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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Venezuela

Miranda niedergeschlagen war, erhob sich V. 1811 von neuem gegen die span. Herrschaft und erklärte seine Unabhängigkeit. Es war nach blutigen Kämpfen unter Miranda und Bolivar (s. d.) gegen die Spanier seit 1821 ein Bestandteil der Föderativrepublik Columbia (s. d.) bis zum 17. Nov. 1831, wo sich diese definitiv in drei selbständige Freistaaten V., Neugranada und Ecuador auflöste. Die ersten Präsidenten waren: José Antonio Paëz (s. d.), seit 1835 Vargas, seit 1830 abermals Paëz, seit 1843 Carlos Soublette. Unter diesem wurde 20. April 1843 eine Reform der Verfassung bewirkt und durch den Madrider Vertrag vom 30. März 1845 die Unabhängigkeit der Republik V. von Spanien anerkannt. Seit 1846 entstand ein Rassenkrieg zwischen der weißen und der farbigen Bevölkerung, infolgedessen Tadco Monágas 23. Jan. 1847 Präsident ward. Dieser erregte durch schlechte Verwaltung große Unzufriedenheit und übergab nach Ablauf seiner Periode die Präsidentschaft seinem Bruder José Gregorio Monágas, der sie 1855 wiederum seinem Bruder überlieferte. Dieser brachte eine neue Staatsverfassung zu stande, die 19. April 1857 verkündigt wurde; aber bald brach eine Bewegung aus, die Monágas 15. März 1858 zur Abdankung nötigte. General Castro übernahm provisorisch die Präsidentschaft und berief einen "großen Nationalkonvent" zusammen. Aus dieser Versammlung ging die Verfassung vom 24. Dez. 1858 hervor, die 29. Jan. 1859 verkündet wurde. General Juliano Castro wurde zum Präsidenten gewählt, aber schon im August gestürzt und durch Pedro Gual ersetzt. Der im April 1860 eröffnete Kongreß proklamierte Manuel Felipe Tovar zum Präsidenten. Im Aug. 1860 begannen jedoch neue Unruhen der Föderalisten, und da Tovar von seiner eigenen Partei aufgegeben wurde, übernahm der alte Paëz Ende Aug. 1801 die Präsidentschaft mit diktatorischer Gewalt, legte sie aber 15. Juni 1863 zu Gunsten Juan Chrisostomo Falcons nieder, den die Repräsentanten 17. Juni 1863 zum provisorischen Präsidenten proklamierten. Gegen diese Wahl erklärte sich General Leon de Febres Cordcro und organisierte eine Gegenregierung. Doch behielt Falcon die Oberhand und berief zum 10. Dez. einen konstituierenden Kongreß, der 28. März 1864 eine neue föderalistische Verfassung beschloß, auf Grund deren Falcon 18. März 1865 abermals zum Präsidenten gewählt wurde. Im Okt. 1867 brachen bei Caracas ernste Unruhen aus; 22. Juni 1868 bemächtigten sich die Insurgenten Caracas' und 15. Okt. 1868 schlug General Monágas die Anhänger Falcons, der schon früber aus dem Lande geflohen war, bei Puerto-Cabello. Bei der 18. Okt. stattfindenden Präsidentenwahl erhielt Monágas die Majorität, starb aber schon 18. Nov.; die Wahl fiel darauf auf seinen Sohn José Ruperto Monágas, der sich indessen als höchst unfähig erwies. General Antonio Guzman (s. d.) Blanco setzte 1870 eine neue Revolution in Scene, nahm 27. April nach dreitägigem Kampfe Caracas und ließ sich durch einen nach Valencia einberufenen Kongreß zum provisorischen Präsidenten wählen. Im Aug. 1871 kam es in verschiedenen Staaten aufs neue zu heftigen Parteikämpfen, doch schlug Guzman Blanco die Aufrührer bei San Fernando de Apure aufs Haupt und besiegte 1872 den General Salazar. Hierdurch erlangte d!e Revolution vorläufig ihren Abschluß, und Guzman wurde 1873 auf weitere vier Jahre zum Präsidenten gewählt. Während dieser Zeit geschah viel für Handel und Verkehr sowie für Kunst und Wissenschaft, so daß sich der Wohlstand des Landes merklich hob. Durch Dekret des Kongresses vom 2. Mai 1874 wurden alle Klöster des Landes aufgehoben. 1877 wurde der General Linares-Alcantara zum Präsidenten gewählt, starb aber im folgenden Jahre. Sein Tod war das Signal zu einem neuen Bürgerkriege, indem Guzman Blanco 26. Febr. 1879 die Regierung von neuem an sich riß und 1881 eine Verfassungsänderung durchsetzte, die die Rechte der Einzelstaaten zu Gunsten der Centralgewalt wesentlich beschränkte. In dieser Stellung verharrte er bis zum 20. Febr. 1884. Ihm folgte General Joaquin Crespo, ein Indianer, der bis zum 20. Febr. 1886 im Amte verblieb. Zu seinem Nachfolger wurde abermals Guzman Blanco erwählt, der jedoch schon Aug. 1887 zu Gunsten Lopez' zurücktrat. Neue Parteikämpfe nötigten diesen ebenfalls schon im folgenden Jahre abzudanken, worauf Rojas Paul zum Präsidenten gewählt wurde. Ihm folgte 20. Febr. 1890 Andueza Palacio. Dieser suchte die Dauer der Präsidentschaft von zwei ans vier Jahre zu verlängern und blieb auch, obgleich diese Frage beim Ablauf seines Termins (20. Febr. 1892) noch nicht geregelt war, im Amte; dagegen erhob sich die Partei der sog. Legalisten, an deren Spitze der General Crespo trat. Ein Bürgerkrieg brach aus, in dem Crespo den Präsidenten Palacio vertrieb, so daß er 6. Okt. in Caracas einziehen konnte. Er schaltete zunächst als Diktator und erließ 21. Juni 1893 eine neue Verfassung, auf Grund deren er 5. März 1894 auf vier Jahre zum Präsidenten gewählt wurde. Ein Grenzstreit mit Großbritannien, der bereits mehrere Jahrzehnte schwebt, nahm im J. 1895 eine bedrohliche Gestalt für V. an. Die Engländer beanspruchen nämlich das ganze Stromgebiet des Essequibo als zu Britisch-Guayana gehörig und hatten schon 1840 durch den Ingenieur Schomburgk einseitig die Grenze in diesem Sinne feststellen lassen. Dagegen erhoben die Venezuelaner, die den Essequibo selbst als Grenze angesehen wissen wollen, Protest, da ihnen auf diese Weise ein etwa 180000 qkm großes Gebiet und die Herrschaft über die Orinocomündung entzogen wurde. Mehrfache Verhandlungen führten zu keinem Resultat, England rückte vielmehr seine Grenze noch weiter nach Westen vor, und endlich griff V. zur Selbsthilfe, indem Jan. 1895 venezuel. Soldaten einige engl. Posten in dem streitigen Gebiet überfielen und engl. Beamte gefangen nahmen; zwar ließen sie sie auf die energische Forderung Englands wieder frei, zu einer weitern Genugthuung und zur Anerkennung der engl. Gebietsansprüche ließ sich V. trotz eines engl. Ultimatums jedoch nicht herbei, da es sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten sicher wußte, die Aug. 1895 die Einsetzung eines Schiedsgerichts in Vorschlag brachten. Da England diesen Vorschlag ablehnte, setzten die Vereinigten Staaten aus eigener Machtvollkommenheit eine parlamentarische Kommission zur Feststellung der Grenzlinie ein. Unter diesen Umständen sah England von einem gewaltsamen Vorgehen gegen V. ab und verstand sich sogar 9. Nov. 1896 zu einem Vertrage, wonach zur Entscheidung der Grenzfrage eine aus fünf Mitgliedern bestehende Kommission eingesetzt werden soll, von denen je zwei von England und Amerika gewählt werden, während das fünfte durch Kooptation ernannt wird.

Litteratur. Spence, The land of Bolivar (2 Bde., Lond. 1878); Jenny de Tallenay, Souvenirs de V.