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Oldenburg (Hauptstadt des Großherzogtums Oldenburg)
Nach langen, oft stürmischen Verhandlungen mit dem «vereinbarenden Landtage» (29. Aug. 1848 bis 14. Febr. 1849) kam das stark demokratisch gefärbte Staatsgrundgesetz vom 18. Febr. 1849 zu stande. Am 30. April trat auch eine verfassunggebende Synode von geistlichen und weltlichen Abgeordneten zusammen, und 15. Aug. ward das neue Kirchenverfassungsgesetz publiziert, welches die Presbyterial- und Synodalordnung durchführte. Gleichzeitig beteiligte sich O. am deutschen Parlament, und die deutsche Reichsverfassung ward daselbst 17. Mai amtlich verkündet. Dann trat der Großherzog 13. Juli 1849 dem sog. Dreikönigsbündnis bei, zu welchem Schritte der Landtag hartnäckig seine Genehmigung versagte. Endlich gelang es der Regierung, mit dem Landtage und der Synode, eine Revision sowohl der Staats- wie der Kirchenverfassung zu vereinbaren, woraus das revidierte Staatsgrundgesetz vom 22. Nov. 1852 und die revidierte Kirchenordnung vom 11. April 1853 hervorgingen. Inzwischen war der Großherzog August 27. Febr. 1853 gestorben; ihm folgte sein ältester Sohn, Großherzog Peter (s. d.). Durch die Verträge vom 20. Juli und 1. Dez. 1853 trat O. der Krone Preußen ein kleines Gebiet von 5,03 qkm am Jadebusen zur Anlegung eines Kriegshafens ab. Zugleich übernahm Preußen den Schutz der oldenb. Küste und Handelsflagge. Der Beitritt O.s zum Deutschen Zollverein, bereits durch Vertrag vom 1. März 1852 festgesetzt, wurde 1. Jan. 1854 vollzogen. Ein langjähriger Erbfolgestreit innerhalb der Familie Bentinck (s. d.) fand seine Erledigung durch die Verträge vom 13. April und 30. Juni 1854. Demgemäß wurde die Herrschaft Kniphausen mit dem Herzogtum O. wieder vereinigt. Aus der Gesetzgebung der nächsten Jahre sind das Gesetz vom 3. April 1855 über das Unterrichts- und Erziehungswesen, die Deichordnung vom 8. Juni 1855 und die Gemeindeordnung vom 1. Juli 1855 hervorzuheben, welche letztere durch die Revidierte Gemeindeordnung für das Herzogtum O. vom 15. April 1873 ersetzt wurde. Durch den Vertrag vom 16. Febr. 1864 trat O. abermals ein kleines Stück Land zur Vergrößerung des preuß. Jadegebietes ab. Nach dem Deutsch-Dänischen Kriege von 1864 versuchte der Großherzog Peter, gestützt auf eine Cession des russ. Kaisers Alexander Ⅱ. vom 19. Juni 1864, die Erbansprüche der gottorpischen Linie auf die Herzogtümer Schleswig-Holstein geltend zu machen. 1866 stellte sich O. auf Seite Preußens und schickte auch seine Truppen zur preuß. Mainarmee ab; 18. Aug. 1866 trat es dem Norddeutschen Bunde bei. Durch Vertrag vom 27. Sept. 1866 verzichtete der Großherzog auf alle Ansprüche seines Hauses an Schleswig-Holstein zu Gunsten der Krone Preußens. Dagegen zahlte Preußen eine Entschädigungssumme von 1 Mill. Thlrn. und trat das holstein. Amt Ahrensböck nebst einigen kleinen benachbarten Distrikten an O. ab. Am 15. Juli 1867 schloß O. mit Preußen eine Militärkonvention. Eine Reorganisation der Verwaltung wurde mit dem Landtag von 1868 zu stande gebracht. Durch das Gesetz vom 3. Febr. 1871 wurde die Erweiterung der Staatsbahnen begründet, die infolge des Vertrags mit Preußen vom 23. Jan. 1873 eine Ausdehnung bis nach Osnabrück und durch die Verträge mit Preußen und Holland von 1874 eine Verbindung mit dem holländ. Eisenbahnnetz erhielten und seitdem auch im Innern erheblich erweitert sind. Die wirtschaftlichen Verhältnisse O.s wurden vielfach durch die Gesetzgebung und staatliche Unterstützung gehoben. Nachdem durch die Wasserordnung vom 20. Nov. 1868 für die Großdistrikte eine zweckmäßige Regulierung der Ent- und Bewässerung erreicht war, wurde durch das Gesetz vom 21. April 1873, betreffend die Teilbarkeit des Grundeigentums, die bisherige Geschlossenheit der bäuerlichen Höfe aufgehoben und eine zweckmäßige Bildung der landwirtschaftlichen Besitzungen ermöglicht. Durch die Gesetze vom 3. April 1876, betreffend den Eigentumserwerb an Grundstücken und deren dingliche Belastung und betreffend die Grundbuchordnung, sowie durch das Gesetz vom 1. April 1879 über die Errichtung und Erhaltung des Katasters wurde für die Sicherheit des Grundbesitzes und für den Realkredit gesorgt, welcher durch die 1881 erfolgte Errichtung einer Bodenkreditanstalt eine weitere Erleichterung erfuhr. Die Errichtung und staatliche Unterstützung von Ackerbau- und landwirtschaftlichen Schulen trug wesentlich zum rationellern und intensivern Betriebe der Landwirtschaft bei. Auch wurde die Vieh- und Pferdezucht durch die Gesetzgebung und staatliche Unterstützung bedeutend gehoben. Durch Gesetz vom April 1894, betreffend die Abänderung des Gehaltsregulativs für die Beamten, wurden fast sämtliche Beamtengehälter nicht unbeträchtlich erhöht. Die schon lange schwebende Frage der Abtretung der zu O. gehörenden drei Nachbargemeinden des Kriegshafens Wilhelmshaven an Preußen (Bant, Heppens und Neuende mit 1895: 20280 E.) ist in negativem Sinne entschieden worden; die Verhandlungen wurden eingestellt. Im Mai 1896 erteilte der Landtag zwei Ministern Mißtrauensvoten. Hiergegen wendet sich der Landtagsabschied vom 15. Juni 1896, der «die im Verfassungsleben der deutschen Staaten unbekannte Form von allgemeinen Mißtrauensvoten» mit Entschiedenheit zurückweist und die verfassungsmäßigen Rechte des Großherzogs in ihrem gesamten Umfang zu wahren verspricht.
Litteratur. Kohli, Handbuch einer histor.-statist.-geogr. Beschreibung des Herzogtums O. samt der Erbherrschaft Jever und der beiden Fürstentümer Lübeck und Birkenfeld (2. Ausg., 2 Bde., Oldenb. 1844); Böse, Das Großherzogtum O. Topogr.-statist. Beschreibung desselben (ebd. 1863); das jährlich erscheinende Hof-und Staatshandbuch des Großherzogtums O. und die Statist. Nachrichten über das Großherzogtum O., hg. vom Statistischen Bureau zu O. (ebd. 1857 fg.); P. Kollmann, Das Herzogtum O. in seiner wirtschaftlichen Entwicklung während der letzten vierzig Jahre (ebd. 1893); von Schrenck, Topogr. Karte des Herzogtums O. in 14 Blättern, Maßstab 1:50000 (ebd. 1856‒63); ders., Karte von dem Herzogtum O., Maßstab 1: 200000 (2. Aufl., ebd. 1869); von Halem, Geschichte des Herzogtums O. (3 Bde., ebd. 1794‒96); Runde, Oldenb. Chronik (3. Ausg., ebd. 1863); Jahrbuch für die Geschichte des Herzogtums O., Ⅰ‒Ⅳ, hg. in den Schriften des Oldenburger Vereins für Altertumskunde und Landesgeschichte (ebd. 1892‒95).
Oldenburg. 1) Amt, ohne die Stadt O., im Großherzogtum O., hat 600,87 qkm und (1890) 33050 (16987 männl., 16063 weibl.) E., darunter 1597 Katholiken und 34 Israeliten, 7 Landgemeinden mit 60 Bauernschaften. – 2) Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums O., liegt an der schiffbaren Hunte, am Hunte-Ems-Kanal und an den Linien Bremen-Wilhelmshaven und O.-Osnabrück