566
Oldenburg (Großherzogtum)
Moritz gestiftete (zweite) Nebenlinie Delmenhorst erlosch schon mit dessen Sohn. Während des ganzen Mittelalters hatten die oldenb. Grafen wiederholt mit den freien Friesen an der Nordsee, mit dem Erzbistum und der Stadt Bremen, dem Bistum Münster und andern Dynasten und Städten zu kämpfen gehabt. 1481 ward die sog. Friesische Weede (Amt Varel) für O. gewonnen, wogegen Delmenhorst an das Bistum Münster verloren ging. Gerhards Sohn Johann ⅩⅣ. (1486‒1526) erwarb nach schweren Kriegen das fries. Stedinger- und Butjadingerland, teils durch Eroberung, teils durch Kauf 1517‒23, überließ dagegen Jever an Ostsriesland.
Sein Sohn Anton Ⅰ. (1526‒73) führte die Reformation ein, hielt sich aber im Schmalkaldischen Kriege zu Kaiser Karl Ⅴ., und so gelang es ihm, 1547 Delmenhorst wiederzuerobern. Er nahm auch zuerst (1531) die Grafschaften förmlich vom Kaiser zu Lehn. Seitdem wurden die Grafen von O. und Delmenhorst auf dem Reichstage zur westfäl. Reichsgrafenbank gerechnet und hatten Sitz und Stimme auf den westfäl. Kreistagen. Antons Söhne teilten abermals, aber die (dritte) Nebenlinie Delmenhorst erlosch 1647 mit Christian Ⅸ., so dass nun die Grafschaften unter Antons Enkel, Anton Günther (1603 – 67), auf immer miteinander vereinigt wurden. Inzwischen waren auch die letzten freien fries. Herrschaften, Jever durch Erbschaft 1575 und Kniphausen durch Vergleich 1624, an O. gefallen. Anton Günther erwarb 1623 und 1653 den einträglichen Weserzoll, und das Land bewahrte im Dreißigjährigen Kriege einen fast ungestörten Frieden und Wohlstand. Die landesherrliche Gewalt war unumschränkt. Die Grafen hatten keinen privilegierten Adel aufkommen lassen, und die Städte waren von geringer Bedeutung; die Landbevölkerung blieb von der Leibeigenschaft verschont. Anton Günther war der letzte seines Stammes, und die Bemühungen, seinem natürlichen Sohne, dem Reichsgrafen Anton von Aldenburg, die Erbfolge zuzuwenden, blieben erfolglos. So setzte er durch den Rendsburger Vertrag vom 16. April 1649 den König von Dänemark und den Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorp zu seinen Lehnserben ein, die denn auch nach Anton Günthers Tode 19. Juni 1667 Besitz ergriffen. Dagegen erhob der Herzog von Schleswig-Holstein-Plön (s. Oldenburger Haus) als näher berechtigter Agnat Klage beim Reichshofrat und wurde durch Reichsexekution in den Besitz der Grafschaften O. und Delmenhorst gesetzt, worauf er diese durch Cessionsakte vom 22. Juni 1676 gegen anderweitige Entschädigung an Christian Ⅴ. von Dänemark abtrat. Die Herrschaft Jever als Weiberlehn vererbte auf die Nachkommenschaft seiner Schwester Magdalena, die mit dem Fürsten Rudolf von Anhalt-Zerbst vermählt war (s. Jever). Die Herrschaft Kniphausen (nebst dem Amt Varel u. s. w.) erhielt der Reichsgraf Anton von Aldenburg, und als Hinterlassenschaft einer Erbtochter ging sie 1761 an die holländ. Familie von Bentinck über.
Die Grafschaften O. und Delmenhorst blieben nun 100 Jahre lang unter Herrschaft der dän. Könige. Endlich überließ sie Christian Ⅶ. durch Traktat vom 1. Juli 1773 an den Großfürsten von Rußland und regierenden Herzog von Holstein-Gottorp, Paul Petrowitsch (später Kaiser Paul Ⅰ.), der dagegen auf alle gottorpischen Besitzungen und Ansprüche in Schleswig-Holstein (s. d.) verzichtete, die Grafschaften aber bereits 14. Dez. 1773 seinem Vetter, dem Fürstbischof Friedrich August von Lübeck, dem Chef der jüngern Gottorper Linie, übertrug. Kaiser Joseph Ⅱ. bestätigte 27. Dez. 1774 dieses Abkommen und erhob O. 22. März 1777 zu einem Herzogtum. Als Friedrich August 6. Juli 1785 starb, wurde die Regierung für dessen geisteskranken Sohn Peter Friedrich Wilhelm (geb. 3. Jan. 1754, gest. 2. Aug. 1823) seinem Vetter Peter Friedrich Ludwig, dem Sohne des Herzogs Georg Ludwig von Holstein-Gottorp, übertragen, der nach dem kinderlosen Tode Peter Friedrich Wilhelms Herzog von O. und so der Stammvater des jetzt regierenden Hauses wurde.
Unter dem mild gehandhabten System des aufgeklärten Despotismus blühte das Land immer mehr auf, bis auch O. in den Strudel der franz. Revolutionskriege hineingerissen ward. Durch den Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Febr. 1803 wurde die Aufhebung des oldenb. Weserzolles zu Elsfleth bestimmt, der jedoch erst 1820 wirklich aufhörte. Dagegen erhielt O. zur Entschädigung das hannov. Amt Wildeshausen und einen Teil des Fürstbistums Münster; zugleich erhielt Peter Friedrich Ludwig das säkularisierte Bistum Lübeck als weltliches Fürstentum. Während des Krieges von 1806 mußte die herzogt. Familie flüchten. Die Franzosen besetzten das Herzogtum, gaben es aber im Tilsiter Frieden 1807 wieder zurück. Dagegen mußte O. sich dem lästigen franz. Kontinentalsystem unterwerfen und nach dem Erfurter Kongreß auch dem Rheinbunde beitreten (14. Okt. 1808). Den von Napoleon Ⅰ. angebotenen Umtausch O.s gegen die Stadt Erfurt und Grafschaft Blankenhain in Thüringen lehnte Peter Friedrich Ludwig entschieden ab und zog sich mit seiner Familie nach Rußland zurück. Darauf wurde das Herzogtum an die beiden franz. Departements der Wesermündung und der Oberems verteilt. Am 1. Dez. 1813 übernahm jedoch Peter Friedrich Ludwig wieder die Regierung. O. trat nunmehr (1815) dem Deutschen Bunde bei und erhielt durch die Wiener Kongreßakte das hannov. (früher münstersche und osnabrückische) Amt Damme sowie einen Teil des vormaligen franz. Saardepartements, der seitdem das Fürstentum Birkenfeld bildet. Auch wurde O. der Rang und Titel eines Großherzogtums zugestanden, wovon jedoch Peter Friedrich Ludwig niemals Gebrauch machte. Außerdem trat der russ. Kaiser Alexander Ⅰ. 18. April 1818 die Herrschaft Jever an O. ab. Die Verhältnisse der Herrschaft Kniphausen wurden nach längern Streitigkeiten durch das Berliner Abkommen vom 8. Juni 1825 dahin geregelt, daß die Familie Bentinck die vormalige Landeshoheit behielt, während O. daselbst diejenigen Oberhoheitsrechte ausüben sollte, die früher dem Deutschen Kaiser und Reich zugestanden hatten. Peter Friedrich Ludwig starb 21. Mai 1829, und ihm folgte sein ältester Sohn August (s. d.), der nun den großherzogl. Titel annahm. Das Herzogtum O. trat 1836 mit Hannover und Braunschweig in einen gemeinsamen Zollverband, den sog. Steuerverein, wogegen die Fürstentümer Birkenfeld schon 1830 an den preuß. Zollverein, Lübeck an den schlesw.-holstein. Zollverband angeschlossen wurden. Der Aufschwung des polit. Lebens seit 1840 machte sich auch in O. fühlbar, und 1847 setzte der Großherzog eine Kommission zur Ausarbeitung einer Verfassung ein. Bevor aber diese vollendet war, brach die franz. Februarrevolution 1848 aus, und es herrschte nun eine demokratische Richtung vor, der die Regierung sich nicht entziehen konnte.