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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterfrage (Arbeitsnachweis. Arbeiterversicherung)
teilt worden. Letzteres heißt kurzweg das "Arbeitsministerium", und bei ihm findet sich das Arbeitsamt. In Spanien ist durch ein Dekret vom 7. Aug. 1894 eine besondere Abteilung für Arbeiterstatistik im Ministerium des Innern, und in Dänemark 1. Jan. 1896 unter der Bezeichnung eines staatlichen statist. Bureaus ein Arbeitsamt ins Leben getreten. Für das schweizerische Arbeitersekretariat ist der von der Bundesregierung bewilligte Zuschuß auf jährlich 20000 Frs. erhöht worden. In Österreich wird seit 1894 ein arbeitsstatist. Amt als besondere Abteilung im Handelsministerium geplant.
Arbeitsnachweis. Viertens zählt hierher die Reform des Arbeitsnachweises. Gerade auf diesem Gebiete wird in den letzten Jahren ein so reger Reformeifer zur Schau getragen, wie auf wenig andern. Man ist sich darüber klar geworden, ein wie großes sociales Übel die Arbeitslosigkeit ist, und hofft deren verhängnisvollen Folgen durch eine zweckmäßigere Regelung des Arbeitsnachweises begegnen zu können. Die bisherige ungeregelte Arbeitsvermittelung, das persönliche Umschauen, das Inserieren, die privaten Stellenvermittler, die Wohlthätigkeitsanstalten stellen sich als ungenügend heraus. Arbeitermangel und Arbeiterüberfluß liegen oft nebeneinander; kostspielige und verzögernde Zwischeninstanzen erschweren dem Arbeiter die Erfüllung seines Wunsches, jederzeit Beschäftigung und zwar in der für ihn zweckmäßigsten und lohnendsten Weise zu haben. Demnach erscheint es als ein erfreulicher Fortschritt, daß man sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten übrigen Industriestaaten bestrebt zeigt, von seiten des Staates oder der Gemeinden Anstalten zu begründen, die den gefühlten Übelständen abhelfen, und vor allen Dingen dem Gedanken der Centralisation des Arbeitsnachweises mehr Anerkennung zu verschaffen. (S. Arbeitsnachweis.)
Arbeiterversicherung. Ein besonders wichtiges Kapitel für sich bildet die Arbeiterversicherung. In der Praxis sind da manche Mängel und zahlreiche Wünsche nach Reform der betreffenden Gesetze hervorgetreten. Vor allem wurde eine vereinfachende Verschmelzung der drei Organisationen: Krankenkassen, Unfallberufsgenossenschaften, Invalidenversicherungsanstalten, die Errichtung gemeinschaftlicher territorialer Hilfsorgane, sog. Arbeiterversicherungsämter, befürwortet, worunter Behörden zu versieben sind, die zu gleichen Teilen aus Vertretern der Unternehmer und der Arbeiter beständen, und die für den Distrikt (in Preußen z. B. für den Kreis) die Erledigung der lokalen Hilfsgeschäfte haben würden: also die Gewährung der Krankenfürsorge, Kontrolle über die Verwendung der Beitragsmarken, Ausstellung der Quittungskarten, Entgegennahme der Anträge auf Rentenbewilligung, Vorbereitung und Prüfung dieser Anträge u. dgl. m. Gegenstände der Beschwerden sind ferner die Verschiedenheit der Prämienzahlung in Form von Kassenbeiträgen, Umlagen und Markenkleben, die Übelstände, die namentlich mit dem letztern Verfahren verbunden sind, die ungleichmäßige Entwicklung der Beteiligung der Arbeiter an der Verwaltung der Versicherungsorgane, die Unzulänglichkeit der Altersrenten, die zu hohe Altersgrenze für den Bezug der Rente, das umständliche Verfahren bei der Erhebung des Rentenanspruchs, der Mangel einer Fürsorge in der Zeit von der Beendigung der Krankenkassenunterstützung dis zum Eintritt der Invalidenversicherung. Zur Beratung über diese Punkte, namentlich über die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit einer Zusammenlegung der einzelnen Versicherungszweige war vom 4. bis 9. Nov. 1895 im Reichsamt des Innern eine Konferenz versammelt. An ihr nahmen etwa 70 Personen teil, lediglich Sachverständige, vorzugsweise Mitglieder des Bundesrats, Beamte der Reichsverwaltung und der Versicherungsanstalten sowie Abgeordnete. Eine Einigung über die beste Art der Reorganisation wurde noch nicht erzielt. Als Gesamtergebnis der Debatten läßt sich etwa zusammenfassen, daß die Berufsgenossenschaften allgemeine Anerkennung fanden, die heutige Form der Invalidenversicherung allgemeine Mißbilligung erfuhr, und daß es an der Verwaltung der Krankenkassen im einzelnen viel auszusetzen gab.
Berührt ist ferner die Reform der Arbeiterversicherung bei der zweiten Lesung des Etats des Reichsamtes 25. und 31. Jan. 1896, wo man sowohl eine Novelle zum Unfallversicherungsgesetz als eine Reform der Invaliditätsversicherung forderte. In letzterer Hinsicht wurde von einer Seite die Herabsetzung der Altersgrenze für die Bewilligung der Altersrente auf das 60. Lebensjahr, von anderer Seite eine Einbeziehung der Witwen- und Waisenfürsorge befürwortet. Es ist indes zur Zeit kaum Aussicht vorhanden, daß darauf eingegangen werden kann. Denn der Mehrbedarf, der bis zum J. 1900 erforderlich wäre, wenn vom 1. Jan. 1897 ab die Altersrente bereits beim 60. Lebensjahre gewährt werden sollte, ist nach Angabe des Ministers 755 Mill. M. Zur Gewährung einer Witwenrente von 60 M. und einer Waisenrente von 36 M. jährlich würden die den Versicherungsanstalten zur Verfügung stehenden Mittel für die nächsten vier Jahre ausreichen, aber diese wären dann nach Ablauf der vier Jahre aufgezehrt, und vom J. 1900 ab müßte eine neue Rechnung mit erheblich höhern Beträgen beginnen.
Die hauptsächlichsten Mängel der Krankenversicherung wurden durch das Gesetz vom 10. April 1892 beseitigt; für den Plan der Umgestaltung der Unfallversicherung durch Einführung örtlich abgegrenzter Unfallversicherungsgenossenschaften auch für die Industrie fand die Regierung 1894/95 nicht die Zustimmung des Reichstags. Im Aug. 1896 hat dieselbe einen weitern Entwurf zur Abänderung der Arbeiterversicherungsgesetze veröffentlicht, der sich im wesentlichen darauf beschränkt, die Änderungen des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes herbeizuführen, welche sich in der Praxis als dringlich erwiesen haben. Die Frage der Vereinigung der verschiedenen Versicherungszweige erschien der Reichsregierung noch nicht spruchreif. Sie beschränkt sich darauf, diesem Gedanken durch Maßnahmen entgegenzukommen, welche ein engeres Zusammenarbeiten der getrennten Versicherungszweige sicherstellen. Die Erleichterungen, welche der neue Entwurf hinsichtlich der Invaliditäts- und Altersversicherung bietet, sind hauptsächlich Beitragsmarken für längere Zeiträume, Anlegung von Sammelmarken, Besorgung der Quittungskarten durch die Arbeiter, behördliches Markeneinkleben bei öffentlichen Betrieben, Förderung der Einziehung der Beiträge durch besondere Hebestellen. Dazu kommt als principielle Änderung eine Umgestaltung der Verteilung der Rentenlast, welche durch die Verschiedenheit der Vermögenslage der einzelnen Versicherungsanstalten veranlaßt ist, und die somit eine bessere Ausgleichung der Lasten zwischen den besser und schlechter gestellten Anstalten bezweckt. Ein Viertel der von ihr festgesetz-^[folgende Seite]