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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Letztwillige Verfügung

und unterschriebenen Urkunde in Anlehnung an das preuß. Recht als Verfügungsform über den Nachlaß allgemein nur für Vermächtnisse zu, welche in ihrem Gesamtbetrag den 20. Teil des Nachlasses nicht übersteigen. Der Reichstagsbeschluß hat jedoch das auf Verlangen in amtliche Verwahrung zu nehmende Privattestament dem öffentlichen schlechthin gleichgestellt. Bezüglich des letztern kann entweder die gerichtliche oder die notarielle Form, welche der Entwurf ebenso wie der Reichstagsbeschluß beide zuläßt, durch die Landesgesetzgebung für die ausschließlich statthafte erklärt werden. Der Richter muß einen Gerichtsschreiber oder zwei Zeugen, der Notar zwei Zeugen zuziehen. Wer minderjährig ist oder Geschriebenes nicht zu lesen vermag, soll das Testament nur mündlich errichten können. Die bisher erwähnten Testamentsformen sind die sog. ordentlichen Testamentsformen.

Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, welche der Einhaltung der ordentlichen Form entgegenstehen können, teils an gewissen Orten, teils zufolge des besondern Berufs oder Zustandes des Verfügenden, ist von fast allen geltenden Rechten und dem Deutschen Entwurf eine Formerleichterung gewährt, jedoch so, daß die errichtete L. V. nur auf eine beschränkte Zeit nach Beseitigung der Schwierigkeiten wirksam ist (außerordentliche Testamentsformen). Hierher gehören nach dem Deutschen Entwurf (§§. 2219 fg.): 1) Das sog. Nottastament, wenn zu besorgen ist, daß der Erblasser früher sterben werde, als Errichtung in ordentlicher Form möglich, mit Abschluß vor Gemeindevorsteher und zwei Zeugen (Vorbild das Preuß. Allg. Landr. Ⅰ, 12, §. 93 fg.; ähnlich das auf dem Lande errichtete Testament den Gemeinen Rechts und des Code civil Art. 974). 2) Das Testament an einem Ort, der infolge Ausbruchs einer Krankheit oder infolge sonstiger außerordentlicher Umstände abgesperrt ist (s. Absperrung), entweder vor Gemeindevorsteher und zwei Zeugen oder eigenhändige Niederschrift oder mündliche Erklärung vor drei Zeugen (ähnlich Preuß. Allg. Landr. Ⅰ, 12, §§. 198 fg., Code civil Art. 985 fg., Sächs. Gesetzb. §§. 2113, 2154). 3) Das Militär- und Kriegsmarinetestament (Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874 und Entwurf des Einführungsgesetzes zum Bürgerl. Gesetzb. Art. 43). 4) Das Seetestament für Seereisende. Solche Vorschriften finden sich im Preuß. Allg. Landr. Ⅰ, 12, §§. 205, 206, im Code civil Art. 988 fg., im Österr. Bürgerl. Gesetzb. §. 597 und fast in allen neuern Gesetzbüchern des Auslandes. Daß solche in England und vielen amerik. Staaten der Union nicht gegeben sind, dürfte sich daraus erklären, daß diese zumeist eine L. V. in ordentlicher Form durch eigenhändige Niederschrift unter Zuziehung von zwei Zeugen gestatten. Nach dem Entwurf ist eigenhändige Niederschrift oder mündliche Erklärung vor drei Zeugen erforderlich. 5) Das Testament von Personen, welche zu einer Gesandtschaft oder zu einem Berufskonsulat gehören, in Form der Übersendung an den Reichskanzler mit einem Annahmegesuch (Vorbild das preuß. Gesetz vom 3. April 1823).

Ferner bestehen in den Partikularrechten erleichternde Formvorschriften, teils mit Rücksicht auf die Verfügungen zu Gunsten gewisser Personen, so L. V. der Vorfahren zu Gunsten ihrer Abkömmlinge (sog. testamentum parentis inter liberos) der kath. Geistlichen (in Bayern) oder L. V. zu Gunsten gewisser Zwecke, so Verfügungen zu frommen Zwecken.

Der Code civil Art. 968, 1097 und das Badische Landrecht verbieten die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments mehrerer Personen in einer Urkunde, insonderheit das sog. wechselseitige oder reziproke Testament, in welchem sich die gemeinsam Testierenden gegenseitig zuwenden, weil daraus erfahrungsgemäß häufig Streitigkeiten entstehen, eine Gefahr, die noch gesteigert ist, wenn das Testament ein korrespektives, d. h. ein solches ist, bei dem jeder Verfügende den Bestand seiner Verfügung von dem Bestande der Verfügung des andern ausdrücklich oder mittelbar abhängig macht. Das gerade Gegenteil gilt für das Gemeine Recht, das Bayrische Landrecht (Ⅲ, 4, §§. 11, 19), Württemberg, das Sächs. Bürgerl. Gesetzbuch (§§. 2196 fg.); hiernach ist nicht einmal erforderlich, daß die Verfügungen unter sich einen Zusammenhang haben. Ihnen sind zahlreiche neuere Gesetzbücher des Auslandes gefolgt, so noch neuestens das Span. Gesetzbuch von 1889 in Art. 669. Andere Rechte gestatten eine gemeinschaftliche L. V. nur Ehegatten (und Verlobten), so das Österr. Bürgerl. Gesetzb. §§. 583, 1248 und, außer einigen Rechten beschränkten Geltungsgebietes, das Preuß. Allg. Landr. Ⅰ, 12, §§. 614‒616 mit Ⅱ, 1, §§. 482 fg., der Deutsche Entwurf (Reichstagsvorlage) nur Ehegatten, ihnen, weil es der deutschen Auffassung der Ehe entspricht, wenn die Ehegatten nicht bloß während der Dauer der Ehe alle wichtigen Angelegenheiten im beiderseitigen Einverständnis erledigen, sondern auch für den Todesfall ihre Verhältnisse durch gemeinschaftliche L. V. regeln. Für Verlobte genügt Ehe- und Erbvertrag.

Daß eine L. V. in derselben Weise aufgehoben werden kann, in welcher sie errichtet ist, ist allen Rechten gemeinsam. Vielfach ist indessen der Widerruf auch in anderer Weise zulässig (s. Widerruf).

Hat der Erblasser mehrere Testamente errichtet, so gilt nach vielen Rechten nur das zuletzt errichtete. So nach Gemeinem Rechte und nach einer Reihe sich anschließender Rechte, auch nach dem Österr. Bürgerl. Gesetzb. §. 713. Im Preuß. Allg. Landr. Ⅰ, 12, §§. 572 fg. ist ausgesprochen, daß, wenn in dem neuen Testament die in dem frühern enthaltene Erbeinsetzung abgeändert ist, das frühere Testament seine Gültigkeit verliert. Den Grundsatz, daß nach den Umständen zu bemessen ist, wie der Erblasser das Nebeneinanderbestehen beider sich gedacht haben mag, sprechen aus: der Code civil, das Badische Gesetzb. Art. 1036 und das Sächs. Bürgerl. Gesetzb. §. 2216. Ihnen folgt der Deutsche Entwurf §. 2231.

In Ansehung der Verwahrung L. V. bestehen in Deutschland sehr verschiedene Einrichtungen. Abgesehen davon, daß die sog. Privattestamente stets in den Händen den Verfügenden sich befinden, haben sogar die neuern schlesw.-holstein. Verordnungen Wert darauf gelegt, daß die vom Notar beglaubigten Urkunden in den Händen des Verfügenden verbleiben. Für das Gemeine Recht ist die Verwahrung des gerichtlichen Testaments im Gerichtsarchiv herkömmlich, aber nicht notwendig. Die neuern Gesetze schreiben fast ausnahmslos vor, daß die vor dem Gerichte errichteten Verfügungen gerichtlich zu verwahren seien. Notarielle Testamente werden bei dem Gericht verwahrt in Hannover, Baden, Anhalt und Altenburg, meist aber von dem Notar selbst; nach andern, z. B. in Bayern (Gesetz von 1861, Art. 26, 82), können sie auch von dem Verfügenden selbst aufbewahrt werden. Der Deutsche Entwurf