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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1741-1756. Karl VII., Franz I., Siebenjähriger Krieg).

Reichs unter die Wünsche des Wiener Hofs zuversichtlich nicht bloß auf ihre eigne unangefochtene Thronfolge, sondern auch auf die Wahl ihres Gemahls, des Großherzogs Franz Stephan von Toscana, zum Kaiser. Mit Entrüstung wies sie daher das Ansinnen des Königs von Preußen zurück, der für die Garantie der Pragmatischen Sanktion und die Wahl ihres Gemahls auf Grund alter Erbansprüche die Abtretung eines Teils von Schlesien verlangte. Indes mußte sie bald einsehen, daß ihre Herrschaft doch nicht so unerschütterlich begründet war, wie sie geglaubt. Als Friedrich II. die Ablehnung seines Anerbietens mit der Besetzung von Schlesien beantwortete und 10. April 1741 über die österreichische Armee den Sieg von Mollwitz erfocht, schloß Frankreich mit dem Kurfürsten Karl Albert von Bayern das Nymphenburger Bündnis (22. Mai 1741), dem auch Spanien, Sardinien, Preußen, Kurpfalz, Köln und Sachsen beitraten. Das Ziel desselben war, daß Maria Theresia und die habsburgisch-lothringische Dynastie des Kaisertums beraubt und auf den Besitz Ungarns beschränkt werden sollte; Bayern sollte die österreichischen Erblande, Sachsen einen Teil von Böhmen, Mähren und Oberschlesien, Frankreich die Niederlande, Spanien und Sardinien die italienischen Lande bekommen, die Kaiserkrone in freier Wahl auf das bayrische Haus übertragen werden. Die österreichische Monarchie sollte also zertrümmert, die österreichische Hegemonie in D. durch die französische und die einiger weniger mächtiger Reichsfürsten ersetzt werden. Der österreichische Erbfolgekrieg (s. d.) begann damit, daß die Franzosen, Bayern und Sachsen in Österreich und Böhmen im Herbst 1741 einrückten. Karl Albert wurde in Prag zum König von Böhmen, 24. Jan. 1742 in Frankfurt a. M. als Karl VII. (1742-45) zum Kaiser gekrönt. Die mutige junge Königin Maria Theresia fand jedoch in Ungarn begeisterte Anerkennung und aufopfernden Beistand. Noch 1741 wurden die Verbündeten aus Österreich vertrieben und sogar Karls VII. Hauptstadt München besetzt. Ihres gefährlichsten Feindes, des Preußenkönigs, der 17. Mai 1742 die Österreicher zum zweitenmal bei Chotusitz schlug, entledigte sich Maria Theresia durch die Aufopferung Schlesiens im Frieden von Breslau und schloß darauf 1743 zur Bekämpfung Frankreichs mit den Seemächten England und den Niederlanden, ferner mit Sardinien und Sachsen ein Bündnis, welches ihren Waffen in D. den vollständigsten Sieg verschaffte. Vergeblich suchte Friedrich II. durch die Frankfurter Union (Mai 1744) und einen Einfall in Böhmen an der Spitze von 80,000 Mann kaiserlicher Hilfsvölker (1744) Kaiser Karl VII. zu retten und den Besitz Schlesiens zu sichern. Nach Karls VII. Tod (20. Jan. 1745) unterwarf sich sein Sohn Maximilian Joseph im Frieden von Füssen (22. April 1745) Österreich, Maria Theresias Gemahl wurde als Franz I. (1745-65) zum Kaiser erwählt, und Österreicher und Sachsen fielen, nachdem Friedrich II. zum Rückzug aus Böhmen gezwungen worden, im Mai 1745 in Schlesien ein, um dasselbe wiederzuerobern. Die Siege der Preußen bei Hohenfriedberg (4. Juni), bei Soor (30. Sept.) und bei Kesselsdorf (15. Dez.) vereitelten dies Unternehmen. Im Frieden von Dresden (25. Dez.) mußte Maria Theresia ihren Gegner im Besitz Schlesiens bestätigen. Auch der Krieg mit Frankreich, welcher in den österreichischen Niederlanden geführt wurde, nahm mit dem Sieg des Marschalls von Sachsen bei Fontenoy 1745 noch einmal eine ungünstige Wendung. Indes die Erschöpfung der beiden bourbonischen Königreiche, welche jetzt allein noch den Krieg und zwar ohne eigentlichen Zweck fortsetzten, führte 1748 zum Aachener Frieden, welcher Maria Theresia als Erbin Karls VI. anerkannte und ihr den Besitz aller österreichischen Lande ließ, mit Ausnahme Schlesiens, welches Preußen behielt, und der Fürstentümer Parma und Piacenza, welche als Sekundogenitur den spanischen Bourbonen zufielen.

Österreich hatte also mit der Kaiserkrone die herrschende Stellung im Reich behauptet. Jedoch Kaisertum und Reich wollten jetzt noch weniger bedeuten als früher. Maria Theresia hatte ja selbst den Kaiser Karl VII. bekämpft und sich um den Reichstag und seine Rechte wenig gekümmert. Ebensowenig waren die übrigen Fürsten des Reichs, vor allen Preußen, gewillt, sich durch Reichsordnungen binden zu lassen. Die Machtinteressen und politischen Gegensätze zwischen Österreich und der nächstgrößten deutschen Macht, der preußischen, stießen also unvermittelt und ungemildert durch ihre Reichspflichten aufeinander und mußten zum Konflikt führen. Der Haß Maria Theresias gegen Friedrich II., den sie zu vernichten wünschte, führte einen völligen Umschwung in der Stellung Österreichs zu seinen bisherigen Gegnern und damit eine wichtige Änderung im Reich und in der ganzen europäischen Politik herbei. Nach 250jährigem Kampf, in welchem Frankreich und die Bourbonen groß geworden, Österreich glänzenden Waffenruhm sich erworben hatte, vereinigten sich jetzt beide Großmächte zur Unterdrückung eines Störenfrieds und Eindringlings in das von ihnen geschaffene Staatensystem. Durch das österreichisch-französische Bündnis wurden auch die bisher unter französischem Einfluß stehenden Reichsstände Österreich dienstbar, und das offizielle Reich stand fortan zur unbedingten Verfügung des kaiserlichen Hofs. Indem sich Schweden und Rußland dem Bund anschlossen, wurde fast das ganze festländische Europa gegen Preußen vereinigt, das nur England und außer den von England abhängigen Hannover sehr wenige Reichsstände auf seiner Seite hatte.

Schon die Verträge der Verbündeten mußten aber den gebildeten, besonders den protestantischen Teil der deutschen Nation darüber belehren, auf welcher Seite ihr wahres Interesse verteidigt wurde: nicht bloß sollten deutsche Reichsgebiete, wie Vorpommern, fremden Mächten preisgegeben werden, Ostpreußen an Rußland fallen und damit die Ostsee dem deutschen Handel verschlossen werden, ferner durch Abtretung der österreichischen Niederlande an Frankreich dessen Macht und Einfluß im Westen eine bedeutende Stärkung erfahren, sondern es waren auch die Erhaltung des Protestantismus und damit der mühsam errungene kirchliche Friede, die geistige Freiheit und die aufblühende Litteratur in D. durch den Sieg der beiden katholischen Großmächte ernstlich gefährdet. Noch deutlicher freilich bewies der Verlauf des Siebenjährigen Kriegs (1756-63, s. d.) selbst, daß nicht im Lager der Kaiserlichen und des erbärmlichen Reichsheers, sondern in dem preußischen das höhere Recht, die größere Intelligenz und sittliche Kraft vertreten waren, daß Friedrich für die modernen Ideen und die Aufklärung, die Verbündeten für mittelalterliche Geistesknechtschaft kämpften. Um das einzige wirkliche Staatswesen in D., den deutschen Staat der Zukunft, zu zertrümmern, überschwemmten und verwüsteten französische, schwedische und russische Scharen, Kroaten und Panduren deutsche Landschaften. Das offizielle Reich und sein formell begründetes Rechtsverfahren gegen den preußischen Landfriedensbrecher