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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Reformation

Am 17. und 18. April 1521 erschien Luther dort vor Kaiser und Reich. Er verweigerte standhaft den Widerruf und ließ die Reichsacht über sich ergehen. Die päpstl. Bulle verhallte in Deutschland ohne Wirkung. Gegen die Folgen der Reichsacht wurde Luther durch den Kurfürsten Friedrich den Weisen von Sachsen auf der Wartburg geborgen. Bald jedoch eilte er nach Wittenberg, wo während seiner Abwesenheit unter Führung von Karlstadt und andern Schwärmern, die den Gottesdienst störten und die Bilder mit Gewalt aus den Kirchen beseitigen wollten (daher Bilderstürmer genannt), die wildeste Zügellosigkeit eingerissen war. Luther suchte durch seine Predigten die Gemüter zu beruhigen und das Werk der Reform fortzusetzen. Schon 1523 gab er eine neue Ordnung des Gottesdienstes heraus, die an einigen Orten eingeführt, jedoch nicht beibehalten wurde. 1524 ließ er die für das Schulwesen so wichtig gewordene Schrift ergehen: "An die Ratsherren aller Städte Deutschlands, daß sie christl. Schulen aufrichten und halten sollen". 1525 weihte er zum erstenmal einen Geistlichen, Rörer, womit er die Unabhängigkeit der Weihe der neuen Geistlichen von der Ordination durch die kath. Bischöfe begründete. Ein zweiter wichtiger Schritt Luthers war, daß er, wie viele seiner Anhänger aus dem Klerus vor ihm, sich verheiratete. In demselben Jahre starb Kurfürst Friedrich von Sachsen. Ihm folgte sein Bruder Johann, der sich offen für die R. erklärte. Auf Luthers Aufforderung, sich des Kirchenregiments anzunehmen, ließ der Kurfürst Johann 1527-29 eine allgemeine Kirchenvisitation halten und das neue evang. Kirchenwesen unter landesherrlicher Hoheit (Summepiskopat) einrichten. In ähnlicher Art schritt die R. auch in Hessen, Braunschweig-Lüneburg, Ansbach, Anhalt sowie in vielen Reichsstädten vor. Eine heftige Protestation der evang. Stände auf dem Reichstage zu Speyer (19. April 1529) gegen dessen Beschlüsse über die kirchlichen Reformen brachte den Anhängern der neuen Lehre den allgemeinen Namen Protestanten (s. Protestantismus) ein. Noch aber fehlte ihr ein öffentlicher Ausdruck ihrer Grundsätze, den alle Reichsstände, welche die R. angenommen hatten, anerkannt hätten. Sie bekam ihn 1530 durch die von Melanchthon verfaßte, von Luther gebilligte Augsburgische Konfession (s. d.), die von den prot. Ständen als ihr und ihrer Geistlichen und Unterthanen Glaubensbekenntnis unterschrieben und dem Kaiser auf dem Reichstage in Augsburg feierlich übergeben wurde. Die Konfession wurde später von allen Reichsständen, die sich der deutschen R. anschlossen, festgehalten, daher diese in den Reichsverhandlungen nun als Augsburgische Konfessionsverwandte bezeichnet wurden. Auch im Auslande, wo die R. Eingang fand, wurde vielfach, wie in Preußen, Kurland, Livland, Finland, Schweden, Norwegen und Dänemark, die Augsburgische Konfession angenommen, während in der Schweiz (s. Reformierte Kirche), in Frankreich (s. Hugenotten) und in England (s. Anglikanische Kirche) die gegen das Papsttum gerichtete Bewegung eine mehr oder weniger von der deutschen R. unabhängige Entwicklung nahm.

Ein ferneres wichtiges Moment für die R. wurde Luthers Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache. Sein Neues Testament erschien zuerst 1522, die vollständige deutsche Bibel 1534. Außerdem hat namentlich das von Luther in ganz neuer Weise gepflegte deutsche Kirchenlied die Ausbreitung der R. sehr gefördert. Die rechtliche Stellung der deutschen R. war lange Zeit eine unsichere. Gegenüber den Bedrohungen durch Karl V. und die kath. Stände traten die ihr anhängenden Reichsstände zu Schmalkalden zu einem Defensivbündnis zusammen (s. Schmalkaldischer Bund). Dieser Bund unterlag zwar, als der Kaiser 1546 und 1547 Gewalt gegen die Protestanten brauchte; allein der neue Kurfürst zu Sachsen, Moritz, besiegte den Kaiser später wieder, worauf 26. Sept. 1555 auf dem Reichstage zu Augsburg der Religionsfriede (s. d.) zwischen dem Kaiser und den kath. Reichsständen und den der Augsburgischen Konfession verwandten Ständen zu stande kam. (S. auch Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 176 b fg.) Damit bekam die R. die rechtliche Anerkennung ihrer Existenz im Deutschen Reiche, und die Jurisdiktion der kath. Bischöfe und des Papstes über die Protestanten war aufgehoben. Freilich wurden von der kath. Kirche alsbald energische Maßregeln zur Unterdrückung des Protestantismus ergriffen. (S. Gegenreformation.)

Inzwischen hatte sich unter den Anhängern der R. selbst heftiger Zwiespalt erhoben. Luther und Zwingli (s. d.) waren schon frühzeitig über die Lehre vom Abendmahl zerfallen, und alle Versuche zur Ausgleichung blieben ohne Erfolg. Nach Luthers Tode entstand ein noch heftigerer Streit zwischen den schroffen Anhängern Luthers und der Schule Melanchthons, der in der Lehre vom Abendmahl (s. d.), vom freien Willen des Menschen und seiner Mitwirkung bei der Bekehrung die echte Lutherische Lehre verlassen zu haben beschuldigt wurde. Diese Streitigkeiten zu schlichten, ließ Kurfürst August von Sachsen die sog. Konkordienformel (s. d.) aufsetzen, verbreitete sie 1580 nebst der ungeänderten Augsburgischen Konfession und deren Apologie, den Heiden Katechismen Luthers und den von Luther für den Konvent zu Schmalkalden 1537 aufgesetzten Artikeln als Symbolische Bücher (s. d.) und führte den Religionseid ein, der alle Geistliche eidlich verpflichtete, den Symbolischen Büchern gemäß zu lehren. Das Beispiel Kursachsens fand bald in den meisten deutschen Ländern, die die R. eingeführt hatten, Nachahmung. Die innere Entwicklung des reformatorischen Princips wurde dadurch gehemmt und die Einheit seiner Bekenner gelähmt. Der Dreißigjährige Krieg drohte die ganze Gestaltung des religiösen Lebens der Gewalt der Waffen zu überantworten. Doch stellten die Bedingungen des Westfälischen Friedens (1648) die rechtliche Existenz des neuen Bekenntnisses fest. Inzwischen erwuchs aber aus dem reformatorischen Geiste eine neue Erweckung des geistigen Lebens in Deutschland. Die ganze Nationalkultur Deutschlands, wie sie sich im 18. Jahrh. ausgebildet hat, ist daraus hervorgegangen und ebenso auch die sittliche Erweckung, die bis ins Innerste des Volkslebens eingedrungen ist und auf die alte Kirche wesentlich zurückgewirkt hat.

Vgl. außer den ältern Hauptwerken von Sleidanus (s. d.) und Seckendorf (s. d.) Woltmann, Geschichte der R. in Deutschland (2. Aufl., 3 Bde., Altona 1817); Marheineke, Geschichte der deutschen R. (2. Aufl., 4 Bde., Berl. 1831-34); Hagen, Deutschlands litterar, und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter (3 Bde., Erlangen 1841-44); Neudecker, Geschichte des evang. Protestantismus (2 Bde., Lpz. 1844-46); Kahnis, Die deutsche R. (Bd. 1, ebd. 1872); Maurenbrecher, Studien und