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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Malerei des 16. Jahrhunderts

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Die Malerei des 16. Jahrhunderts.

daß zwischen ihr und dem Beter (Jacopo Pesaro) der hl. Petrus als Vermittler eingeschaltet wird, was auch noch den Gedanken ausdrückt, daß die Kirche die Mittlerin zwischen dem Menschen und dem Göttlichen ist. Man ersieht aus diesen wenigen Andeutungen, wie bei Tizian immer auch ein sinniger Gedanke festgehalten erscheint, und er mit dem Reiz der malerischen Darstellung auch jenen des geistigen Gehalts verbindet.

Bildnisse. Neben den zahlreichen Andachtsbildern schuf Tizian auch nicht wenige mit Darstellungen weltlichen Inhalts, vor allem aber eine große Reihe bedeutsamer Bildnisse. Der Ruhm des Meisters war seit 1520 groß genug geworden, daß die ersten Fürsten Europas von seiner Hand gemalt werden wollten; der deutsche Kaiser Karl V. - der über zwei Weltteile herrschte - der Papst, die Könige von Frankreich und Spanien, von den italienischen Herzögen, Markgrafen und Dogen ganz abgesehen, ließen sich wiederholt von ihm abbilden. In den männlichen Bildnissen zeigt sich Tizians vornehme Kunst in der markigen Auffassung der ganzen Persönlichkeit, in der scharfen Herausarbeitung der entscheidenden Züge, welche das innerliche Wesen des Dargestellten enthüllen, so daß in der That das Bild fast immer der Vorstellung entspricht, die wir uns aus den geschichtlichen Nachrichten über die Eigenart des Betreffenden bilden. Bemerkenswert ist noch, daß auch die Bildnisse aus der späteren Zeit kein Nachlassen in der künstlerischen Kraft des Meisters verraten, sondern immer mit gleicher Gewissenhaftigkeit und Vollendung ausgeführt sind.

Zur vollen Entfaltung seiner Farbenkunst boten Tizian noch willkommenere Gelegenheit die Bildnisse von schönen Frauen. Wir sehen hier auch vielfach jene vollen üppigen Gestalten, wie bei Palma Vecchio, aber Tizian weiß ihnen doch mehr geistigen Ausdruck zu geben und die rein sinnliche Schönheit zu adeln. Er hatte auch nicht blos venezianische Damen der vorhin geschilderten Art zu malen, sondern auch solche von lebhafterer Seele und tieferem Empfindungsleben. Wenn Tizian bei den männlichen Bildnissen über die Lebenswahrheit nicht hinausgeht, so faßt er dagegen seine Frauen immer "dichterisch" auf und steigert den körperlichen Reiz - zum Unterschied von Palma - aus dem blos Sinnlichen zum urbildlich Schönen. Es ist dies kein sogenanntes "Schmeicheln", das heißt eine absichtliche Unwahrheit, sondern einfach ein sozusagen notwendiges Ergebnis der künstlerischen Art des Meisters, der immer nur das Schöne und zwar in Farben "sehen" konnte. Eine zauberhafte "Stimmung" ist daher allen seinen Bildnissen eigen, und diese erscheint auf das Höchste gesteigert bei jenen, in welchen das Vorbild nicht in der Haltung des gewöhnlichen Lebens, sondern in "mythischer" oder "allegorischer" Gestalt dargestellt ist.

So manches schöne Weib trug kein Bedenken, sich als "Venus" malen zu lassen, und da ließ sich freilich die ganze Schönheit des Weibes unverhüllt wiedergeben. Die weichen rosigen Töne des Körpers werden da wirkungsvoll gehoben durch die Umgebung, sei es nun, daß die Gestalt in einem prächtigen Gemache oder in einer anmutigen Landschaft ruht. Das Spiel des Lichtes, hier in strahlender Fülle ausgegossen, dort in tonigem Halbschatten verdämmernd, das Ineinanderfließen von glutvoll leuchtenden und zart abgedämpften Farben giebt einen wunderbaren Einklang, zu dem nicht zum wenigsten auch die

^[Abb.: Fig. 550. Tizian: Der Zinsgroschen.

Dresden. Gemäldegallerie.]