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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Württemberg (Geschichte)

und einen weitern außerordentlichen Militärkredit von 3 700 000 Fl. genehmigt hatte, wurde 22. Okt. die Zweite Kammer aufgelöst und Neuwahlen angekündigt. Dieselben erfolgten 5. Dez. mit einer bedeutenden Niederlage der Partei der Großdeutschen und der Volkspartei. Der Vertrag W.s mit dem Norddeutschen Bunde und die Militärkonvention wurden von beiden Kammern mit großer Mehrheit genehmigt. Die Verkündigung der Bundesverträge erfolgte 1. Jan. 1871, an welchem Tage W. ein Glied des neuen Deutschen Reichs wurde. Bei den Reichstagswahlen vom 3. März 1871 wurden in den 17 Wahlbezirken 16 national gesinnte Männer und ein Ultramontaner gewählt. Die auf kurze Zeit einberufene Kammer genehmigte 28. Juni die von der Regierung geforderte Steuererhöhung. In der Wintersession wurde 7. und 8. Febr. 1872, entgegen einem Antrag der Großdeutschen, mit 60 gegen 29 Stimmen beschlossen, daß sowohl zu Linderungen der Deutschen Reichsverfassung mit Einschluß der Kompetenzerweiterungen als zum etwaigen Verzicht auf württemb. Reservatrechte nicht ein Beschluß der württemb. Stände erforderlich sei, sondern Zustimmung von Bundesrat und Reichstag der allein vorgeschriebene Weg sei.

Auf kirchlichem Gebiet waren der Regierung Konflikte erspart, nicht aber den Bischöfen. Als der 17. Juni 1869 vom Domkapitel zum Bischof gewählte und 22. Nov. von der päpstl. Kurie als solcher bestätigte Hefele den Beschlüssen des Vatikanischen Konzils, gegen welche er in Rom 13. Juli gestimmt hatte, im folgenden Jahre wie alle andern deutschen Bischöfe sich unterwarf und seiner Diöcese dies mitteilte, ließ die Regierung bekannt machen, daß sie dem Dogma von der persönlichen Unfehlbarkeit des Papstes keinerlei Rechtswirkung auf staatliche oder bürgerliche Verhältnisse zugestehe und zur Durchführung der Konzilsbeschlüsse den weltlichen Arm nicht leihe.

Der Landtag vom 30. Okt. 1872 bis 21. März 1873 hatte hauptsächlich das Budget und die Eisenbahnvorlagen zu beraten und aus dem Anteil W.s (85 176 303 M.) an den Kriegskontributionsgeldern die für die Wiederherstellung des Armeematerials nötigen Summen zu bewilligen. Ein von der Regierung auf das wiederholte Ersuchen der Zweiten Kammer vorgelegtes Verfassungsgesetz, die auf die Geschäftsordnung sich beziehenden Verfassungsbestimmungen (Urlaub der Beamten, selbständige Bestellung des Präsidiums der Zweiten Kammer, Initiative der Kammern bei Gesetzesvorschlägen u. s. w.) betreffend, wurde von der Zweiten Kammer 7. Jan. 1874 und, nach Verständigung mit der Ersten Kammer, 29. Jan. definitiv angenommen. Die Neubildung des württemb. Armeekorps war 1. Okt. 1874 vollendet. Bei den Reichstagswahlen vom 10. Jan. 1874 wurden 13 Nationalliberale, 3 Klerikale und 1 Demokrat gewählt. In der Landtagssession vom 15. März bis 30. Juni 1875 veranlaßte die Schulschwesternfrage eine Kulturkampfdebatte in der Zweiten Kammer. In der Debatte über das Reichseisenbahnprojekt sprach sich die Zweite Kammer mit 78 gegen 8 Stimmen für Erlaß eines Reichseisenbahngesetzes und gegen Überlassung der deutschen Eisenbahnen an das Reich aus, welchem Votum die Erste Kammer 1. April 1876 einstimmig beitrat. Das Gesetz über Bildung eines Staatsministeriums wurde von der Zweiten Kammer 27. Juni, das über Bildung eines Verwaltungsgerichtshofs, der aus Mitgliedern des obersten Landesgerichts und des Geheimen Rates bestehen sollte, von der Zweiten und Ersten Kammer 31. Okt. und 3. Nov. angenommen. Zum Präsidenten des Staatsministeriums wurde 1. Juli 1876 der Minister von Mittnacht ernannt.

Bei den Neuwahlen für die Zweite Kammer 13. Dez. setzte die nationale Partei 26, die Regierungspartei 29, die Demokraten 14, die Klerikalen 11 Kandidaten durch. Die Zweite Kammer nahm das Steuergesetz an, wodurch die Landwirtschaft auf Kosten des Gewerbes begünstigt wurde, und genehmigte das Beamtengesetz, das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Volksschullehrer und das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Lehrer und Lehrerinnen an höhern Mädchenschulen. Der vom 19. Nov. 1878 bis 22. Febr. und vom 16. Juli bis 21. Aug. 1879 tagende Landtag genehmigte das Budget, die zur Ausführung der Reichsjustizgesetze vorgelegten Entwürfe und das Forststrafgesetz und Forstpolizeigesetz. In der Session vom 6. Dez. 1880 bis 17. März 1881 wurde von den Kammern das Sportelgesetz beraten und angenommen, die Verlegung des forstlichen Unterrichts von Hohenheim nach Tübingen beschlossen und mit 56 gegen 16 Stimmen die Bitte an die Regierung gerichtet, im Bundesrat auf Einführung des Tabaksmonopols hinzuwirken. Durch Verordnung vom 20. März 1881 wurde dem Ministerium des Auswärtigen und der Verkehrsanstalten ein aus Vertretern des Handels, der Gewerbe und der Landwirtschaft gebildeter Beirat der Verkehrsanstalten beigegeben, welcher jährlich einberufen wurde, um über verschiedene Fragen des Eisenbahnwesens gutachtliche Äußerungen abzugeben. Der Beschluß der Ersten Kammer, welcher in der Zusammensetzung derselben eine Änderung beantragte, veranlaßte die Zweite Kammer und das Ministerium, sich in der Session von 1886 für eine zeitgemäße organische Umgestaltung der Zusammensetzung der Ständeversammlung auszusprechen. Auch wurden in der Session von 1886 die Gesetze über Feldbereinigung und über die Kosten der Stellvertretung für Beamte, welche Kammermitglieder sind, angenommen. Dem 25. Nov. neu eröffneten Landtag wurden Gesetzentwürfe über die Vertretung der evang. Kirchengemeinden und der kath. Pfarrgemeinden und über die Verwaltung ihrer Vermögensangelegenheiten vorgelegt und 14. und 17. Dez. mit großen Mehrheiten angenommen.

Der 23. März 1887 wiedereröffnete Landtag hatte hauptsächlich den Etat für die Finanzperiode 1. April 1887 bis 31. März 1889 zu beraten. Dem mit Bayern 10. Febr. abgeschlossenen Vertrag über Herstellung der Verbindungsbahnen Memmingen-Leutkirch und Wangen-Hergatz wurde die Zustimmung erteilt, die Forterhebung von örtlichen Verbrauchsabgaben seitens der Gemeinden, die Vorlage über die fernere Wirksamkeit des allgemeinen Sportelgesetzes vom 24. März 1881, die Gesetzentwürfe über landwirtschaftliches Nachbarrecht, über Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer und über die Rechtsverhältnisse der Staatsbeamten genehmigt. Die im Dez. 1886 von der Zweiten Kammer angenommenen Gesetzentwürfe über die Vertretung der evang. Kirchengemeinden und der kath. Pfarrgemeinden und über die Verwaltung ihrer Vermögensangelegenheiten wurden 29. März 1887 von der Ersten Kammer mit einigen Modifikationen angenommen. Nach dem mit der Reichsregierung abgeschlossenen Vertrag vom 11. März hatte W. im Interesse der