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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

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Die Zeit der "Renaissance".

wichtigste Erbe der Antike, viel wichtiger als die schöne Durchbildung der schmückenden Teile - beides zusammen gewährt dann jenen reinen Genuß, welchen uns freilich nur wenige Werke der höchstbegnadeten Künstler bereiten können.

Man hat versucht, den einzelnen Meistern nachzuweisen, nach welchen bestimmten Gesetzen (unter Zugrundelegung mathematischer Formeln) sie ihre Pläne entworfen haben, und hat auch glücklich bei einigen ein "System" entdeckt. Es dürfte aber wohl am richtigsten sein, wenn wir annehmen, daß für die wahrhaft großen Meister im wesentlichen das Gefühl bestimmend war. Dabei ist es gewiß, daß die Künstler bestimmte Verhältnisse, welche sie einmal für schön befunden hatten, gern wieder anwendeten, doch wichen sie ohne Bedenken davon ab, sobald sich irgend ein Zwang bei deren Anwendung fühlbar machte. An feste Regeln ließ sich der frischkräftige und freie Geist dieser Zeit nicht binden. Zuweilen legten die Künstler ihren Bauten auch einfach die Maßverhältnisse von römischen Vorbildern zu Grunde, die sie für mustergiltig befunden hatten. - Während in der Zeit bis zum Ende der Vorherrschaft der Gotik die Kirchenbauten für die Stileigenheiten bestimmend waren, treten jetzt die der weltlichen Bauten in den Vordergrund, ja es werden schließlich Formen derselben, vornehmlich der Paläste, auch auf die Kirchenbauten übertragen, welche ihre besonderen Eigenheiten nur im Grundriß und allgemeinen Aufbau bewahren. Die Einzelheiten werden bei kirchlichen wie bei weltlichen Gebäuden in gleicher Weise durchgebildet. Eine eigene Form des Kirchenbaues brachte die Renaissance zu höchster Entwicklung, nämlich jene der "Zentralbauten", von denen späterhin ausführlicher gesprochen werden soll.

Bei der Durchbildung des Aeußeren wird nun ein ganz anderer Grundsatz befolgt als früher; allerdings ist derselbe nicht ganz in Einklang zu bringen mit einem Hauptgesetze der Schönheitslehre, nach welchem die strenge Stilreinheit von der vollkommenen Einheitlichkeit, dem Zusammenstimmen aller Teile des Inneren und Aeußeren abhängt. Bei den Bauten des romanischen, noch mehr bei jenen des gotischen Stiles gilt das Gesetz, daß das Aeußere dem Innern vollkommen entsprechen müsse. Man sollte sich schon beim Betrachten des Aeußern ein Bild des Innern machen können und selbst die reichste Anwendung von Schmuckwerk durfte nie - Werke "reinen" Stils vorausgesetzt - den in der Baufügung hervortretenden Grundgedanken verdecken und erdrücken.

Die Künstler der Frührenaissance sahen jedoch die Beziehungen des Aeußern zum Innern mit ganz anderen Augen an. Für sie bestand die Hauptsache darin, daß der Bau als Raum-Ganzes, in seiner Gesamterscheinung, wirkungsvoll sei und zwar durch volle Einheitlichkeit der Formen (nicht des Wesens der Bauteile), das heißt also, daß das Bauwerk außen und innen schön in den Raum-Verhältnissen wie im Schmuckwerk erscheine; ob das Aeußere und Innere zusammenstimme, daran lag ihnen nicht viel. Verständlich, wenn auch derb läßt sich dies etwa in der Weise ausdrücken: sie hätten sich nichts daraus gemacht, wenn beispielsweise die Gliederung des Aeußeren einem dreistöckigen, jene des Innern einem zweistöckigen entsprochen hätte. Der Hauptwert wurde eben zunächst auf

^[Abb.: Fig. 418. Lombardo: Palazzo Corner Spinelli.

Venedig.]