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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Sardinĭen

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Sardinien (Königreich)

vorgeschichtlicher Zeit. Die kegelförmigen, 12-20 m hohen, unten 10-30 m Durchmesser dicken, aus ungeheuren (unbehauenen oder auch zugerichteten) Steinen erbauten Nurhags (s. d.) sind zu Tausenden, gewöhnlich auf Anhöhen in Gruppen (bis 200), die meisten bei Macomer, erhalten (vgl. Spano, Memoria sopra i Nuraghi di Sardegna, Cagliari 1867); ferner die Riesenbetten, Tumbas de los Gigantes, viereckige, aus Steinen geschichtete, 5-11 m lange, 1-2 m breite Grabmäler. Seltener sind die den kelt. Menhirs und Dolmen entsprechenden Steindenkmäler, die Perdas fittas und Perdas lungas.

Geschichte. Die Insel S. hieß bei den Griechen Sardō, bei den Römern Sardinia, daneben kommen die Namen Ichnusa oder Sandaliotis, nach ihrer fußsohlenähnlichen Form vor. Die Bewohner, abgesehen von den Corsen auf der Nordspitze, Sarden, sind von den Alten bereits als ein eigenartiger Volksstamm erkannt worden, waren aber ihnen schon ein Rätsel, sie werden bald als Libyer, bald als Iberer, bald als Ligurer bezeichnet. Eine Einwanderung von Libyen aus ist bei der Lage S.s ganz glaublich; sprachliche Anzeichen scheinen für die iberische Nationalität und Verwandtschaft mit den Corsen zu sprechen. Die Sarden waren ein seemächtiges, kriegerisches Volk. Als besondere Völkerschaft erscheinen in dem gebirgigen Osten die Iolaer oder Ilier (von den Alten deshalb mit Ilion in Beziehung gebracht). Die griech. Kolonien der Phocäer, die Massalia gründeten, vielleicht auch später der Massalioten selbst, namentlich Olbia (jetzt Terranova), scheinen von keiner langen Dauer gewesen zu sein. Später, seit 500 v. Chr., legten die Karthager an der Südküste die Handelsniederlassungen Caralis und Sulchi oder Sulci an, von wo aus diese allmählich ihre Herrschaft über die Küsten ausdehnten. Im J. 379 versuchten die Insulaner vergeblich das fremde Joch abzuschütteln. Nach dem ersten Punischen Kriege kam S. 238 von den Karthagern in die Gewalt der Römer und bildete mit Corsica eine Provinz mit der Hauptstadt Caralis (jetzt Cagliari), wurde jedoch 215, 181 und 115 v. Chr. durch gewaltige Aufstände der Bergbewohner erschüttert. Das Innere ist nie ganz unterworfen worden und bildete eine Art von Sklavenjagdgebiet für die röm. Statthalter. Die Kornausfuhr war im Altertum bedeutend, auch Viehzucht und Bergbau von Wichtigkeit. In der Folge war S. im Besitze der Vandalen seit 458, der byzant. Kaiser seit 533 n. Chr., der Sarazenen seit Mitte des 8. Jahrh., um 1016 fast ganz in dem des Mugahid, Emirs der Balearen, seit 1007 und nach abermaliger Eroberung durch die Sarazenen (1022) der Pisaner (seit 1052), bei welchen Wechseln der Herrschaft es an langen und blutigen Kämpfen nicht fehlte. Die Pisaner setzten zur Regierung des Landes vier Richter in Cagliari, Torres (Logudoro), Gallura und Arborea ein, welche sich bald nicht nur große Macht, sondern auch die Erblichkeit ihrer Würde verschafften. Mit Unterstützung der Genueser gelang es dem Richter Bariso (Boruson) von Arborea, sich zum Oberherrn der ganzen Insel zu machen, die nun Kaiser Friedrich I. 1164 zu einem Königreiche erhob. Nach mancherlei innern Wirren machte Kaiser Friedrich II. seinen natürlichen Sohn Enzio (s. d.) zum Könige von S. Nach dessen Gefangennehmung durch die Bologneser bemächtigten sich 1250 wieder die Pisaner der Insel, mit Ausnahme von Arborea. Papst Bonifacius VIII. maßte sich die Oberlehnsherrlichkeit über das Königreich an und belehnte damit und mit der Insel Corsica 1296 den König Jakob II. von Aragonien; doch erst 1324 gelangte dieses Haus zum ruhigen Besitz der Herrschaft, über Arborea erst 1386. Bald war S. wieder der Schauplatz vieler Empörungen und verwüstender Bürgerkriege. Die Giudichessa Elonora von Arborea (gest. 1404) zeichnete sich durch Verleihung des Gesetzbuchs Carta de logu aus, dessen Geltung 1421 durch Alfons von Aragonien über die ganze Insel ausgedehnt wurde. Mit Ferdinand dem Katholischen hörte die Verwaltung S.s durch einheimische Fürsten auf, und es traten span. Vicekönige an deren Stelle. Es gehörte nun zu Spanien, bis es im Spanischen Erbfolgekriege 1708 von den Engländern für Österreich erobert und besetzt wurde. Im Utrechter Frieden von 1713 wurde die Insel förmlich dem Hause Österreich zugesprochen. König Philipp V. von Spanien eroberte sie zwar 1717 wieder; doch mußte er sie alsbald, durch Frankreich, England und Österreich genötigt, aufs neue abtreten. Hierauf trat Österreich gegen Sicilien, das der Herzog Victor Amadeus II. von Savoyen im Utrechter Frieden als Königreich erhalten hatte, 1718 (1720) die Insel S. an diesen ab. Seit dieser Zeit bildete sie mit Savoyen und Piemont u. s. w. das Königreich Sardinien (s. d.).

Litteratur. Vgl. Graf Alberto Ferrero de La Marmora, Voyage en Sardaigne ou description statistique, physique et politique de cette île (2. Aufl., 5 Bde., Par. und Tur. 1839-60, nebst Atlas; Bd. 4 u. 5 auch besonders u. d. T.: Itinéraire de l'île de Sardaigne (Tur. 1860); E. Pais, La Sardegna prima del dominio romano (hg. von der Accademia dei Lincei, Rom 1881); Bulletino archeologico sardo (hg. von Spano 1855-64, von Pais 1884-87); von Maltzan, Reise auf der Insel S. (Lpz. 1869); Cugia, Nuovo itinerario dell'isola di Sardegna (2 Bde., Cagliari 1892).

Sardinĭen, von 1718 (1720) bis 1860 Name eines Königreichs in Italien, das außer der Insel Sardinien (s. d.) auf dem Festland die Herzogtümer Savoyen, Aosta, Montferrat und (seit 1815) Genua, das Fürstentum Piemont und die Grafschaft Nizza umfaßte, im ganzen 76000 qkm mit (1857) 5167542 E. (S. Historische Karten von Italien, Bd. 9, S. 756.) Davon wurden zur Abfindung Frankreichs 1860 Savoyen und Nizza verwendet, das übrige ward 1860/61 ein Teil des Königreichs Italien (s. Italien, Geschichte), in dem es jetzt die Provinzen Sassari und Cagliari auf S. und Turin, Cuneo, Porto-Maurizio, Genua, Alessandria und Novara auf dem Festland bildet.

Nachdem schon das 13. Jahrh. in Enzio (s. d.) einen König von S. gesehen hatte, wurde die seit 1296 unter aragonisch-span., seit 1707 unter österr. Herrschaft befindliche Insel aufs neue 1718 zum Königreich erhoben zum Zweck der Entschädigung Victor Amadeus' II. von Savoyen (s. d.), welchem im Utrechter Frieden (s. d., 11. April 1713) außer der Abrundung seines ererbten Gebietes auf dem Festland Sicilien mit der Königskrone zugesprochen worden war. Zwei von Alberoni (s. d.) Aug. 1717 ausgesandte Flotten nahmen aber vorübergehend sowohl Sicilien als S. in Besitz, und als England an der Spitze der Quadrupelallianz die Spanier von den Inseln wieder verdrängt hatte, mußte sich Victor Amadeus an Stelle Siciliens, das an Österreich kam, mit dem minderwertigen S. begnügen; diese Festsetzungen