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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vatikan

Michelangelo griff auf den Grundriß Bramantes zurück, verstärkte die Kuppelpfeiler, führte die Außenfaçaden der Querschiffe und den Tambour der Kuppel auf und hinterließ für die Kuppel selbst Zeichnungen, nach welchen sie Giacomo della Porta und Domenico Fontana unter Sixtus V. (1585-90) ausführten. Seit 1604 leitete Carlo Maderna den Bau, ließ sich aber durch Paul V. bestimmen, das Mittelschiff zu verlängern; dadurch erhielt der Grundriß die Form des lat. Kreuzes; die Wirkung der Kuppel ist sehr beeinträchtigt. 1612 wurde die Façade (s. Tafel: Rom I, Fig. 5) vollendet, 1626 die Kirche von Urban VIII. geweiht. Doch dauerte die Vollendung der Innendekoration, bei der namentlich Bernini thätig war, noch Jahrzehnte lang. Bernini entwarf (1629) auch zwei Glockentürme zu den Seiten der Façade, von denen der eine ausgeführte bald wegen des unsichern Baugrundes wieder abgetragen werden mußte, der andere nie in Angriff genommen ist. Unter Alexander VII. (1655-67) führte Bernini die großartigen vierfachen Kolonnaden um den elliptischen Vorplatz der Kirche auf, welche den Eindruck der Front wesentlich heben. Pius VI. baute 1776-84 den Palazzo della Sagrestia an der Südseite nach Carlo Marchionnes’ Entwurf hinzu. Die Kosten des Baues betrugen bis Ende des 17. Jahrh. über 200 Mill. M., die der Unterhaltung und Ausbesserung belaufen sich auf etwa 150000 M. jährlich.

Die Peterskirche ist mit einem Flächeninhalt von 15160 qm die größte der Welt; die Länge beträgt mit Einschluß der Vorhalle 211,5 m, die Breite der Façade 112,6 m. Die Façade ist 44,3, das Mittelschiff 46,2, die Kuppel innen 123,4, außen bis zur Höhe des Kreuzes 132,5 m hoch; der Durchmesser der Kuppel ist 42 m, 1,5 m weniger als der des Pantheons. Die fünf Eingänge der Front führen in die 71 m breite, 13,5 m tiefe und 20 m hohe Vorhalle, mit prachtvoller Stuckdecke und anderm Schmuck; in der Eingangswand ein Mosaik nach Giotto (1298): La navicella (das "Schifflein" Petri). Über der Vorhalle liegt die sog. Loggia della Benedizione, ein mächtiger saalartiger Raum (Höhe 22 m), der früher öfter zur Abhaltung des Konklaves für die Papstwahl diente; vom Mittelbalkon dieses Saales wurde der Neuerwählte dem Volke gezeigt, und spendete (bis 1870) am Osterfeste den Segen urbi et orbi.

Von der Vorhalle führen fünf Thüren ins Innere der Kirche (s. Tafel: Italienische Kunst III, Fig. 2), die mittelste mit schönen Bronzereliefs von Antonio Filarete (1439-45). Die Kirche hat 3 Schiffe, 10 Kapellen (je 3 neben dem Langhaus, 4 um die Kuppelpfeiler) und außer dem Hauptaltar 29 Altäre. Der Hochaltar unter der Kuppel wird von dem ungeheuern barocken Tabernakel Berninis (29 m hoch; s.Tafel: Altäre II, Fig. 5) überragt; darunter das von 89 ewigen Lampen umgebene Grab des Petrus. Unter den Kunstwerken sind hervorzuheben: die sitzende Bronzestatue des Petrus, wohl ein Werk des 13. Jahrh., mit Unrecht für altchristlich gehalten (s. Tafel: Altchristliche Kunst I); die herrliche Pietà Michelangelos (s. Tafel: Italienische Kunst V, Fig. 4) und zahlreiche Papstgräber (besonders das Sixtus’ IV. von Antonio Pollajuolo, Innocenz’ VIII. von Antonio und Pietro Pollajuolo, Pauls III. von Guglielmo della Porta, Urbans VIII. und Alexanders VII. von Bernini, Clemens’ XIII. von Canova, Pius’ VII. von Thorwaldsen [Figur davon s. Tafel: Thorwaldsen, Fig. 2]). In der Tribuna die kostbare, aber geschmacklose Cathedra Petri von Bernini, ein Bronzegehäuse, das den alten hölzernen Bischofsstuhl des Petrus umschließt, mit den Kolossalfiguren der vier großen Kirchenlehrer. Gemälde enthält die Peterskirche sehr wenige; die großen Altarbilder (u. a. Raffaels Transfiguration, Guercinos Beisetzung der heil. Petronella, Domenichinos Kommunion des heil. Hieronymus, Guido Renis Erzengel Michael) sind seit dem vorigen Jahrhundert durch meisterhafte Mosaikkopien (von Cristofani) ersetzt, da die Originale durch Feuchtigkeit zu leiden begannen. - Die Krypten (sog. Grotte Vaticane) unter der Kuppel und dem Langhause enthalten zahlreiche Kunstwerke aus der alten Kirche, Papst- und Fürstengräber (u. a. des deutschen Kaisers Otto II., gest. 983, und Gregors V., des Vetters Ottos III., gest. 999). - Der Palazzo della Sagrestia, ein sechsstöckiger Prachtbau, enthält außer den Sakristeiräumen die Wohnungen der Domherren, das Archiv und den Schatz der Basilika (in letzterm schöne Kandelaber, angeblich von Michelangelo und Benvenuto Cellini, eine kostbare Dalmatica, die Karl d. Gr. getragen haben soll, u. a.).

^[Abb.]Peterskirche (Grundriß).

1. Statue des Petrus. 2. Statue Pius’ VI. 3. Grabmal Pauls III. 4. Pietà von Michelangelo. 5. Kapelle des heiligen Sakramentes. 6. Grabmal Sixtus’ IV. 7. Gregorianische Kapelle. 8. Madonna del Soccorso. 9. Denkmal Clemens’ XIII. 10. Kapelle des Erzengels Michael. 11. Cappella della Colonna. 12. Clementinische Kapelle. 13. Grabmal Pius’ VII. 14. Chorkapelle. 15. Grabmal Innocenz’ VIII. 16. Sagrestia comune. 17. Sagrestia dei canonici. 18. Stanza capitolare. 19. Sagrestia de’ beneficiati. 20. Kirchenschatz.