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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Mira; Mirabeau

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Mira - Mirabeau

meindelande zu und man erhält das nötige Gleichgewicht zwischen Rechten und Lasten durch periodische, in der Regel alle 15 Jahre erfolgende Neuverteilung. Der russ. Gemeinbesitz am Lande blieb unberührt durch die Aufhebung der Leibeigenschaft. Seitdem aber das Gesetz von 1861 den Gemeinden die Ablösung der Kopfsteuer (durch Zahlung eines jährlichen höhern Betrages) ermöglicht hat und der alte patriarchalische Familienverband sich zu lockern beginnt, macht sich das Bestreben immer mehr geltend, für die Anteile der Bauern am Boden eigentumsähnliche erbliche Rechte zu begründen, den Gemeinden aber nur ein gewisses Aufsichtsrecht vorzubehalten, ähnlich demjenigen der alten deutschen Dorfgemeinden. – Vgl. A. von Haxthausen, Studien über die innern Zustände Rußlands (3 Bde., Hannov. 1847‒52); Joh.von Keußler, Zur Geschichte und Kritik des bäuerlichen Gemeindebesitzes in Rußland (3 Tle., Riga und Petersb. 1876‒87); M.Wallace, Rußland (deutsch von Röttger, 3. Anfl., Lpz. 1880).

Mira (lat., die «Wunderbare»), s. Walfisch (Sternbild).

Mirabeau (spr. -boh), Honoré Gabriel Riqueti, Graf, franz. Politiker, geb. 9. März 1749 zu Bignon bei Nemours, stammte aus eiuer angeblich im 13. Jahrh. aus Florenz nach Frankreich eingewanderten Familie Riqueti, wahrscheinlicher einer provençalischen Kaufmannsfamilie, die im 16. Jahrh. die später zum Marquisat erhobene Herrschaft M. in der Provence erwarb. Sein Vater, Victor Riqueti, Marquis de M. (geb. 5. Okt. 1715, gest. 13. Juli 1789), hing dem Physiokratischen System an und schrieb in diesem Sinne eine Menge Werke, von denen vor allem der «Ami des hommes» (5 Bde., Par. 1755) Anerkennung fand. Ungeachtet seiner philanthropischen Bestrebungen übte der Marquis in seiner Familie ein hartes Regiment. Honoré M. war der zweite Sohn. Er kam, daheim falsch behandelt und verwahrlost, 1764 nach Paris in ein strenges Militärpensionat und trat 17jährig als Lieutenant in das Kavallerieregiment Berry. Sein wildes Leben hatte jedoch zur Folge, daß ihn der Vater 1768 auf die Insel Ré gefangen setzen ließ, und erst nach sechs Monaten erhielt M. die Erlaubnis, nach Corsica zur franz. Legion abzugehen. Da ihm der Vater aber die Mittel für die militär. Carriere verweigerte, verließ er 1770 als Hauptmann den Dienst und ging auf ein Familiengut in Limousin. Im Juni 1772 heiratete er, um sich seiner Schulden zu entledigen, die Tochter des reichen Marquis von Marignane. Sein Schwiegervater verstand sich aber nur zu einem geringen Jahrgeld; M. sah sich bald zu Grunde gerichtet und im Mai 1773 durch einen Haftbrief in die kleine Stadt Manosque verwiesen. Weil er sein Exil brach, ließ ihn der Vater 1774 auf das Schloß If und von da im Mai 1775 auf das Fort Joux bei Pontarlier bringen. Seine Gattin, die er dringend rief, folgte ihm nicht dahin, und M. trat mit der schönen Sophie de Ruffey, der 24jährigen Gattin des alten Marquis von Monnier, in ein Liebesverhältnis, das eine neue Haft M.s in Dijon zur Folge hatte. Von hier entfloh er in die Schweiz, von da mit Sophie vereint nach Holland, wo er sich im Okt. 1776 zu Amsterdam unter dem Namen Mathieu niederließ und den «Rat an die Hessen und andere an England verkaufte deutsche Völker», d. i. ihren Herren lieber den Gehorsam zu kündigen als sich zu Schergen der Tyrannei zu erniedrigen, den «Essai sur le despotisme» und Schmähschriften gegen seinen Vater veröffentlichte. Inzwischen sprach das Gericht zu Pontarlier das Todesurteil über den Entführer aus, und das Parlament zu Besançon ließ es in effigie vollziehen, während der Vater die Auslieferung des Sohnes betrieb. In der That wurde M. 14. Mai 1777 zu Amsterdam mit Sophie verhaftet und auf den Donjon zu Vincennes, seine Geliebte aber in ein Kloster zu Gien gebracht. In seiner harten Gefangenschaft, die 42 Monate dauerte, schrieb er, wie stets die Schriften anderer plündernd, aber das fremde Gut durch Schwung und Leidenschaft umschmelzend, den glänzenden Essay «Des lettres de cachet et des prisons d’État» (2 Bde., Hamb. 1782). Seine ebendort geschriebenen, von Leidenschaft erfüllten Briefe an Sophie veröffentlichte Manuel u. d. T. «Lettres originales de M., écrites du donjon de Vincennes» (4 Bde., Par. 1792 u. ö.), nicht ohne eigenmächtig dabei zu verfahren. Hier in Vincennes schulte sich M.s reicher Geist. Erst nachdem sein von der rechtmäßigen Gattin geborener Sohn gestorben lvar, erhielt M. die Freiheit, 13. Dez. 1780. Im Sept. 1782 bewirkte er mit genialer Keckheit zu Pontarlier die Aufhebung des gegen ihn und Sophie ergangenen Urteils. Hierauf versuchte er vergebens eine Annäherung an seine Gattin; er machte deshalb einen Prozeß anhängig, den er aber verlor (1783). In Gesellschaft einer jungen Holländerin, Henriette von Nehra, ging er Ende 1784 nach England, wo er 1788 die durch Franklin und Chamfort veranlaßten «Considérations sur l’ordre de Cincinnatus» herausgab, die besonders in Nordamerika große Wirkung hervorbrachten. Zu London schrieb er auch die gegen die Politik Kaiser Josephs Ⅱ. gerichteten «Doutes sur la liberté de l’Escaut», wozu ihn vielleicht holländ. Gold bewogen hatte. Nach Paris zurückgekehrt, begann er, von den großen Bankiers unterstützt, die heftigsten Angriffe gegen die Finanzverwaltung Calonnes. Dieser suchte den gefürchteten Publizisten zum Schweigen zu bringen, indem er ihm 1785 den Auftrag erteilte, eine Schrift gegen die span. St. Karls-Bank zu verfassen, zu der Clavière Material lieferte. Als ihn eine Schrift «Sur les actions de la Compagnie des eaux de Paris» mit Calonne, bei dem er den erhofften Lohn nicht fand, wieder entzweite und ihn auch mit Beaumarchais in Fehde verwickelte, ging M. Mit Empfehlungen des Ministers Vergennes, der ihm nachträglich die Mission eines geheimen Agenten übertrug, nach Berlin. Als solcher drängte sich M. an den Prinzen Heinrich und den Thronfolger, den spätern Friedrich Wilhelm Ⅱ., heran, verfaßte pikante Depeschen und sammelte, unterstützt von dem deutschen Offizier Mauvillon, eine Menge wichtiger Materialien, die er zur Abfassung des Werkes «De la monarchie prussienne sous Frédéric-le-Grand» (4 Bde., Lond. 1787; 8 Bde., ebd. 1788) benutzte. Nach seiner Rückkehr Anfang 1787 schrieb M. aufs neue gegen Calonnes Verwaltung, da er die gehoffte Stellung als Sekretär der Notablen nicht fand.

Unter seinen Flugschriften brachte hauptsächlich die «Dénonciation de l’agiotage au roi et à l’assemblée des notables» (1787) eine schlagende Wirkung hervor. Auch Necker erlitt durch ein ähnliches Pamphlet: «Suite de la dénonciation de l’agiotage» (1788), einen empfindlichen Angriff.

M. galt bereits als ein Hauptvertreter der Interessen des Dritten Standes, als die Zusammenberufung der Reichsstände vorbereitet wurde. Um