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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst. ^[Titel nicht im Original]

b. Romanisches Zeitalter.

Antike Welt und Mittelalter. Im 10. Jahrhundert erscheint nicht nur die neue Völkerverteilung auf dem Boden der Weltkultur abgeschlossen, sondern auch das begründet, was man als den "Geist des Mittelalters" bezeichnen muß, das heißt: die maßgebenden und treibenden Anschauungen und Grundsätze, welche das Leben des Einzelnen wie der Gesellschaften bestimmen und die gegenseitigen Beziehungen derselben untereinander ordnen. Es ist daher am Platze, den Unterschied zwischen dem Geist der "antiken" Welt und jenem des Mittelalters kurz zu kennzeichnen. Das volle Verständnis der Kunst - als einer Erscheinung und einem Ergebnis der jeweiligen Kultur - setzt voraus, daß man den Geist der Zeit erfaßt und erkannt hat. Dieses Erkennen ist für das Mittelalter wesentlich erleichtert, da die Quellen, aus welchen wir schöpfen können, reichlicher fließen, als für das Altertum; sodann treten auch die Persönlichkeiten, da sichere Nachrichten über sie und ihre Werke häufiger werden, auch deutlicher in Erscheinung, und es wird daher möglich, die Kunsterscheinungen in Grund- und Folgewirkung besser zu verstehen. Das nötigt auch zu einer anderen Betrachtungsweise, die nunmehr auf das Einzelne eingehen muß. Wohl zeigt die Kunst in dem für die Entwicklung der Welt und Menschheit maßgebenden Kulturkreise - dem abendländischen - im Allgemeinen, d. h. in den Hauptgrundzügen, einen gleichen Entwicklungsgang, aber sie entfaltet im Einzelnen um so reichlichere Besonderheiten, nicht allein bedingt durch völkische Eigenart, sondern sogar durch enger begrenzte örtliche Verhältnisse.

Bis zu Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. hatte es, wie gezeigt wurde, verschiedene unabhängige Kulturkreise mit selbständiger Entwicklung gegeben; Alexander der Große begann und Rom vollendete dann die Schöpfung einer "Weltkultur", die man schlechthin als die "antike" bezeichnet. Ihre Grundlage war die national-griechische, die ihre geistige Vollendung bereits zur Zeit Platons (427-347 v. Chr.) erreicht hatte. Wir begegnen da, wie bereits an früherer Stelle angedeutet wurde, so manchen Anschauungen und Lehrsätzen, welche mit den christlichen übereinstimmen oder doch sich denselben nähern.

Das Wesen der hellenischen Geistesrichtung läßt sich in Kürze dahin kennzeichnen, daß die führenden Geister das Endziel in der "Sittlichkeit, auf Vernunft begründet," sahen, die in der "Bethätigung reiner Menschlichkeit" ihren Ausdruck finde. Die Griechen setzten aber dabei voraus, daß "Vernunft" mit "griechischer Bildung" in solchem Zusammenhange stände, daß "vollendete Menschlichkeit" eben nur bei Griechen oder doch griechisch Gebildeten möglich sei. Dies prägte ihrer Kultur den Stempel nationaler Eigenart und Beschränkung auf. Dadurch, daß die Römer im wesentlichen die hellenische Weltanschauung übernahmen, wurde deren Geltungsgebiet wohl erweitert, ohne daß die Beschränkung grundsätzlich aufgehoben worden wäre.

Bedeutsamer ist jedoch, daß die Römer ihrerseits einen wichtigen Grundsatz hinzufügten und zur Geltung brachten: "die Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit." Derselbe blieb auch für die Folgezeit wirksam, denn die christliche Weltanschauung behielt ihn bei, während der wesentliche Unterschied zwischen ihr und der "antiken" darin besteht, daß sie die "Sittlichkeit auf den Glauben begründet", und somit die "Bethätigung reiner Menschlichkeit" nicht mehr an eine nationale Bildung bindet, sondern "allgemein" möglich macht, da ja der "Glaube" allen Völkern gleichmäßig zugänglich ist.

Der Geist des Mittelalters. Jener reichsrömische Grundsatz bildet nun einen Anknüpfungspunkt zwischen der antiken und christlichen Richtung, und es ergab sich somit als "mittelalterliche" Auffassung: "daß der Einzelne sich der Gesamtheit unterzuordnen habe, diese letztere aber in zweifacher Form, in politischer Hinsicht durch den Staat, in geistiger durch die Kirche dargestellt sei." Staat und Kirche sollten gemeinsam herrschende Ge-^[folgende Seite]