Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Städteordnung'
vom 24. April 1873. Vielfach beschäftigte sich Baden mit der Gemeindegesetzgebung; nach dem Gemeindegesetz von 1831,
mit Abänderungen von 1833,1837, 1851, 1858, 1862 und 1870, erging 1874 eine S., die jetzt in einer Redaktion von 1884 mit
Abänderungen von 1886, 1892 und 1894 gilt. Die hessische S. ist von 1874 und 1894. Mecklenburg kennt nur lokale
Städteverfassungen; in Meiningen und Altenburg beruhen dieselben im wesentlichen auf Statuten; in Coburg haben die Städte
Coburg und Neustadt eigene S.,: in den übrigen deutschen Staaten, außer Braunschweig, Lippe, Schaumburg-Lippe, bestehen
einheitliche Gemeindeordnungen für alle Gemeinden, insbesondere auch in Elsaß-Lothringen, wo an Stelle der französischen mit
1. April 1896 eine besondere freiheitlichere elsaß-lothr. Gemeindeordnung vom 6. Juni 1895 getreten ist. Die Freien Städte
Lübeck, Hamburg und Bremen sind nicht nur Städte, sondern auch Staaten. Der Entwurf einer revidierten S., welchen die preuß.
Regierung 1876 dem Landtag vorlegte, kam nicht zur Erledigung, weil Regierung und Abgeordnetenhaus sich nicht über das
staatliche Bestätigungsrecht bei Gemeindewahlen einigten.
In Österreich haben die Städte eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie in
Deutschland. Im Mittelalter lebten sie nach ihren eigenen Verfassungen, fast gar nicht beschränkt durch die Staatsgewalt. Seit
dem 16., besonders aber im 18. Jahrh. wurden sie der weitgehendsten Staatsaufsicht unterworfen und jeder Selbständigkeit
beraubt. Erst 1849 wurde das Princip der freien Selbstverwaltung wieder anerkannt; erst in diesem Jahre begann die
Gesetzgebung allgemeine und einheitliche Vorschriften über die Gemeindeverfassung aufzustellen. Gegenwärtig ist für das
cisleithanische Gebiet das Gemeindegesetz vom 5. März 1862 maßgebend. Dasselbe enthält jedoch nur allgemeine Grundsätze,
die weitere Ausführung überläßt es den im Wege der Landesgesetzgebung der einzelnen Kronländer erlassenen
Gemeindeordnungen. Einzelne größere Städte haben besondere durch Statuten geregelte Verfassungen (sog.
Statutargemeinden). Für Galizien besteht eine besondere S. vom 13. März 1889.
Die Städteverfassungen in England sind von den Einflüssen der Regierung zwar fast
vollständig befreit, aber, bei dem Durcheinander von Kompetenzen und Bezirken in der engl. Kommunalverwaltung, in ihrem
Wirkungskreise sehr eingeengt. (S. Municipal Corporations.) In
Frankreich ist von Selbständigkeit der Städte, auch der großen, und einer S. keine Rede,
da die Gemeinden nicht als selbstthätige Glieder des Staatskörpers, sondern als staatliche Verwaltungsbezirke einerseits und als
privatrechtliche Vermögenssubjekte andererseits betrachtet werden. In den slaw. Ländern fehlt der für die Entwicklung des
städtischen Wesens notwendige Mittelstand, über die russische S.
s. Gorod. Schweden suchte
durch das Gesetz vom 3. Mai 1862 seine Städte zu heben, indem es ihnen Selbstverwaltung verlieh. In der
Schweiz, wo diese Selbständigkeit seit langer Zeit vorhanden ist, ist die städtische
Verfassung im Fluß begriffen, da sich neben den Bürgergemeinden die Einwohnergemeinden ausbilden.
Vgl. von Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland (4 Bde., Erlangen 1869–71); Heusler, Der Ursprung der
deutschen Stadtverfassung (Weim. 1872); Sohm, Entstehung des deutschen Städtewesens (Lpz. 1890); von Below, Ursprung
↔ der deutschen Stadtverfassung (ebd. 1892); Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der deutschen
Stadtverfassunq (ebd. 1895); Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (4. Aufl., ebd. 1895), §§. 110 fg.; Artikel
Städte im «Österr. Staatswörterbuch», Bd. 2 (Wien 1896); Rietschel, Markt und Stadt (Lpz. 1897).
Städtereinigung, der Inbegriff aller derjenigen Maßregeln, welche die Entfernung der städtischen
Abfallstoffe und die Reinigung der Straßen und Plätze erstreben. (S. Straßenreinigung.) Die Entfernung der
Abfallstoffe, welche in ländlichen Distrikten jedem einzelnen Haushalt überlassen bleiben kann, bedarf in Städten einer
einheitlichen Ausführung und gestaltet sich besonders in Großstädten zu einer der wichtigsten und oft, in Anbetracht der großen
Mengen von Abfallstoffen, schwierigsten Aufgaben der Kommunalverwaltung. Die Abfälle der städtischen Bevölkerung setzen
sich zusammen aus den Küchen- und Hausabwässern, dem Urin und den Fäkalien, dem trocknen Hausmüll und Straßenkehricht,
sowie den Tierkadavern, Schlachthausabfällen u.s.w. Abgesehen von dem dringenden ästhetischen Bedürfnis, diese
ekelerregenden Stoffe möglichst rasch und vollständig zu beseitigen, ist es vor allem eine wichtige sanitäre Forderung, die
Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung durch die Abfallstoffe zu vermeiden. Denn
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1) liefern die faulenden Abfallstoffe große Mengen übelriechender Gase, welche besonders bei schlecht konstruierten Abort- und
Kanalanlagen leicht in die Wohnräume gelangen und dort die Luft verunreinigen; fälschlicherweise werden diese gasförmigen
Produkte oft für die gefährlichste Wirkung der Abfallstoffe gehalten und ihnen sogar, besonders in England, eine ursächliche
Bedeutung für die Entstehung der Infektionskrankheiten, z.B. des Typhus, der Diphtherie u. s. w., zugeschrieben; dem gegenüber
muß betont werden, daß Infektionskrankheiten durch specifische lebende Mikroorganismen, nicht durch Fäulnisgase erzeugt
werden.
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2) Werden die Abfallstoffe in durchlässigen Gruben aufbewahrt, wie dies vielfach in kleinern Orten üblich ist, so können eine
große Menge organischer, fäulnisfähiger Stoffe in den Boden übergehen, das Grundwasser und die Brunnen verunreinigen und
so die Benutzung desselben als Trink- und Brauchwasser unmöglich machen. Auch können von dem stark verunreinigten Boden
üble Gerüche in die Luft aufsteigen. Die noch mehrfach verbreitete Ansicht, daß ein solcher verunreinigter Boden die Verbreitung
von Infektionskrankheiten begünstige, ist nach neuern Forschungen jedoch als unhaltbar anzusehen.
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3) Enthalten die Abfallstoffe lebende Keime von Infektionskrankheiten, so kann eine Weiterverbreitung solcher ansteckender
Krankheiten erfolgen. In dieser Hinsicht kommen zunächst die menschlichen Exkremente in Betracht, sofern sie z. B. von
Cholera-, Typhus-, Ruhrkranken u. s. w. herrühren, ferner die Hauswässer, die zahlreiche Abgänge von Kranken enthalten,
endlich vor allem der trockne Stubenkehricht, in dem sich häufig Eitererreger und Tuberkelbacillen finden. Über die Gefahr der
Verbreitung von Infektionserregern infolge Verstäubens wissen wir, daß die Mehrzahl derjenigen, welche nicht Sporen bilden, so
hochgradige Austrocknung, wie zum Verstäuben erforderlich ist, nicht vertragen, sondern vorher absterben.
Bei der Beseitigung der Abfallstoffe kommen neben der Leistungsfähigkeit der betreffenden Methode auch
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 232.