Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

490

Die Zeit der "Renaissance".

die Grundzüge der wahren Schönheit in derselben erkannte. Vischer griff nicht auf die Antike zurück, sondern entwickelte seine Kunstweise auf der Grundlage der unmittelbaren Vergangenheit, also aus dem Mittelalterlichen heraus, und bewahrt ihr vollkommen die deutsche volkliche Eigenart. Wie bei Kraft ist auch bei ihm die tiefe Empfindung, das Schaffen aus dem Gemüte heraus, bezeichnend; aus einer lebhaften Einbildungskraft fließt jene reiche Erfindungsgabe und Gestaltungsfähigkeit, welche im Verein mit einer ausgebildeten Kunstfertigkeit ihn in den Stand setzte, seinem Werke die Vorzüge großartigen Aufbaus und feiner Durchführung, geistvoller Auffassung und reiner Schönheit zu verleihen. In der Anordnung des Ganzen ist alles wohl abgewogen mit Rücksicht auf den Zweck, auf die Eigenart des Stoffes (Erz), auf den vollen Einklang aller Einzelheiten. Die schwungvollen Formen ergeben sich ganz ungezwungen aus dem Grundgedanken und den Stoffbedingungen; ihre unendliche Mannigfaltigkeit zeugt von einer unversieglichen Gedankenfülle, die Einheitlichkeit des Ganzen von der künstlerischen Kraft des Meisters. - Auf einem mit Flachbildwerken gezierten Unterbau ruht der Sarg, diesen inneren Teil umgeben acht schlanke Pfeiler, welche durch Spitzbogen verbunden sind und einen aus drei Kuppeln bestehenden Aufbau tragen. Die Bauformen sind von edelstem Maß und reizvoller Durchbildung, dabei völlig zweckmäßig für ihre Bestimmung, bildnerischen Schmuck zu tragen, gestaltet. Die Flachbildwerke schildern die Wunderthaten des heiligen Sebaldus mit einer frischen Lebendigkeit und ausdrucksvollen Kraft, welche mit einfachen Mitteln den Vorgang sinnig und deutlich veranschaulicht. An der einen Schmalseite zwischen den Pfeilern steht die Figur des Heiligen, der mit großartiger Würde verklärt und erhaben dargestellt ist, das Gegenstück dazu bildet auf der anderen Seite die Gestalt des Meisters selbst, in völlig naturtreuer Wiedergabe, ein vollendetes Ebenbildnis (Fig. 488). Dieser Gegensatz zwischen Wirklichkeit und Ideal, dem gewöhnlichen Menschen und dem Heiligen - ist ein ungemein feiner Zug. An den Pfeilern sind die Standbilder der Apostel (Fig. 486 u. 487) und oben jene der Propheten angebracht, jeder von besonderer, seine Eigenart bezeichnender Haltung, die ganze Stufenleiter von Gefühlen ist hier ausgedrückt. Sie sind schlank gebildet, naturwahr im Körperlichen, von schönstem Adel in den Zügen und von schwungvollem Linienfluß in der Gewandung. Das sonstige überreiche Zierwerk ist verständnisvoll angeordnet und steigert die einheitliche Schönheit des Ganzen. Vischer verwendet hierbei sinnbildliche und sagenhafte Gestalten (Herkules, Perseus, die Tugenden u. s. w.), Gruppen von spielenden Kindern, Frauen und Satyrn, Delphine, Krabben; Natürliches und Erfundenes in bunter Mannigfaltigkeit.

Diese vollendete bildnerische Kunstweise zeigen nun auch die späteren Werke des Meisters in Nürnberg, Erfurt, Regensburg u. a. O. Eines der schönsten, ein ursprünglich für die Fuggersche Begräbniskapelle bestimmtes, dann im Nürnberger Rathause aufgestelltes Gitter ist leider verloren gegangen, und wir kennen es nur aus Zeichnungen. Es enthielt

^[Abb.: Fig. 488. Vischer.]

^[Abb.: Fig. 489. Vischer: König Arthur.

Innsbruck. Hofkirche.]