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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Zahnen - Zahnfleisch

zuwenden, die ein mangelhaftes Gebiß durch die ungenügende Zerkleinerung der Speisen auf den ganzen Verdauungsprozeß sowie nicht minder auf die Artikulation und Tonbildung beim Sprechen und Singen ausübt. Die Geschichte des künstlichen Zahnersatzes reicht bis in das hohe Altertum hinauf; schon die alten Ägypter, Assyrer und Perser verstanden es, nicht bloß hohle Z. mit Gold oder künstlichem Schmelz auszufüllen, sondern auch künstliche Z. einzusetzen, und bei den Römern war die Technik des Zahnersatzes zu verhältnismäßig hoher Ausbildung gelangt.

Als Material benutzte man zu den künstlichen Z. früher Elfenbein, späterhin Menschenzähne; da aber beide ebenso leicht in der Mundhöhle von der Zahnkaries befallen werden wie die natürlichen Z., so bedient man sich jetzt ausschließlich künstlicher Email- oder Mineralzähne, die im großen fabrikmäßig aus Kieselerde, Feldspat und Porzellanthon nach Art des Porzellans durch Brennen hergestellt und mit einer beliebig gefärbten Glasur aus derselben Masse überzogen werden. Die Befestigung der künstlichen Z. im Munde kann auf verschiedene Weise geschehen. Die einfachste Art ist die Befestigung des Zahns mittels eines Stiftes von Platin, Gold oder Hickoryholz in die noch vorhandene Wurzel (sog. Stiftzahn), vorausgesetzt, daß die letztere noch vollständig gesund und zweckmäßig vorbereitet ist; bei exakter Ausführung kann ein solcher Stiftzahn jahrelang sitzen und die Stelle des natürlichen Zahns vollkommen ersetzen. Wo gesunde Wurzeln nicht vorhanden oder wo mehrere Z. fehlen, befestigt man die künstlichen Z. entweder vermittelst goldener Klammern an die benachbarten natürlichen Z., oder vermittelst sorgfältig hergestellter Gaumenplatten aus Gold, Aluminium oder vulkanisiertem Kautschuk, die sich dem Gaumen ganz genau anschließen und deshalb durch Ansaugen und Adhäsion festhalten. Ganze Gebisse werden gleichfalls an Saugplatten befestigt; zu ihrer weitern Fixierung dienen auch häufig Spiralfedern, die zwischen den Zahnreihen und Wangen liegen und die erstern gegen den Ober- und Unterkiefer drücken.

Vor dem Einsetzen der künstlichen Z. müssen alle schlechten Zahnwurzeln entfernt, die stehen bleibenden bis auf das Zahnfleisch glatt abgefeilt und die noch vorhandenen Z. sorgfältig gereinigt und wenn nötig plombiert werden; hierauf wird von dem sauber vorbereiteten Munde mit Gips, Wachs oder Guttapercha ein genauer Abdruck genommen, nach dem dann das künstliche Gebiß oder Gebißstück geformt wird. War es nötig, mehrere Wurzeln auszuziehen, so lasse man vor der Anfertigung des definitiven Ersatzstücks mehrere Monate vergehen, damit zuvor der Kiefer gehörig vernarben kann; bis dahin trage man ein Interimsstück. Bei Vernachlässigung dieser Regel kann es sich sehr leicht ereignen, daß das angefertigte Ersatzstück schon nach wenigen Monaten nicht mehr paßt und seinen Zweck nur sehr mangelhaft erfüllt. Alle künstlichen Z., mit Ausnahme der sog. Stiftzähne, müssen täglich mindestens zweimal aus dem Munde entfernt und sorgfältig mit der Bürste gereinigt werden. Während der Nacht sind künstliche Gebißstücke aus dem Munde zu nehmen, in kaltes Wasser zu legen und am Morgen vor dem Einführen mit der Bürste, Seife und Wasser gründlich zu säubern. Die Gewohnheit, künstliche Z. und Gebisse auch nachts im Munde zu behalten, hat schon öfters Veranlassung gegeben, daß während des Schlafs ein solches Gebiß sich loslöste, in den Rachen und die Speiseröhre geriet und dadurch schwere, selbst lebenbedrohliche Zufälle hervorrief. - Vgl. Parreidt, Handbuch der Zahnersatzkunde (2. Aufl., Lpz. 1893 fg.).

Zahnen der Kinder, Dentition (Dentitio), die Entwicklung der Zähne, und zwar sowohl der Milchzähne, als der bleibenden Zähne. (S. Zahn.) Das Z. ist ein physiol. Vorgang, der bei gesunden Kindern meist ohne Störung verläuft; höchstens begleiten bei ihnen geringfügige örtliche Erscheinungen den Zahndurchbruch. Zu diesen gehören Röte, gesteigerte Wärme und Geschwulst des Zahnfleisches, kleine Geschwürchen an der Zungenspitze, am Zahnfleischrande und an den Lippen, reichlicher Speichelabfluß und Unruhe des Kindes. Diese Erscheinungen verschwinden nach wenigen Tagen mit dem Durchbruch des Zahnes und stellen sich erst wieder beim Durchbrechen eines fernern Zahnes ein. In andern Fällen kommt es dagegen während des Z. zu erheblichern Störungen, besonders wenn die zahnenden Kinder an allgemeinen Schwächezuständen, an rhachitischer oder skrofulöser Disposition, an schlechter Ernährung u. dgl. leiden.

Namentlich stellen sich infolge von Kongestionen nach dem Gehirn häufig anhaltende Reizungen des Nervensystems, große allgemeine Unruhe, Schlaflosigkeit, Schreckhaftigkeit, selbst ausgebreitete Krämpfe (Zahnkrämpfe) ein; auch werden nicht selten Fieber (Zahnfieber) und mannigfache frieselartige Hautausschläge (Zahnfriesel, s. Schälknötchen) sowie Husten, Heiserkeit, Erbrechen, Durchfall (Zahndiarrhöe) und kolikartige Schmerzen während des Zahnausbruchs beobachtet. Zahnende Kinder müssen sorgfältig vor allen schädlichen Einflüssen, namentlich vor schlechter und säuerlich gewordener Milch sowie andern unpassenden Nahrungsmitteln bewahrt werden; auch ist das geschwollene Zahnfleisch öfters mit kaltem Wasser zu betupfen. Über die Behandlung der Zahnkrämpfe s. Eklampsie. Selbstverständlich ist bei jedem ernstern Unwohlsein während des Z. der Arzt zu befragen. Das sog. zweite Z., der Zahnwechsel, geht gewöhnlich sehr allmählich und ohne jedwede Störung von statten. Nicht selten kommen dabei Abnormitäten hinsichtlich der Stellung der neu hervortretenden Zähne vor, die aber meist durch rechtzeitige Anwendung geeigneter Druckapparate beseitigt werden können.

Zahnextrakt, indischer, s. Geheimmittel.

Zahnfäule, s. Zahnkrankheiten und Leptothrix.

Zahnfieber, s. Zahnen.

Zahnfistel, s. Zahnkrankheiten.

Zahnfleisch (Gingiva), ein fleischartiges festes Gewebe, das der Befestigung der Zähne dient, indem es die letztern fest an ihrem Halse umfaßt und mit einer vordern wie hintern Platte die Zahnhöhlenflächen der Kiefer überzieht. Das Z. ist nur wenig empfindlich, aber außerordentlich gefäßreich, weshalb es beim Bürsten der Zähne sowie bei starkem Saugen leicht blutet. Lockert sich das Z., wie bei Skorbut und Speichelfluß, so wackeln die Zähne oder fallen selbst aus. Die Entzündung des Z. (Gingivitis) ist meist Teilerscheinung eines allgemeinen Mundkatarrhs oder des Skorbuts, mitunter auch Folge scharfer Zahnränder, die in diesem Falle entfernt werden müssen. Ist das Z. geschwollen, aufgelockert und leicht blutend, so bestreiche man es früh und abends mit verdünnter Myrrhentinktur oder einem schwach adstringierenden Mundwasser und sorge für gehörige Pflege und häufige Reini-^[folgende Seite]