu Paris) und Gill (eigentlich L. A. Gosset de Guinnes, geb. 1840 zu Paris) lieferten hervorragende politische K., während Alfred Grévin (gest. 1892) in seinen Darstellungen kokette Frauen bevorzugte. Eine ähnliche Richtung schlug Mars (eigentlich Maurice Bonvoisin, geb. 1849 zu Verviers) ein.

In Deutschland begann im 18. Jahrh. der Witz nach dem Vorbilde Hogarths bildlichen Ausdruck zu erlangen, namentlich durch Ludwig Riepenhausen (1765‒1840) und Joh. David Schubert (1761‒1822), Johann Adam Klein und Johann Christian Erhard. J. ^[Johann Heinrich] H. Ramberg (1763‒1840) und E. Th. Amadeus Hoffmann (1776‒1822) arbeiteten mehr und mehr selbständig werdend, in diesem Sinne, namentlich während der Französischen Revolution und der auf sie folgenden Kriege fort. Mit dem Emporblühen der deutschen Kunst bekam die K. den ihr eigenen Zug des Humorvollen; Ludwig Richter, Hasenclever, Hosemann, Pletsch, Hentschel, Neureuther waren die meist ohne die Absicht zu kränken schaffenden Darsteller des «Biedermanns», des deutschen Kleinbürgertums. Erst das J. 1848 brachte eine politische K. von künstlerischem Wert. Im Mai 1848 wurde der «Kladderadatsch» (s. d.) gegründet, welcher in Wilhelm Scholz (gest. 1893) eine außerordentliche Kraft fand, die tonangebend für Jahrzehnte in der deutschen K. wirkte. In München erscheinen seit 1845 die «Fliegenden Blätter» (s. d.), die aber bald ihre polit. Tendenz aufgaben, um ganz dem Humor zu dienen; ihre Mitarbeiter haben sie mit meisterhaften Arbeiten bereichert und den deutschen Geist der K. auf das höchste gesteigert. In den «Leuchtkugeln», welche in München 1848‒51 erschienen, den «Düsseldorfer Monatsheften» (1847‒63) u. a. Blättern traten namentlich die Düsseldorfer Künstler Schrödter, Henry Ritter, Achenbach, Rethel als Karikaturenzeichner hervor. Den Höhepunkt erreichte der «Kladderadatsch» während der preuß. Konfliktszeit und im Kampf gegen Napoleon Ⅲ.; neben ihm wirkte mit Zeichnungen von Herbert

^[Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.]