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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Gotischer Stil

277 ^[Seitenzahl nicht im Original]

c. Gotischer Stil.

Der Zeitgeist. Die Kunstzeitalter sind so wenig scharf von einander abgegrenzt, daß Ende des einen und Anfang des anderen oft ein Jahrhundert lang nebeneinander verlaufen, und eigentlich nur die Zeitpunkte der jeweiligen Vorherrschaft - nicht Alleinherrschaft - deutlich hervortreten. So kann man sagen, daß der Höhepunkt der romanischen Kunstweise in das 12. Jahrhundert fällt, jener der gotischen in das 14. und bei der "Renaissance" in das 16. Jedoch schon zu diesen Blütezeiten zeigen sich die ersten Spuren der neuen Richtungen; der gotische Stil beginnt sich um die Mitte des 12. Jahrhunderts zu entwickeln, und auf italienischem Boden verknüpfen sich sogar die Ausläufer der romanischen Kunstweise mit den Anfängen der "Renaissance", insofern der eine Grundzug derselben, das Zurückgreifen auf die ursprünglichen Quellen der Antike, schon zu Tage tritt. Es hängt dies damit zusammen, daß der geistige Gehalt einer bestimmten Zeit, der sich ja in der Kunst äußert, das Ergebnis von Verhältnissen, Wandlungen und Erscheinungen vieler vorhergegangener Jahrzehnte ist, und andererseits der Entwicklungsgang nicht überall gleichförmig, sondern durch örtliche Umstände bedingt, beschleunigt oder verlangsamt, erscheint. Die Kunst folgt stets dem "Werden" des Zeitgeistes, der jeweiligen Weltauffassung und Ausgestaltung des Lebens; ihr innerer Gehalt ist daher oft schon wesentlich verändert, wenn auch noch die ältere Formensprache zum Ausdrucke desselben dienen muß, die aber gleichfalls allmählich umgeprägt wird. Ob nun diese Wandlungen zum Besseren oder zum Schlechteren, in auf- oder absteigender Richtung erfolgen, wird durch die "allgemeinen Verhältnisse" bestimmt, welche den besonderen Lebensbedingungen der Kunst günstig oder ungünstig sein können. Ich muß daher zunächst auch auf Zustände zurück-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 279. Inneres von Notre Dame zu Paris.]