Johannes Emmer,
Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin,
ohne Jahr [1901]
170
Die hellenische Kunst.
Pompeji hat uns die meisten und wertvollsten Aufschlüsse über den Stand der antiken Malerei gegeben. Hier wurden so viele vorzüglich erhaltene Wandgemälde ausgegraben, daß man einen genügenden Einblick in die Kunstthätigkeit der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gewinnt. Pompeji war aber nur eine Landstadt und sicher nicht eine Kunststätte ersten Ranges. Die Ausschmückung der Wohnräume wird hier wohl mehr Kunsthandwerkern als eigentlichen Künstlern überlassen worden sein. Wahrscheinlich haben diese auch ihren Darstellungen zumeist Vorbilder berühmter Meister zu Grunde gelegt. Diese Wandgemälde zeigen also einerseits den vorhandenen Formenschatz, andererseits die Höhe der Arbeitsfertigkeit, lassen also mindestens ahnen, was die großen Künstler geleistet haben mochten.
Aldobrandinische Hochzeit. Das berühmteste und was die Anordnung betrifft beste noch vorhandene Werk ist ein im Jahre 1606 in Rom gefundenes Gemälde auf Stuckgrund, die sog. Aldobrandinische Hochzeit (Fig. 179), das seinen Namen nach dem ersten Besitzer, dem Kardinal Aldobrandini, führt. In der Mitte sitzt die in ihren Schleier gehüllte Braut, neben ihr die Göttin der Ueberredung. Andere Frauen und Mädchen, (Göttinnen und Musen), bereiten teils das Brautbad, teils stimmen sie das Hochzeitslied an. Der Bräutigam sitzt auf der Schwelle zur Brautkammer. Es liegt hier wahrscheinlich die freie Nachbildung eines griechischen Gemäldes vor.
Medea und Iphigeneia. Letztere Annahme dürfte auch für die anderen drei Proben gelten. Da die Ausführung nur wenig künstlerisch ist, so geben sie, wie ich nochmals betone, kein wirkliches Bild der "vollendeten" antiken Malerei, sondern nur einen schwachen Abglanz derselben. Der Inhalt aller drei Bilder ist dem griechischen Sagenkreis entnommen, und zwar zeigt das erste (Fig. 180) die in tiefes Sinnen versunkene Medea; möglicherweise einem Gemälde des Timomachos von Byzanz nachgebildet. Das Opfer der Iphigeneia (Fig. 181) enthält vielleicht Anklänge an ein berühmtes Gemälde des Timantes von Kythnos. Die Gestalt rechts ist der Priester, der das Opfer vollziehen soll, links der Vater der Iphigeneia, Agamemnon, der in tiefem Schmerz sein Haupt verhüllt. Fig. 182 zeigt Iphigeneia in Tauris an der Spitze eines Zuges der Priesterinnen. Die Zeichnung ist hier weniger steif und auch die Malart besser als in dem vorgenannten Bilde.
Die Bildnisse von el Fayum. Eine Anzahl anderer höchst wertvoller Zeugnisse haben in neuerer Zeit die Gräber von el Fayum in Aegypten geliefert. Dort fand man Mumien, deren Gesichter mit bemalten Holztäfelchen bedeckt waren, welche das Bildnis des Toten darstellten. - Diese Bildnisse, welche aus verschiedenen Zeiten stammen - die meisten wahrscheinlich aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. -, sind sehr ungleichartig. Einzelne zeigen eine ganz vollendete künstlerische Ausführung und sind wirkliche Meisterwerke der Bildniskunst; selbst die minderwertigen aber zeichnen sich durch lebendige Wiedergabe der bezeichnenden Eigentümlichkeiten und volle Naturwahrheit aus (Fig. 183).
Malweisen. Besonders beachtenswert sind die Bildnisse hinsichtlich ihrer Herstellungsweise; die meisten sind nämlich enkaustisch (eingebrannt) gemalt. Dieses Verfahren bestand
^[Abb.: Fig. 187. Römischer Tempel in Nimes.
(Jetzt Maison caré genannt.)]