Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Schiller

459

Schiller (Joh. Christoph Friedrich von)

Augsb. 1888), die ebenso in den "Horen" ("Das Ideal und das Leben", "Der Spaziergang", "Das verschleierte Bild zu Sais") wie in dem "Musenalmanach" von 1796 ("Die Macht des Gesanges", "Der Tanz", "Die Ideale", "Würde der Frauen") ihre Stimme in Strophen und Distichen erhebt. Als die "Horen" 1797 der Ungunst des banausischen Publikums erlegen waren, ließ der streitbare, dem litterar. Kampfe nie abgeneigte S., der Goethe hier nur mit sich zog, im "Musenalmanach" von 1797 das Unwetter der Xenien" los, das weder die alten Rationalisten noch die jungen Idealphilosophen und Romantiker schonte. (Vgl. Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 8, Weim. 1893.) Sein Nachfolger von 1798 schüttete einen erstaunlichen Reichtum von Balladen aus ("Der Ring des Polykrates", "Der Handschuh", "Der Taucher", "Die Kraniche des Ibykus" u. s. w.), und dieser Quell sprudelte weiter ("Der Kampf mit dem Drachen", "Die Bürgschaft", 1799, "Die Glocke", 1800, "Hero und Leander", 1802, "Kassandra", 1803, "Der Graf von Habsburg", 1804), als längst dem Drama des Dichters Hauptinteresse gehörte.

Im Dez. 1799 siedelte S. nach Weimar über, wohin ihn nächst Goethes Freundschaft das Bedürfnis eines stehenden Theaters zog; in Gemeinschaft mit Goethe bildet er auf der weimar. Hofbühne jenen klassicistischen Stil der Darstellung aus, der bei manchen Schwächen doch den hohen Vorzug künstlerischer Einheitlichkeit erreichte. Dem Bedürfnis dieser Bühne dienten S.s Übersetzungen und Bühnenbearbeitungen: Goethes "Egmont" (1790), Shakespeares "Macbeth" (1800), Lessings "Nathan der Weise" (1801), Gozzis "Turandot" (1802), die allerlei Rätseldichtung veranlaßte, Racines "Phädra" (1805), Lustspiele Picards u. s. w. (Vgl. Köster, S. als Dramaturg, Berl. 1891.)

Den ersten großen Treffer dieser Epoche, die Trilogie "Wallenstein" (aufgeführt April 1799, gedruckt 1800), hat er nie überboten. Der wohlthuende Einfluß der Geschichte offenbart sich in der objektiven Ruhe, mit der er die großartige Charaktergestalt des realistischen Helden rundet. Aber auch sein alter Jugendenthusiasmus kam in dem idealistisch schwärmenden Jüngling Max Piccolomini zu Worte; Kantsche Einflüsse spielen in diese Gegensätze hinein. Vortrefflich wirkt die leise histor. Färbung der Sprache. Der charakteristische Humor von "Wallensteins Lager" mit seinen derben Knittelversen atmet eine unverwüstliche Frische, und die wilde Bankettscene der "Piccolomini" mit der Prachtfigur des Illo stellt mit ihrer hinreißenden Energie die weniger gelungenen pathetischen Liebesscenen tief in den Schatten. (Vgl. Werder, Vorlesungen über S.s Wallenstein, Berl. 1889.) S. dachte damals daran, mehrere an sich unsympathische Helden mit teilnahmslosem Realismus, wie er ihn im "Wallenstein" angestrebt, zu behandeln; so die "Agrippina", den Usurpator "Warbeck", später die eitlen Weiber "Rosamund, die Braut der Hölle" und "Elfride"; die reine tragische Wirkung schien ihm unter sentimentalem Mitgefühl zu leiden. Aber schon in der nach Rapin de Thoyras "Engl. Geschichte" und Brantomes Memoiren gearbeiteten "Maria Stuart" (1801; aufgeführt Juni 1800) rückt die Heldin in die S. doch gemäßere idealisierende Beleuchtung: den Zauber des dämonisch-sinnlichen Weibes vermag er nicht wiederzugeben; so drückt er Elisabeth zur Heuchlerin herab, um Maria zu heben. Sind die Charaktere hier flacher, so ist dafür der prozessualische Aufbau der Handlung sehr glücklich. Eine gewisse poet. Vorliebe für kath. Anschauungen teilt "Maria Stuart" mit dem romantischen Schauspiel "Die Jungfrau von Orléans" (1802; aufgeführt Sept. 1801 in Leipzig; vgl. Quiquerez, Quellenstudien zu S.s Jungfrau, Lpz. 1893), das gegen Voltaires karikierte "Pucelle" Front macht. Der epische Einfluß Homers zeigt sich hier nicht immer glücklich in den Schlachtscenen (so im Kampfe mit Montgomery). Dafür entschädigt der grandios aufgebaute erste Akt, die streckenweise prachtvoll bewegte Massenhandlung. Wie hier das antike Epos, so wurde die antike Tragödie verhängnisvoll für die "Braut von Messina" (1803), formell vielleicht S.s glänzendstes Werk, aber undramatisch durch die tief eingreifende Schicksalsidee; an dem Aufblühen der deutschen Schicksalstragödie trug sie erhebliche Mitschuld. Das Experiment, den antiken Chor hier einzuführen, verdarb diesem Drama die durchschlagende populäre Wirkung, die S. seit "Wallenstein" auf der Bühne treu geblieben war. (Vgl. Gerlinger, Die griech. Elemente m S.s Braut von Messina, 4. Aufl., Neuburg 1892.) In S.s letztem Werke, "Wilhelm Tell" (1804), zersplittert die Doppelhandlung, hier Tell und Geßler, dort die Eidgenossen, die Wirkung. Dazu haben S.s unendlich gewissenhafte Studien in Schweizer Chroniken (Tschudi, Joh. von Müller) und Dramen (Spiel von Uri, Bodmer, Ambühl) ihn zu geflissentlich epischer Haltung veranlaßt. (Vgl. J. Meyer, S.s Wilhelm Tell auf seine Quellen zurückgeführt, neu hg. von Barbeck, Nürnb. 1876; Roethe, Die dramat. Quellen von S.s Tell, in den "Forschungen zur deutschen Philologie", Lpz. 1894.) Aber die ruhige Pracht der Sprache hilft über diese Mängel hinweg, und das Thema, die Selbstbefreiung des von fremden Herren geknechteten Volks, zündete um so mächtiger, als das J. 1806 den deutschen Boden für solche Gedanken und Gefühle empfänglich machte.

Mitten in der Arbeit an einem "Demetrius" (hg. von Kettner, Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 9, Weim. 1894; Fortsetzungen von Maltitz, 1817; Bodenstedt, 1856; G. Kühne, 1858; Hebbel, 1864; Laube, 1872; Sievers, 1888; A. Weimar, 1893 u. a.), von dem nur der 1. Akt, eine glanzvoll stürmische Massenscene, der Reichstag von Krakau, vollendet wurde, entsank dem längst mit Krankheit Ringenden die Feder. Lieblingspläne, wie das seltsame Drama aus der korrumpierten Pariser Gesellschaft "Die Kinder des Hauses", das romantische Schauspiel "Die Gräfin von Flandern", das vielbehandelte Thema vom Grafen Königsmark ("Prinzessin von Celle"), das auf reiches Milieu berechnete "Schiff", die "Flibustiers" und vieles andere blieben Pläne oder Fragmente. Ein Festspiel zu Ehren der Erbprinzessin Maria Paulowna: "Die Huldigung der Künste", war die letzte vollendete Arbeit. S. schied auf der Höhe seines Ruhms. Im Herbst 1802 war er in den erblichen Adelstand erhoben worden. Im Frühling 1804 hatte man versucht, ihn nach Berlin zu ziehen. Er starb 9. Mai 1805. Bestattet wurde er auf dem Jakobskirchhof in dem sog. Landschaftskassengewölbe; seine Gebeine ruhen seit 1827 in der Weimarer Fürstengruft. Goethe dachte dem Freunde eine großartige Totenfeier zu (Reste in der Weimarer Ausgabe, Bd. 16); vollendet hat er nur den herrlichen "Epilog zu Schillers Glocke" (1815), in dem es von S. heißt:

Und hinter ihm in wesenlosem Scheine

Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine.