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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Liebe in ihr Herz (eine Uebertragung des bekannten Vorwurfs, Amor mit dem Liebespfeil, ins Christliche) (Fig. 652). Der Vorgang spielt sich auf dem Boden von marmornen Wolken ab, welche den Nischenraum erfüllen, also thatsächlich als in der Luft schwebend gedacht sind. Diese Gruppenanordnung in freiem Raume auf Steinwolken hatte damals den nachhaltigsten Eindruck gemacht und wurde unzählige Male angewendet. Daß der Ausdruck der Verzückung trefflich gelungen ist, wird man zugestehen, ebenso aber auch erkennen, daß mehr ein sinnlicher als gemütsinniger Grundzug hervortritt. Die Behandlung des Gewandes ist nicht minder bezeichnend. Den ruhigen Faltenwurf mit maßvoll flüssigen Linien, der auch den Körperformen sich anschmiegt, kennt die Bildnerei dieser Zeit nicht mehr; auch die Gewandung muß in heftiger, übermäßiger Bewegung erscheinen, sie bauscht sich und flattert, als ob die Figuren stets im Sturme ständen. Diese Gestaltung des Gewandes erscheint daher in den allermeisten Fällen "grundlos", denn sie ist nicht bedingt durch den Vorgang, der dargestellt ist. Die Bildnerei hatte aber an dieser gekünstelten Faltenlegung (Drapierung) ein starkes Gefallen gefunden und man setzte viel Fleiß und Geist an die Erfindung neuer, schwellender und überraschender Faltungen. An und für sich sind dieselben sicherlich gefällig und, in weichen Stoffen selbständig ausgeführt, müßten sie auch einen "künstlerischen Eindruck" machen, in Marmor aber, noch mehr aber wegen der willkürlichen, d. h. durch den dargestellten Vorgang nicht begründeten Anwendung auch an unpassendem Orte wirken sie unkünstlerisch. Für die Behandlung von Grabmälern, wie sie jetzt üblich wurde, ist ein anderes Werk Berninis, das Grabmal des Papstes Alexander VII. bezeichnend. Hier hebt der Tod in Form eines Skelettes den Vorhang auf, der die Gruft verhüllt. Die Verkörperung des Todes durch ein Knochengerüst hat etwas Grauenhaftes an sich, das wohl auf überreizte Nerven stark wirkt, aber dennoch keinen das Gemüt erschütternden und dabei zugleich erhebenden Eindruck macht. Um die Kunstfertigkeit zu zeigen, giebt das Skelett freilich Gelegenheit (Fig. 653).

Einen "sinnlichen" Vorwurf behandelt Bernini in seinem "Raub der Proserpina". An dem männlichen Körper (Pluto) ist die überkräftige Bildung der Muskeln, an dem weiblichen die fast schlappe Weichheit des Fleisches zu beachten. In dem Vorgang selbst

^[Abb.: Fig. 662. Der Tugendbrunnen in Nürnberg.]