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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Chinesische Sprache und Litteratur

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Chinesische Sprache und Litteratur (Grammatik des Chinesischen).

in einer Silbe (Stammworte) bis zu vieren gehäuft werden und sind dann zwar jeder besonders zu hören, doch so auszusprechen, daß sie in Eine Silbe verschmelzen, z. B. ai, iü, iua, iuei. Die Konsonanten dagegen treten stets einzeln auf: im Anlaut k, kh, h; p, ph, f; t, th; tsch, tschh; ts, ths; l, m, n; s, sch, j (= weich sch); ng, w, y; dialektisch auch g, b, dsch, d; im Auslaut n, ng; überdies in den Dialekten m, p, k, t. Dazu kommt im Kuānhoá noch eine selbständige Silbe, die aus einem vokalisierten gutturalen r besteht. Es ergibt sich daraus, wie arm die Sprache an Silben sein muß; im Kuānhoá zählt man deren kaum 500. Die südlichen Dialekte sind zwar, dank der größern Zahl ihrer Auslautskonsonanten, hierin reicher (der von Kanton besitzt etwa 700, der von Fukian gegen 850 verschiedene Silben); allein was will das besagen gegenüber dem Wortbedürfnis eines Kulturvolkes? Die bloßen Lautkombinationen würden nicht genügen, um einen hinreichenden Silbenschatz herzustellen, nähme nicht das Chinesische noch einen Faktor zu Hilfe, den wir nur als rhetorischen zu verwerten pflegen, den Ton oder die Stimmbiegungen (Accente). Der Kuānhoá kennt deren vier oder fünf: den gleichen (meist wieder in hohen ¯ und tiefen ^ geschieden), den steigenden ´, den fallenden ` und den kurzen ǎ. Im folgenden Beispiel wird das deutsche Wort "ja" nacheinander in vieren dieser Accente gesprochen. A. fragt: "Jà" B. antwortet: "Já". Darauf A.: "Jâ, dann freilich! das hättest du mir jâ gleich sagen können!" Für uns ist jedes dieser "Ja" das nämliche Wort; der Chinese aber verbindet mit derselben Silbe, je nachdem sie in der einen oder andern Tonmodulation gesprochen wird, ganz verschiedene Begriffe. So bedeutet tschì wissen, Spinne, Zweig, Fett; tschì anhalten, Insel, Papier, Hagedorn etc.; tschí wollen, gedenken, erreichen, Raubvogel, Pfand, straucheln, Schwein etc.; tschĭ niederwerfen, fesseln, Saft, aufsteigen, Substanz, Axt u. v. a. Das sind nun freilich Mehrdeutigkeiten die Hülle und Fülle, und ohne den steten Gebrauch zahlreicher zusammengesetzter, mehrsilbiger Ausdrücke würde der Kuānhoá trotz der etwa 1500 Silben, die er nun vermöge der Stimmbiegungen besitzt, nicht seinem Zweck als Konversationssprache genügen. Die Dialekte, namentlich die des Südens, sind auch an Tonmodulationen reicher. Die Grammatik des Chinesischen ist in ihren Elementen sehr einfach. Einheimische Gelehrte teilen die Wörter ein in volle und leere (wir würden etwa sagen: Stoffwörter und Form- oder Hilfswörter) und erstere wieder in lebendige, d. h. Verben, und tote, wozu alle übrigen vollen Wörter gehören. Eine so durchgreifende Scheidung der Wörter nach Redeteilen, wie wir sie in unsern Sprachen haben, kennt das Chinesische nicht, am wenigsten im alten Stil. So kann das Wort ngān entweder Substantiv ("Ruhe") sein, oder Adjektiv ("ruhig"), oder transitives Verbum ("beruhigen"), oder Verbum neutrum ("ruhig sein, ruhen"), oder Passivum ("beruhigt werden"), oder Adverb ("beständig"); immer ist es dasselbe Wort, und nur aus der Konstruktion läßt sich sein jeweiliger Wert erkennen. Die Gesetze der Konstruktion, d. h. der Wortstellung, lassen sich auf vier zurückführen; es tritt nämlich 1) das Subjekt vor das Prädikat, 2) das Objekt hinter sein Regens (aktives Verbum oder Präposition), 3) jedes Wort, das ein andres näher bestimmt, vor dieses letztere, also der Genitiv vor sein Regimen, das Adjektiv und Zahlwort vor das Substantiv, das Adverb vor das Verbum; nur 4) die Apposition wird nachgesetzt. Diese Gesetze gelten in der Hauptsache auch für die Anordnung der Sätze selbst, und sie gestatten nur ganz vereinzelte, vielleicht nur scheinbare Ausnahmen. Und doch würden sie in den meisten Fällen allein nicht hinreichen, um die Funktionen der einzelnen Satzteile erkennen zu lehren. Vor allem helfen hier die Partikeln als wahre Hilfswörter. Diese scheinen ihrer Abstammung und ursprünglichen Bedeutung nach in drei Hauptarten zu zerfallen: 1) pronominale mit determinativer Bedeutung, 2) verbale mit dem Wert von Präpositionen oder Konjunktionen, 3). Schluß- und Empfindungslaute, welche die Modalität anzeigen. Der Leser denke sich, daß wir im Deutschen jedes Punktum, Komma, Fragezeichen etc. aussprechen wollten, und er hat einen Begriff von dem Werte dieser Laute. Um aber ihre Notwendigkeit zu begreifen, denke er daran, daß im Chinesischen die Betonung fest am Wort klebt, und daß die Wortfolge in allen Satzarten die gleiche ist, daß also der Fragesatz sich durch nichts als durch das Fragewort vom behauptenden unterscheidet. Schließlich ist noch eines wichtigen Verdeutlichungmittels zu gedenken. Der Chinese hat nämlich, besonders in der neuern Sprache, gewisse stereotype Wortverbindungen, z. B. zwei Synonyme, die den ihnen gemeinsamen Begriff, zwei entgegengesetzte Eigenschaftswörter, die das beiden zu Grunde liegende Abstraktum (groß - klein, s. v. w. Quantität) ausdrücken; er determiniert Substantiva durch Appositionen (man denke an Tannenbaum) oder Verba durch Hilfsverba oder konventionelle Objekte u. dgl. m.

So viel von den Mitteln der Sprache, nun einiges von ihrer Verwertung. Ein eigentlicher Artikel ist nicht vorhanden. Das Hauptwort hat kein grammatisches Geschlecht; die Mehrzahl und Allheit wird meist gar nicht, wo nötig, durch unbestimmte oder bestimmte, zuweilen konventionelle Zahlwörter ("die fünf Sinne") oder durch Adverbien, etwa von der Bedeutung "zusammen", ausgedrückt, oder man setzt das Substantiv als Genitiv vor ein andres, das Klasse, Gesamtheit bedeutet. Die Kasus ergeben sich bald aus der Wortstellung allein, wobei Ablativ, Lokativ und Instrumentalis meist wie Adverbien, erstere beide nach gewissen Verben als deren Objekte behandelt werden; bald dienen Partikeln der ersten und zweiten Art zu ihrer Kennzeichnung. Die Steigerung der Adjektiva ergibt sich bald aus dem Zusammenhang, z. B.: X und Y wer klug, d. h. wer ist klüger, X oder Y? oder: Mensch tausend Wesen klug, d. h. der Mensch ist der tausend Wesen kluges, klügstes; weise im Verhältnis zu X, d. h. weiser als X; bald drücken Wörter von der Bedeutung "mehr, sehr" den Komparativ oder Superlativ aus. Die Fürwörter werden fast ganz wie Hauptwörter behandelt. Daß die Verba ebensowenig eine Konjugation wie die Substantiva eine Deklination haben, liegt in der Natur der Sache. Ob ein Verbum als Präsens, Präteritum oder Futurum, ob es als Indikativ, Konjunktiv, Imperativ zu übersetzen, ist oft allein aus dem Zusammenhang, ob es als Aktivum, Passivum oder Neutrum, als Finitum, Partizip oder Infinitiv fungiere, aus der Konstruktion zu entnehmen. Indessen erleichtern, namentlich im neuern Stil, vielfach Adverbien, Hilfsverba und gewisse Partikeln auch hier das Verständnis. Die Konjunktionen "und, oder, wenn" bleiben oft unausgedrückt, ebenso die Kopula, und nicht selten werden auch Personalpronomina verschwiegen. Der häufige Gebrauch von sogen. absoluten Konstruktionen, darin bestehend, daß man Satzteile selbständig stellt, statt sie in den Satz einzufügen, benimmt dem Satzbau die Eintönigkeit. Kürze

^[Artikel, die unter C vermißt werden, sind unter K oder Z nachzuschlagen.]