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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Wiederaufnahme (des Verfahrens)

wiederholt. Die früher geprüften Forderungen werden nur insoweit von neuem geprüft, als es sich um eine inzwischen eingetretene Tilgung handelt. Für das nach erfolgter Schlußverteilung aufgehobene Konkursverfahren ist eine förmliche W. nicht vorgesehen. Doch können hier später ermittelte Vermögensstücke eine Nachtragsverteilung (s. d.) veranlassen. – Die Österr. Konkursordnung hat die W. in den §§. 241 fg. in ähnlicher Weise geregelt. Sie wird hier Wiedereröffnung des Konkurses genannt.

Wiederaufnahme des Verfahrens. Ⅰ. Im Civilprozeß gewährt die Deutsche Civilprozeßordnung (§§. 541,554) zwei außerordentliche Rechtsbehelfe für Wiedereröffnung eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens, also für Beseitigung der rechtskräftigen Entscheidung, welche den gemeinsamen Namen W. des Verfahrens führen: die Nichtigkeits- und die Restitutionsklage. Die Nichtigkeitsklage findet statt wegen gewisser fundamentaler Mängel des Verfahrens, nämlich, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, wenn ein gesetzlich ausgeschlossener oder wirksam abgelehnter Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, und wenn eine Partei nicht gehörig vertreten war. Die Restitutionsklage wird aus sieben Billigkeitsgründen gewährt, entnommen daraus, daß dem anzufechtenden Urteil entweder eine strafbare Handlung (vorsätzlicher oder fahrlässiger Meineid einer Partei, eines Zeugen oder eines Sachverständigen, Urkundenfälschung, strafbare Erwirkung des Urteils, Verletzung der Richterpflicht) oder ein wieder beseitigtes Strafurteil zu Grunde liegt, oder demselben neu aufgefundene erhebliche Urkunden entgegengestellt werden sollen. Doch ist die Restitutionsklage nur dann zulässig, wenn die Partei unverschuldet zur Geltendmachung des Restitutionsgrundes im frühern Verfahren außer stande war. Zuständig ist für die Klagen grundsätzlich, nur mit gewissen durch die W. des Verfahrens bedingten Modifikationen, dasselbe Instanzgericht, von welchem das anzufechtende Urteil erlassen worden war. Auf die Klageerhebung und das weitere Verfahren finden die allgemeinen Vorschriften entsprechende Anwendung, jedoch mit folgenden Abweichungen. Die Klagen sind binnen einer einmonatigen Notfrist, beginnend mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes, zu erheben, nach fünf Jahren seit der Urteilsrechtskraft jedoch nicht mehr statthaft. Nur bei der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung läuft die Notfrist erst von der Zustellung des Urteils an die Partei oder deren gesetzlichen Vertreter. Die Klage muß die Bezeichnung des anzufechtenden Urteils und der zu erhebenden Wiederaufnahmeklage enthalten. Das Gericht hat die Statthaftigkeit der W. an sich und nach Form und Frist von Amts wegen zu prüfen. Soweit die Hauptsache von dem Anfechtungsgrunde betroffen wird, wird sie von neuem verhandelt. Die Verhandlung über Grund und Zulässigkeit der W. kann von der Verhandlung über die Hauptsache gesondert oder mit ihr verbunden werden. Das ergehende Endurteil ist nur soweit anfechtbar wie das frühere Urteil.

Diese W. ist durch das Gesetz vom 22. Juni 1889, §. 82, auf die rechtskräftige Entscheidung über den Anspruch auf Alters- und Invaliditätsrente ausgedehnt.

Die Österr. Civilprozeßordnung vom 1. Aug. 1895 hat in §§. 529‒547 ähnliche Bestimmungen wie die deutsche über die Nichtigkeits- und die Wiederaufnahmeklage getroffen.

Ⅱ. Im Strafprozeß findet die W. eines durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens nach der Deutschen Strafprozeßordnung (§§. 399‒413) in zweifacher Richtung statt. a. Einmal zu Gunsten des verurteilten Angeklagten, 1) wenn eine zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde gefälscht war, 2) wenn ein zu seinen Ungunsten abgegebenes Zeugnis oder Gutachten auf Verletzung der Eidespflicht beruhte, 3) wenn bei dem Urteil ein Richter, Geschworener oder Schöffe unter strafbarer Verletzung der Amtspflicht mitgewirkt hat, 4) wenn ein dem Strafurteil zu Grunde liegendes civilgerichtliches Urteil später rechtskräftig aufgehoben ist, 5) wenn neue Thatsachen oder Beweise beigebracht sind, welche allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung oder eine mildere Bestrafung des Angeklagten zu begründen geeignet sind. Durch den Antrag auf W. wird die Vollstreckung des Urteils an sich nicht gehemmt; doch kann das Gericht deren Aufschub oder Unterbrechung anordnen. Andererseits wird der Antrag weder durch die erfolgte Vollstreckung noch durch den Tod des Verurteilten ausgeschlossen, wobei letzternfalls der Ehegatte, die Ascendenten und Descendenten und die Geschwister zu dem Antrage befugt sind. b. Sodann zu Ungunsten des freigesprochenen Angeklagten, sofern in dem frühern Verfahren zu Gunsten desselben eine gefälschte Urkunde vorgebracht oder ein auf Verletzung der Eidespflicht beruhendes Zeugnis oder Gutachten abgegeben war, sofern bei dem frühern Urteile ein Richter, Geschworener oder Schöffe unter strafbarer Verletzung der Amtspflicht mitgewirkt hat, oder wenn von dem Freigesprochenen ein glaubhaftes Geständnis der Strafthat gerichtlich oder außergerichtlich abgelegt wird. Eine W. des Verfahrens zum Zwecke der Änderung der Strafe innerhalb des durch dasselbe Gesetz bestimmten Strafmaßes findet nicht statt. Erforderlich ist, daß, wo der Antrag auf eine strafbare Handlung gegründet wird, wegen dieser eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus andern Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. In dem Antrage auf W. müssen der gesetzliche Grund derselben und die Beweismittel angegeben werden. Die Verhandlung bei dem zuständigen Gericht zerfällt in Entscheidung über die Zulässigkeit und über die Begründetheit des Antrags. Ist dieser zulässig, so veranlaßt das Gericht eine etwa erforderliche Beweisaufnahme und fordert dann die Staatsanwaltschaft und den Angeklagten zu fernerer Erklärung binnen bestimmter Frist auf. Demgemäß ist, sofern der Antrag keine genügende Bestätigung gefunden hat, derselbe ohne mündliche Verhandlung als unbegründet zu verwerfen, andernfalls die W. und die Erneuerung der Hauptverhandlung anzuordnen. Ist der Verurteilte bereits verstorben, so hat ohne Erneuerung der Hauptverhandlung das Gericht nach Aufnahme des etwa noch erforderlichen Beweises entweder auf Freisprechung zu erkennen oder es hat den Antrag auf W. abzulehnen. Auch in andern Fällen kann das Gericht sofort freisprechen, bei öffentlichen Klagen jedoch nur unter Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Mit der Freisprechung ist Aufhebung des frühern Urteils zu verbinden und dieselbe auf Antrag in öffentlichen Blättern bekannt zu machen. Kommt es zu erneuter Hauptverhandlung, so ist entweder das frühere Urteil aufrecht zu erhalten oder anderweit in der Sache zu erkennen. Ist die W. des Verfahrens nur von dem Verurteilten