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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Friede

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Friede (die Weltfriedensidee).

langen sollen. Gewöhnlich geht dem Abschluß des Definitivfriedens das Übereinkommen über einen Präliminarfrieden voraus, in welchem nur die Hauptmomente des Streits verglichen oder die Grundbedingungen der Beilegung des Streits (Friedenspräliminarien, Punktationen) festgesetzt werden. Beispiele sind die Friedenspräliminarien zu Wien 1735, Breslau 1742, Abo 1743, Füssen 1745, Aachen 1748, Fontainebleau 1762, Paris 1783, Jassy 1791, Leoben 1797, Paris 1800 (nicht ratifiziert), London 1801, in neuerer Zeit die von Nikolsburg im Juli 1866, von Versailles 1871 und von San Stefano 1878. Die Vervollständigung und nähere Bestimmung der Präliminarien bleibt dem definitiven Friedenswerk überlassen. Manchmal wird auch, wenn ein Teil sich gar nicht in Unterhandlungen einlassen will, ohne daß ihm im voraus gewisse Zugeständnisse gemacht werden, hinsichtlich letzterer ein vorläufiges Übereinkommen (Präliminarkonvention) vor dem Beginn der eigentlichen Friedensverhandlungen abgeschlossen. Es ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, daß die Friedensverträge, wenn sie auch von den Unterhändlern ganz in Übereinstimmung mit der ihnen erteilten Vollmacht abgeschlossen sind, doch ihre volle Gültigkeit erst dadurch erhalten, daß sie der Regent ratifiziert, und zwar auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt. Die gegenseitige Ratifikation des abgeschlossenen Friedensvertrags und die Auswechselung der Ratifikationsurkunden als Erklärung der Bündigkeit des Vertrags ist eine althergebrachte völkerrechtliche Sitte. Zuweilen tritt eine neutrale Macht als Bürge des Friedens (Friedensgarant) ein, d. h. sie verspricht, im Fall der eine Teil die Friedensbedingungen, hinsichtlich deren man übereingekommen, nicht erfüllen sollte, dem dadurch verletzten Teil zu seinem Recht zu verhelfen. Schließt eine von mehreren verbündeten kriegführenden Mächten für sich allein mit dem Gegner Frieden, so spricht man von einem Separatfrieden. Wichtig ist für konstitutionelle Staaten die Frage, inwieweit zu einem gültigen Friedensschluß die Mitwirkung der Volksvertretung erforderlich ist. In dieser Hinsicht stimmen die meisten Verfassungsurkunden darin überein, daß das Recht, Frieden zu schließen, ein Vorrecht der Krone ist. Die Volksvertretung hat jedoch dem Friedensvertrag insofern zuzustimmen, als durch denselben die Verfassung geändert oder dem Land Lasten auferlegt werden sollen. Die Verfassung des Deutschen Reichs insbesondere erklärt den Abschluß eines Friedensvertrags für ein Vorrecht des Kaisers. Würde ein solcher Vertrag sich indessen auf Gegenstände beziehen, welche der Gesetzgebung und der Beaufsichtigung der gesetzgebenden Faktoren des Reichs unterstellt sind, so wäre die Zustimmung der letztern zu dem Friedensvertrag unerläßlich. In Nordamerika erfolgt ein Friedensschluß durch den Präsidenten und den Senat, während in der Schweiz die Bundesversammlung hierzu kompetent ist.

Weltfrieden. Friedenskongresse etc.

Die Leiden und Drangsale, welche jeder Krieg im Gefolge hat, führten frühzeitig zu dem Streben nach möglichster Erhaltung und Befestigung des Friedenszustandes. Bei den Griechen bildeten die Amphiktyonen eine Art Schiedsgericht zur Schlichtung politischer Streitigkeiten. Jeder zivilisierte Staat sorgt heutzutage für den innern Frieden; seine Rechtsordnung sichert den Bürgern den friedlichen Genuß ihrer Rechte und verhindert für den Fall einer Rechtsverletzung die eigenmächtige Selbsthilfe des angeblich Verletzten. Wie schwer es war, diesen Grundsatz zu allgemeiner Anerkennung zu bringen, lehrt uns die Geschichte. Es währte sehr lange, bis die Versuche, durch Verbote der Fehde, durch Proklamierung eines sogen. Gottesfriedens (s. d.) und durch Einführung eines Landfriedens (s. d.) den öffentlichen Frieden in Deutschland zu sichern, dauernden Erfolg hatten. Zur Aufrechterhaltung des Friedens zwischen den einzelnen deutschen Staaten hatte die frühere deutsche Bundesverfassung ein Austrägalverfahren vorgesehen. Die Verfassung des nunmehrigen Deutschen Reichs (Art. 76) verweist Streitigkeiten zwischen den einzelnen Bundesstaaten vor den Bundesrat und Streitigkeiten privatrechtlicher Natur an die Gerichte. Aber auch jener weiter zielenden Bestrebungen, welche die Herbeiführung eines Friedenszustandes zwischen den verschiedenen Völkerschaften bezweckten und bezwecken, ist zu gedenken. Herrscher und Eroberer suchten den Weltfrieden durch eine Weltmonarchie herbeizuführen. Kyros zog aus, um die Welt der Dunkelheit (Turan) seinem Reich des Lichts (Iran) zu unterwerfen, und Alexander d. Gr. glaubte der Befriedigung der Völker ganz nahe gekommen zu sein, als er in Babylon seine großartigen Anstalten traf, durch welche die Stadt der Semiramis zum Mittelpunkt der Welt erhoben werden sollte. Selbst Rom, das durch ewige Kriege groß geworden, hoffte den Janustempel schließen zu können, seit es seine Grenzen bis zu den Parthern und Äthiopiern, den Germanen und Sarmaten vorgeschoben hatte. Da indes die Weltmonarchie nur mit dem Schwert zu begründen war, so mußte diese angebliche Friedensidee zu unausgesetzten Kriegen führen. Ebenso war es im Mittelalter. Die Weltmonarchie sollte zuerst von den deutschen Kaisern, die als Nachfolger und Erben der Cäsaren galten, begründet werden; bald zeigten sich aber in den Kalifen, die nach einer religiösen Fiktion Nachfolger und Erben des Propheten waren, Mitbewerber. Sowohl Kaiser als Kalifen strebten nach dem Ziel, daß Ein Hirt werde und Eine Herde, und durch diese Konkurrenz verwandelte sich der ewige F. abermals in einen ewigen Krieg. Als im Lauf der Zeit in Europa durch das Haus Habsburg, das in Deutschland, Italien, Ungarn, den Niederlanden, Spanien, Afrika und beiden Indien über unermeßliche Gebiete verfügte, wirklich die Gefahr einer alle Staaten verschlingenden Weltmonarchie vorzuliegen schien, trat man der Verwirklichung des ewigen Friedens um einen Schritt näher, jedoch wiederum ohne dauernden Erfolg. Heinrich IV. von Frankreich und seinem Minister Sully wird das Projekt eines "christlich-europäischen Staatenbundes" zugeschrieben, dessen Mitglieder sich in ihrer Macht gegenseitig das Gleichgewicht halten und die gemeinsamen Angelegenheiten friedlich beraten sollten. Auch die Heilige Allianz (s. d.) zu Anfang dieses Jahrhunderts hatte ursprünglich die Bedeutung, den europäischen Frieden zu sichern, und selbst Napoleon I. rühmte sich derselben Idee. Viel erörtert ist das Problem eines internationalen Friedens von Gelehrten, Staatsmännern und Friedensfreunden in Wort und Schrift. Der erste Schriftsteller, der das Thema eines ewigen Friedens eingehend behandelte, ist Charles Irénée Castel, Abbé de Saint-Pierre; sein "Projet de paix perpétuelle entre les potentats de l'Europe" (1710) machte großes Aufsehen und wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt. Nach ihm wurde der Gegenstand namentlich von Kant behandelt, dessen Schrift "Zum ewigen Frieden" allen Friedensfreunden zum Stützpunkt dient. Kant fordert in derselben, daß die bürgerliche Verfassung in jedem Staat repu-^[folgende Seite]