Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

421
Nordischer Krieg
Nachdem Karl XII. hieraus noch den Protestan-
ten Schlesiens durch den Vertrag zuAltranstädt(s.d.)
vom 31. Aug. 1707 von dem durch den Spanischen
Erbfolgekrieg bedrängten Kaiser Joseph I. Erleich-
terungen verschafft hatte, zog er nach Rußland, um
die Fortschritte des Zaren Peter aufzuhalten, der
unterdessen Ingermanland erobert, die schwed.
Kriegsvölker in Esthland undLivland zurückgetrieben
und Einfälle in Kurland, Litauen und Polen aus-
geführt hatte. Er drang im Frühjahr 1708 nach
der Beresina vor und rückte im September über
Mohilew in Rußland ein; doch ließ er sich durch
Vorspiegelungen des Kosakenhetmans Mazeppa zu
dem abenteuerlichen Zuge nach der Ukraine verlei-
ten. Mazeppas Plan einer Aufwiegelung der Ko-
saken mißlang; Mangel und ein strenger Winter
richteten unter den Truppen große Verheerungen
an. Dazu kam, daß sein General Lewenhaupt, der
ihm von Kurland her Verstärkungen zuführen sollte,
bei Ljesno am Dnjepr 7. bis 10. Okt. geschlagen
wurde und sich nach Verlust aller Vorräte nur mit
6000 Mann zum Könige durchschlagen konnte.
Zwar eroberte Karl XII. 7. Jan. 1709 die kleine
Festung Wepricz; dagegen belagerte er Poltawa
seit Mai 1709 vergebens und wurde in der Schlacht
bei Poltawa 8. Juli so entscheidend geschlagen, daß
der Rest seines Heers, noch 14000 Mann, aller
Lebensmittel und Munition beraubt, unter Lewen-
haupt sich gefangen geben, er selbst aber zu den
Türken nach Bender fliehen mußte. Während
Karl XII. alles aufbot, die Türkei zum Kriege
gegen Ruhland zu bewegen, was ihm 1711 auch
gelang, erneuerten August II. und Friedrick IV., mit
Peter d. Gr. vereint, den Krieg gegen Schweden.
Der Zar belagerte erfolgreich die festen Städte
Niga, Pernau und Neval in Livland und Esthland,
so daß sich ihm 1710 diese beiden Provinzen unter-
warfen. August II. ging im Okt. 1709 mit einem
sächs. Heere nach Polen, trieb Stanislaus Leszczynski
nach Schwedisch-Pommern und bemächtigte sich wie-
der des Königsthrons. Die Dänen besetzten Schles-
wig, landeten im Nov. 1709 in Schonen und er-
oberten Helsingborg, wnrden jedoch später (10. März
1710) von Stenbock wieder aus Schweden vertrie-
ben. Der Sultan, der ein 200000 Mann starkes
Heer unter dem Großwesir Baltaschi-Mohammed
über den Pruth gesendet und die kaum 30 000 Mann
starke Armee Peters bei Falczy eingeschlossen hatte,
schloß ebenfalls, durch die Zurückgabe Asows be-
friedigt, 23. Juli 1711 mit Rußland Frieden, der
auch ungeachtet einer durch Karl XII. bewirkten
nochmaligen Kriegserklärung vom 17. Dez. 1711
am 18. Nov. 1712 bestätigt wurde.
Inzwischen hatten die Seemächte mit dem Deut-
schen Kaiser für die fchwed.-deutschen Länder im sog.
Haager Konzert 31. März 1710 einen Waffenstill-
stand verabredet, welchem Dänemark, Polen, Preu-
ßen und die schwed. Stände beitraten. Da aber
Karl XII. auf dem Reichstage zu Regensbnrg
30. Nov. 1710 ausdrücklich gegen diesen Vertrag
protestieren ließ, so wurde der Krieg im nördl.
Deutschland wieder fortgesetzt. Die Dänen erober-
ten Stade, besetzten Bremen und Verden, die
Sachsen übersielen Schwedisch-Pommern, und Pe-
ter d. Gr. setzte die Unterwerfung Finlands fort.
Zwar wendete der schwed. General Stenbock, der
ein frisches Heer von 12000 Mann nach Pommern
führte, durch den Sieg bei Gadebusch 20. Dez. 1712
üder die Dänen das Kriegsglück noch einmal anf
Schwedens Seite. Al5 er aber, von den Dänen,
Sachsen und Nüssen eingeschlossen, bei Oldenwort
unweit Tönningen zur Kapitulation genötigt wurde,
blieb dem Administrator von Holstein - Gottorp
nichts übrig, als mit dem Könige von Preußen,
Friedrich Wilhelm I., einen Sequestrationsvertrag
über Stettin und Wismar abzuschließen. Da er-
schien 22. Nov. 1714 Karl XII., der währenddessen
in der Türkei geweilt, unerwartet vor Stralsund,
vertrieb die Preußen aus Usedom und Wollin und
forderte Stettin zurück. Aber Friedrich Wilhelm 1.
verband sich mit Rußland und Sachsen, und auch
der König Georg I. von England, als Kurfürst von
Hannover, trat, weil er sich die von den Dänen
erkauften Herzogtümer Bremen und Verden sichern
wollte, dieser Verbindung bei. Unter diesen Um-
ständen muhte das von Dänen, Sachsen und Preu-
ßen belagerte Stralsund 23. Dez. 1715 kapitulieren
und 19. April 1716 selbst Wismar sich ergeben.
Karl ging nach Schweden zurück, griff aber schon
im März 1716 die Dänen mit einem zusammen-
gerafften Heere von 20000 Mann in Norwegen
an. Zugleich begann er Unterhandlungen mit Peter
d. Gr., der mit den übrigen Verbündeten in Zwiespalt
geraten war, aber ehe diese zu einem Resultat führ-
ten, siel Karl XII. vor Frederikshald 11. Dez. 1718.
Karls Schwesterund Nachfolgerin, Ulrike Eleonore,
brach sogleich die Unterhandlungen ab, erneuerte
den Krieg gegen Ruhland und schloß dagegen, unter
Frankreichs Vermittelung, mit Hannover, Preußen,
Dänemark und Polen Frieden. Demgemäß erhielt
Hannover im Frieden zu Stockholm vom 20. Nov.
1719 die Herzogtümer Bremen und Verden gegen
Zahlung von 1 Mill. Thlr.; Preußen behielt infolge
des Vertrags zu Stockholm vom 1. Febr. 1720
Vorpommern bis an die Peene und zahlte an Schwe-
den 2 Mill. Thlr.; Dänemark gab im Frieden zu
Frederiksborg 13. Juli 1720 Rügen, Stralsund und
Wismar an Schweden zurück, dagegen entsagte
letzteres der Zollfreiheit im Sund, zahlte 600000
Thlr. und ließ Dänemark im Besitz des holstein.-
gottorpischen Anteils an Schleswig. Mit Polen
endlich wnrde 7. Nov. 1719 ein vorläufiger Ver-
trag , der erst 1732 die Geltung als Friede erhielt,
dahin abgeschlossen, daß der Friede von Oliva er-
neuert, August II. als König von Polen anerkannt,
aber zugleich verpflichtet wurde, dem entthronten
Stanislaus Leszczynski den Königstitel zu belassen
und ihm 1 Mill. Thlr. zu bezahlen. Unterdes hatte
Peter d. Gr. den Krieg gegen Schweden fortgesetzt.
Ein schwed. Geschwader wurde 7. Aug. 1720 von
einem russischen geschlagen, die Küste von Wester-
botten sowie 1721 die von Norrland barbarisch ver-
wüstet und Stockholm von einem Angriff der Russen
nur durch die Ankunft einer brit. Flotte unter Ad-
miral Norres gerettet. Erneuerte Landungen der
Russen in Schweden und damit verbundene Ver-
heerungen des Landes nötigten endlich die Königin
Ulrike Eleonore zu dem Frieden zu Nystad 10. Sept.
1721. Schweden trat Livland, Esthland und Inger-
manland, die Bezirke von Kexholm und Wiborg
nebst allen Inseln zwischen Kurland und Wiborg
an Rußland ab und erhielt dafür das übriqe Fin-
land zurück sowie eine Entschädigung von 2 MÜl.Thlr.
So ging durch diesen Krieg das Übergewicht, welches
Schweden 1645-1709 im Norden von Europa be-
hauptet hatte, auf Rußland über. - Vgl. von Noor-
den, Europ. Geschickte im 18. Jahrh., Bd. 2
lDüsseld. 1873).