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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

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Die Zeit der "Renaissance".

überreichen baulichen Formen der Hochgotik aufweist, so daß die eigentlich bildnerischen Gestalten in den einzelnen Nischen weniger hervortreten. Besonders bemerkenswert sind die drei knieenden Figuren, welche den ganzen Bau tragen; sie stellen den Meister mit seinen Gesellen dar. Die schöne Männlichkeit des einen - wohl Kraft selbst - ist mit einer bewundernswerten Feinheit und Kraft herausgearbeitet, sie findet ihr Gegenstück in der holden Lieblichkeit der Madonna und der anderen Frauenköpfe. Die Kunstweise Krafts wurde für die gesamte Steinbildnerei Nürnbergs von bestimmendem Einfluß, wie zahlreiche Werke aus jener Zeit dies deutlich zeigen, welche zum Teil in der Betonung des Anmutig-Schönen noch weiter gehen, dabei aber auch den Fortschritt in der Richtung erkennen lassen, daß mit rein bildnerischen Ausdrucksmitteln die Wirkung erzielt wird.

Man befreit sich immer mehr von der malerischen Auffassung, welche in der Weise eines Gemäldes den Gedanken veranschaulichen will, und gelangt zu der freien Formengebung, wie sie durch den Stoff (Stein, Erz) erfordert wird und welche allen Bedingungen der Darstellung von "Körperlichkeit im Raume" (die Malerei giebt Körperlichkeit in der Fläche) entspricht.

Erzbildnerei. Peter Vischer. Zu dieser vollen Höhe wurde die Nürnberger Bildnereikunst nun von Peter Vischer dem Aelteren (1455-1529) gebracht, der nicht in Stein, sondern in Erz bildete. Er stammte aus einer angesehenen Nürnberger Erzgießerfamilie, deren Werkstatt einen guten Ruf genoß und Arbeiten nach verschiedenen deutschen Gegenden lieferte. Auch Peter Vischer erhielt eine Berufung nach Heidelberg, wo er einige Zeit für den Kurfürsten von der Pfalz arbeitete; doch kehrte er bald wieder nach Nürnberg zurück. Gleichwie Kraft ist auch er in seinen ersten Arbeiten noch in der Formensprache der Gotik befangen, die er vollkommen beherrscht. Das bauliche Beiwerk ist daher auch besonders reizvoll behandelt; die Gestalten sind den Ueberlieferungen der Gotik gemäß noch mehr demselben angepaßt, als selbständig, und zeigen die für die frühere Zeit bezeichnende Gedrungenheit der Verhältnisse. Auf scharfe Wirklichkeitstreue wird das Hauptgewicht gelegt, in der Durchbildung der Einzelheiten tritt jedoch auch in den Frühwerken schon die Richtung auf das Schöne zu Tage.

Sebaldusgrab. (Fig. 485.) Aus dem Banne der herkömmlichen Weise völlig befreit erscheint der Meister jedoch in seinem Hauptwerke, dem "Sebaldusgrabe" (1508-19), unstreitig eine der höchsten Leistungen deutscher Kunst. Man kann es wohl auch als das "erste" Werk im Geiste der "Renaissance" bezeichnen, das auf deutschem Boden entstand. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, daß mit der einseitigen Nachbildung der Wirklichkeit gebrochen wird und an deren Stelle die künstlerische Auffassung der Natur und deren Wiedergabe nach einem geistig erschauten Urbilde tritt. Die Italiener waren dazu gelangt hauptsächlich durch das Studium der Antike, der deutsche Meister entbehrte dieser Anregung und fand den Weg zur Vervollkommnung aus Eigenem, indem er die Natur mit freierem Blicke betrachtete und

^[Abb.: Fig. 486. Vischer: Apostel Johannes (Sebaldusgrab).

Nürnberg. Sebalduskirche.]

^[Abb.: Fig. 487. Vischer: St. Petrus.

(Vom Sebaldusgrab.)]