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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Malerei des 16. Jahrhunderts

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Die Malerei des 16. Jahrhunderts.

nun verklärt zu werden, dies alles "lebt" in den strahlenden Augen; die Spannung der Züge und die Geberde stehen damit in vollkommenem Einklang und verstärken nur jenen Ausdruck. Die Hauptsache freilich vermögen Worte kaum deutlich zu machen: den unendlichen Farbenzauber. Maria schwebt in goldigem Licht, dessen zarte Abtönung nach allen Seiten hin die Vorstellung der Unendlichkeit des Himmels erweckt. Im Gegensatz dazu stehen die kraftvollen leuchtenden Farben der Apostelgruppe, welche das derbere der blos "irdischen" Schönheit andeuten. Diese fließt jedoch mit dem himmlischen Bild zusammen und erzeugt den Einklang, welcher dem Grundgedanken des einzelnen entspricht: Erhebung des Erdenkindes zum Göttlichen. - So ausschließlich wird alles durch die Farbe bestimmt und versinnlicht, daß man kaum dazu gelangt, auch die völlige Richtigkeit und Wahrheitstreue der Formgebung zu beachten; und doch ist auch diese Seite der Tizianschen Kunst eine hoch bedeutsame. In dem Streben nach reiner Farbenwirkung hat Tizian viele Nachfolger gefunden; nicht wenige derselben verloren aber dabei die Herrschaft über die Form. Diese bewahrt Tizian und darin zeigt sich eben auch die vollkommene Meisterschaft seines "Könnens". Größeres als in der Assunta konnte auch Tizian nicht mehr leisten, wohl aber schuf er noch manche Werke, die an jenes Bild heranreichen, und in manchen Einzelheiten besondere Vorzüge aufweisen. Zu diesen gehört unter anderen auch die "Madonna des Hauses Pesaro", deren Anordnung eine bewundernswert feinsinnige ist. Der Aufbau der Gruppe hält sich auch in dem Rahmen des "Dreiecks", jedoch eines rechtwinkligen, und die Spitze - Madonna mit dem Kinde - befindet sich an der Seite. Sie erscheint jedoch in schräger Ansicht und dadurch in den Vordergrund gerückt, durch die Säulen und die Verteilung der anderen Gestalten wird dann der Eindruck des Großräumigen und Freien erzielt. Das volle Licht fällt auf die Madonna; durch die Wolke oben werden prachtvolle Schattentöne erreicht, überdies hat sie die Aufgabe, die senkrechten Linien der Säulen wirkungsvoll zu unterbrechen. Die Erhabenheit der Gottesmutter wird veranschaulicht.

^[Abb.: Fig. 548. Palma Vecchio: Drei Schwestern.

Dresden. Gemäldegalerie.]

^[Abb.: Fig. 549. Tizian: Die irdische und himmlische Liebe.

Rom. Galerie Borghese.]