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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gase

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Gase (Physikalisches).

verschiedene G. bei gleichem Druck und gleicher Temperatur in gleichen Raumteilen gleich viele Moleküle enthalten und demnach die Molekulargewichte gasförmiger Körper sich verhalten wie ihre spezifischen Gewichte. Es erklären sich daraus ferner die Gesetze der Diffusion (s. d.) und des Ausfließens der G. (s. Ausflußgeschwindigkeit). Alle diese Gesetze gelten mit voller Strenge indes nur für einen idealen, vollkommenen Gaszustand, in welchem die Moleküle so weit voneinander entfernt sind, daß zwischen ihnen keine Anziehung (Kohäsion) mehr wirksam ist. Werden die Moleküle durch Zusammenpressen oder Abkühlen des Gases einander so weit genähert, daß die molekulare Anziehung (Kohäsion) sich wieder geltend machen kann, so gehen die G. in den Zustand der Dämpfe über (s. Dampf) und werden zunächst zu gesättigtem Dampf, welcher durch weitere Abkühlung oder Zusammenpressung in den flüssigen Zustand übergeht (Verflüssigung oder Liquefaktion der G.). Die G. sind demnach nichts andres als ungesättigte oder "überhitzte" Dämpfe (s. Dampf), welche sehr weit von ihrem Sättigungspunkt entfernt sind, Dämpfe, welche aus Flüssigkeiten entstanden sind, deren Siedepunkt sehr tief liegt. Manche G. sind sehr leicht zur Flüssigkeit verdichtbar, durch bloße Abkühlung oder auch bei gewöhnlicher Temperatur durch verhältnismäßig geringen Druck. Wird z. B. die gasförmige schweflige Säure durch eine Kältemischung aus Schnee und Kochsalz abgekühlt, so verdichtet sie sich zu einer farblosen Flüssigkeit, welche schon bei 10° unter Null siedet. Zur Zusammendrückung der leichter verdichtbaren G. bedient man sich des Örstedschen Kompressionsapparats (s. Piezometer). Hierbei nimmt ihr Druck zuerst nach dem Boyleschen Gesetz zu. Nähert sich aber das Gas seinem Sättigungspunkt, so verringert sich sein Rauminhalt schneller als derjenige der Luft. So werden bei 0° Cyan und schweflige Säure bei einem Druck von 3 Atmosphären, Chlor bei 4, Ammoniak bei 65 Atmosphären flüssig. Schwerer verdichtbare G. werden flüssig gemacht, indem man sie mittels einer Kompressionspumpe (Natterers Kompressionsapparat) in eine starke, mit Ventil versehene eiserne Flasche preßt und gleichzeitig stark abkühlt. Kohlensäure wird auf diese Weise bei 38, Stickstoffoxydul bei 50 Atmosphären flüssig.

Durch sehr starken Druck und hohe Kältegrade (bis -110°) war es Faraday gelungen, die meisten. G. zu Flüssigkeiten zu verdichten; nur einige wenige, nämlich Wasserstoff, Sumpfgas, Kohlenoxyd, Stickstoffoxyd, Stickstoff, Sauerstoff und daher auch die aus den beiden letztern Gasen gemischte atmosphärische Luft, hatten bis in die neueste Zeit allen dahin gerichteten Bemühungen widerstanden und daher den Namen der permanenten ("beständigen") G. erhalten, im Gegensatz zu jenen koerzibeln ("bezwingbaren") Gasen; Colladon hatte dieselben bei -30° C. auf 400 Atmosphären, Natterer sogar bis auf 3000 Atmosphären zusammengepreßt, ohne Verflüssigung zu erzielen. Von diesem widerspenstigen Verhalten gibt die mechanische Wärmetheorie folgende Erklärung. Wärme ist nichts andres als Bewegung der kleinsten Körperteilchen oder Moleküle. Die Temperatur, welche wir empfinden oder durch das Thermometer messen, entspricht der Energie oder der Wucht dieser Bewegung. Die Energie der Wärmebewegung wirkt der Anziehungskraft (Kohäsion), welche bestrebt ist, die Moleküle eines Gases zu einer Flüssigkeit zusammenrinnen zu lassen, entgegen. Solange die Temperatur so hoch ist, daß die Wucht der Wärmebewegung jener Anziehungskraft die Wage hält oder sie übertrifft, wird das Gas nicht flüssig gemacht werden können, wie sehr man es auch zusammendrücken mag. Für jeden Stoff gibt es daher eine sogen. kritische Temperatur, über welcher der Stoff bei jedem noch so großen Druck gasförmig bleibt. Für Ätherdampf beträgt die kritische Temperatur 196°, für Kohlensäure 31°, für die sogen. permanenten G. liegt sie sehr tief unter 0°. Bei den Versuchen Colladons und Natterers lag die Temperatur noch oberhalb dieses kritischen Punktes. Damit die Verflüssigung gelinge, ist es notwendig, neben sehr starkem Druck möglichst tiefe Kälte einwirken zu lassen. Indem Cailletet in Paris und Pictet in Genf diese Bedingung erfüllten, gelang es ihnen fast gleichzeitig gegen Ende des Jahrs 1877, die bisher sogen. "permanenten" G. flüssig zu machen. Cailletet drückte die G. in einer engen dickwandigen Glasröhre mittels einer hydraulischen Presse zusammen. Sauerstoffgas, durch flüssige schweflige Säure auf -29° C. abgekühlt, blieb selbst bei einem Druck von 300 Atmosphären noch gasförmig; nun wird rasch ein Hahn geöffnet, der einen Teil des Gases in die Luft entweichen läßt; zu der Arbeit, welche das plötzlich sich ausdehnende Gas hierbei leistet, verbraucht es eine so bedeutende Wärmemenge (s. Wärme), daß es um etwa 200° tiefer erkaltet. Bei dieser plötzlichen Entspannung sah man nun in der Röhre einen Nebel entstehen, welcher aus feinen Tröpfchen oder Bläschen flüssigen Sauerstoffs bestand. Ähnliche Erscheinungen zeigten Stickstoff, Kohlenoxyd, atmosphärische Luft und selbst Wasserstoff. Während Cailletet die genannten G. nur als zarte Nebel bei plötzlicher Ausdehnung nach starker Zusammenpressung auftreten sah, gelang es Pictet, durch hohen Druck und starke Abkühlung größere Mengen flüssigen Sauerstoffs und Wasserstoffs zu erhalten. Das Verfahren, dessen er sich bediente, wird durch obenstehende Figur erläutert. Das Sauerstoffgas entwickelt sich aus chlorsaurem Kalium, welches in einem starkwandigen eisernen Gefäß A erhitzt wird. An das eiserne Gefäß ist eine starkwandige, 3,70 m lange Kupferröhre B angeschraubt, welche bei C ein Manometer zum Ablesen des in der Röhre herrschenden Druckes trägt und bei b durch einen Schraubenhahn verschlossen ist. In dieser Röhre wird das Gas durch seinen eignen,

^[Abb.: Apparat zur Darstellung von flüssigem Sauerstoff.]