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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Kretinen; Kretinismus; Kretischer Stier; Kretischer Versfuß; Kretscham; Kretschmann; Kretschmer

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Kretinen - Kretschmer

gebildeten Leibwache des Königs David, die sonst "Helden" (Gibborim) hießen. Im Volksmunde bezeichnet man jetzt mit K. u. P. eine sehr gemischte Gesellschaft, Gesindel.

Kretinen, frz. Crétins (vom roman. cretina, d.i. Kreatur, elendes Geschöpf), Fexen oder Trotteln, Menschen, die sich durch eine besondere geistige Schwäche und körperliche Mißgestaltung von andern unterscheiden und meist in den Alpenthälern der Schweiz, Savoyens und Piemonts, aber auch in andern Teilen der Alpen, in den Pyrenäen, in Salzburg, Steiermark, Württemberg, in Thüringen, im Harz, in der Rheinebene Süddeutschlands, in Franken und ebenso außer Europa, zuweilen nur auf eine geringe Zahl von Ortschaften beschränkt, gefunden werden: endemischer oder alpiner Kretinismus im Gegensatz zu dem gelegentlich überall einzeln vorkommenden sporadischen Kretinismus. Die Mißgestaltung der K. richtet sich sehr nach dem höhern oder niedrigern Grade des Übels, wonach man vollkommene K., Halbkretinen und Kretinöse unterschieden hat. Meist ist ihr Schädel infolge fehlerhafter Entwicklung abnorm klein, mit überragender Stirn und eingedrückter Nasenwurzel (eigentlicher Kretinenschädel) oder vogelkopf- (Azteken-)artig mit fliehender Stirn (mikrocephal). Auch der Körper ist klein und untersetzt, häufig kaum 1 m lang, meist durch dünne und kurze Extremitäten, krumme Beine, aufgetriebenen Leib, Kropf und andere Mißbildungen verunstaltet. Das monströse Gesicht mit breiter, eingesunkener Nase, dicken wulstigen Lippen, aufgetriebenen Wangen (Myxödem der Haut) und abstehenden Ohren ist ohne geistigen Ausdruck und zeigt häufig schon von Jugend an ein wahrhaft greisenhaftes Aussehen. Die Entwicklung ihrer geistigen Anlagen ist meist verkümmert (angeborener Blödsinn, idiotismus endemicus).

Einen genügenden Aufschluß über die Ursachen des Kretinismus, über die eigentliche erste Veränderung im Körper, die dem Kretinismus vorangeht, zu erlangen, ist bis jetzt nicht gelungen. Gewöhnlich beginnt er mit der frühesten Kindheit, zuweilen jedoch erst nach Verlauf einiger Lebensjahre, und die K. können in ihrem Zustande das 50. Lebensjahr erreichen. Werden davon befallene Kinder frühzeitig aus den Thälern in die gesündere Bergluft gebracht, so ist oft noch Rettung möglich. Man hat auch gefunden, daß der Kretinismus in einer gewissen Höhe (in den Alpen bei 1000 m) nicht mehr vorkommt. Die Zahl der vorhandenen K. und ihr Verhältnis zu der übrigen Bevölkerung schwankt in den verschiedenen vom Kretinismus befallenen Gegenden beträchtlich; so kamen 1883 in Österreich auf 100 000 E. Kretins: in Vorarlberg 34, Tirol 112, Salzburg 309, Kärnten 343, Steiermark überhaupt 240, Graz im besondern 46, Oberösterreich 155, Niederösterreich 79, Krain 51, Istrien 36, in einzelnen Gemeinden bis zu 43,3 Promille. In Aosta zählte man 1882 auf 21000 E. 325 wahre und 755 Halbkretinen. Die entferntern Ursachen des Übels sind schon lange eine vielfach behandelte Streitfrage. Man führt als solche an: ungesunde Nahrung, namentlich schlechte Beschaffenheit des Trinkwassers (z.B. Reichtum desselben an Kalk- und Talksalzen), warme und dabei feuchte und dumpfe Atmosphäre, unzweckmäßige Wohnungen, namentlich tief eingeschnittene, des Sonnenlichts ganz oder doch größtenteils entbehrende Gebirgsthäler, Miasmen, ungenügende Pflege und Abwartung der Kinder, Heiraten unter Blutsverwandten und vorzüglich Erblichkeit. Wahrscheinlich bringen mehrere dieser Ursachen im Verein dieses Übel hervor, obschon diese oder jene von den angeführten Bedingungen an Orten gänzlich fehlen, wo man doch den Kretinismus als endemisch findet. Gewiß ist, daß in jenen Schweizerthälern, in die seit der franz. Besitznahme Gesittung, Bodenkultur, bürgerliche und religiöse Freiheit vorgedrungen sind, der Kretinismus auffallend abgenommen hat. Auch in einigen Gegenden Deutschlands, wo der Kretinismus endemisch war, ist seit neuerer Zeit infolge der fortschreitenden Kultur eine Abnahme desselben bereits bemerkt worden, z. B. in der Rheinpfalz (gleichzeitig mit der Verminderung der Malaria). In der neuesten Zeit hat man gefunden, daß bei Erwachsenen, deren Schilddrüse schwindet oder entfernt wird, manche Erscheinungen des Kretinismus auftreten (z. B. die Schwellung der Haut, das sog. Myxödem) und daß bei vielen K. die Schilddrüse ganz fehlt oder entartet ist, sodaß höchst wahrscheinlich nahe ursächliche Beziehungen zwischen Erkrankungen der Schilddrüse und Kretinismus bestehen. Die Behandlungsarten, die zur Beseitigung und gänzlichen Ausrottung des Übels vorgeschlagen worden sind, beziehen sich hauptsächlich auf diätetische und mediz.-polizeiliche Maßregeln. Neuerdings hat man auch durch Einspritzung von Schilddrüsenextrakt einzelne kretinistische Erscheinungen (Myxödem u.s.w.) beseitigt, sodaß hier möglicherweise ein Fingerzeig für die Heilbehandlung gegeben ist. Kretinismus und Blödsinn in vollster Entwicklung sind unheilbar; für die damit Behafteten sind Versorgungsanstalten zu errichten.

Litteratur. Köstl, Der endemische Kretinismus (Wien 1855); Virchow, Untersuchungen über die Entwicklung des Schädelgrundes (Berl. 1857); Klebs, Studien über die Verbreitung des Kretinismus in Österreich (Prag 1877); Knapp, Untersuchung über Kretinismus in einigen Teilen Steiermarks (Graz 1878); Linzbauer, Kretinismus und Idiotie in Österreich-Ungarn (Wien 1882); Allara, Der Kretinismus (Lpz. 1894).

Kretinismus, Kretins, s. Kretinen.

Kretischer Stier, s. Herakles 2.

Kretischer Versfuß (Creticus, weil aus Kreta stammend) oder Amphimacer (d.h. der an beiden Seiten lange, -_-), Versfuß der antiken Metrik.

Kretscham (vom wend. korcma), soviel wie Wirtshaus, Schenke; Kretschmar (wend. korcmar), Schenkwirt.

Kretschmann, Karl Friedr., Dichter, qeb. 4. Dez. 1738 zu Zittau, studierte seit 1757 in Wittenberg die Rechte, wurde 1764 Oberamtsadvokat, 1774 Gerichtsaktuar in seiner Vaterstadt und starb daselbst, nachdem er 1797 in den Ruhestand getreten war, 16. Jan. 1809. Als Dichter verdankt er seinen Ruf den seit 1769 unter dem Namen des Barden Rhingulph herausgegebenen geschmacklosen "Bardenliedern", in denen er Klopstock nacheiferte. Unter seinen lyrischen und epigrammatischen Gedichten ("Scherzhafte Gesänge", Lpz. 1771) zeichnen sich viele durch Witz und glatte Form aus. Seine sämtlichen Werke, darunter auch Erzählungen und Lustspiele, gab er in sieben Bänden heraus (Lpz. 1784-1805).- Vgl. Knothe, Karl Friedrich K. (Zittau 1858).

Kretschmer, Edmund, Komponist, geb. 31. Aug. 1830 zu Ostritz in der Oberlausitz, kam 1846 nach Dresden, wurde 1854 Organist an der kath. Hof-^[folgende Seite]

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