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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gradmessungen

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Gradmessungen (Geschichtliches).

schen Paris und Amiens und ermittelte die Entfernung mittels Meßrades. Er erhielt, durch den Zufall begünstigt, den nahezu richtigen Wert von 56,746 Toisen für den Meridiangrad. Bis dahin stand der geodätische Teil der Gradmessung an Genauigkeit erheblich hinter dem astronomischen zurück. Bei diesem nämlich handelte es sich nur um Winkelmessungen, welche von den Arabern bereits mit einer Genauigkeit von 6 Minuten ausgeführt wurden. Zur Ermittelung der Entfernung aber mußte man sich der direkten Messung bedienen, die immer mit vielen Fehlerquellen behaftet ist. Eine neue Periode beginnt mit dem Niederländer Willebrord Snellius, welcher zuerst zeigte, wie man durch eine Triangulation, mittels Dreieckskette, aus dem Weg der Rechnung die Entfernung zweier weit entlegener Punkte ermitteln kann, nachdem man eine verhältnismäßig kurze Grundlinie und außerdem nur Winkel gemessen hat. Mit Hilfe einer Grundlinie von 326,4 Ruten rheinisch und Anwendung von 33 Dreiecken maß Snellius 1615 den Bogen Alkmar-Bergen op Zoom, erlangte indessen nur das ungenaue Resultat von 55,021 Toisen für den Meridiangrad. Eine spätere Revision durch Musschenbroek (1719) ergab den genauern Wert von 57,033 Toisen. Noch ist aus der Zeit nach Snellius die nach alter Art, aber sehr sorgfältig ausgeführte Kettenmessung des Engländers Norwood zu erwähnen: 1635 der Bogen London-York, 40 deutsche Meilen (57,424 Toisen).

Einen weit höhern Grad von Genauigkeit erlangten die Messungen durch Anwendung des Fernrohrs mit Fadenkreuz, eine Erfindung des Engländers Gascoigne (1640). So maß 1669 der Abbé Picard den Meridianbogen Amiens-Malvoisine und fand die Größe eines Grades = 57,060 Toisen, also den Erdumfang = 20,541,600 Toisen. Dieses Resultat diente Newton zur Grundlage bei seinen Arbeiten, die zur Entdeckung der allgemeinen Gravitation führten. - Während man bei den bisherigen G. aber die Erde als kugelförmig vorausgesetzt und nur ihre Größe gesucht hatte, trat nun ein neues Problem auf: Teils die von Richer 1672 in Cayenne beobachtete Verkürzung des Sekundenpendels in geringern Breiten, teils die theoretischen Arbeiten von Huygens und Newton hatten zu der Ansicht geführt, daß die Erde die Gestalt eines an den Polen abgeplatteten Rotationsellipsoids oder Sphäroids habe. Der von Picard gemessene Bogen war zu klein, um eine Bestätigung oder Widerlegung dieser Ansicht zu liefern. Die französische Akademie veranlaßte daher eine Fortsetzung der Picardschen Gradmessung nördlich bis Dünkirchen und südlich bis Collioure, zusammen 8 1/3°. Lahire übernahm 1683 den nördlichen, Dominique Cassini, später auch (1701) sein Sohn Jacques Cassini den südlichen Teil. 1718 war die Arbeit vollendet, und es ergab sich aus ihr eine Abnahme der Meridiangrade mit wachsender Breite; während nämlich auf dem südlichen Bogen 1° = 57,097 Toisen gefunden wurde, ergab er sich auf dem nördlichen = 56,960 Toisen. Nun müssen aber auf einem an den Polen abgeplatteten Rotationsellipsoid die Meridiangrade nach den Polen hin an Größe zunehmen. Die Franzosen schlossen daher, daß die Erde nicht an den Polen abgeplattet, sondern gerade umgekehrt in Richtung der Achse verlängert sei. Der hierdurch veranlaßte Streit zwischen Engländern und Franzosen führte zu zwei in der Breitenlage weit auseinander liegenden Expeditionen: die eine, am Äquator, aus Bouguer, La Condamine, Godin bestehend, maß unter Beihilfe des Spaniers Ulloa 1735-41 einen Bogen von 3° 7' (Tarqui-Couteschi) in Peru; die andre, Maupertuis, Clairaut, Lemonnier, Camus, Outhier, maß 1736 unter Mitwirkung von Celsius einen Gradbogen bei Torneå in Lappland. Diese einen entschieden größern Wert (57,438 Toisen) für den Meridiangrad liefernde Messung machte die Abplattung der Erde an den Polen gewiß. Die Messung in Peru ergab, dies Resultat bestätigend, am Äquator 56,753 Toisen. Von dieser Gradmessung hat die Toise du Pérou ihren Namen, die seitdem die Maßeinheit der höhern Geodäsie gebildet hat. Es wurde nämlich der eiserne Maßstab, der bei dieser Messung benutzt worden war, zum Normalmaßstab erklärt an Stelle des 1688 in eine Treppenstufe des Pariser Châtelet eingelassenen, und zwar sollte eine Toise seine Länge bei 13° R. sein. Inzwischen hatten Cassini de Thury und Lacaille bei einer Revision der ältern Messungen 1740 als mittlere Größe des Meridiangrads in Frankreich 57,012 Toisen gefunden, auch eine Zunahme der Größe der Grade mit wachsender Breite erkannt. Es folgten dann im vorigen Jahrhundert noch eine Anzahl G., sämtlich zu dem Zweck, die Größe der Abplattung der Erde, d. h. das Verhältnis der Differenz zwischen dem äquatorialen und polaren Halbmesser zum erstern, genauer zu ermitteln. Lacaille nahm die erste Gradmessung auf der südlichen Halbinsel ^[richtig: Halbkugel] vor, indem er 1751-53 am Kap der Guten Hoffnung einen Bogen von etwa 1¼° maß. Mason und Dixon maßen 1768 in Pennsylvanien einen Bogen von 1° 28' 45'' mit der Kette; in demselben Jahr nahm auch Beccaria bei Turin eine Meridianmessung vor. Alle diese Arbeiten wurden aber an Ausdehnung wie Genauigkeit übertroffen von der großen französischen Gradmessung, welche, 1792 von Méchain und Delambre begonnen, 1808 von Arago und Biot zu Ende geführt, einen Bogen von 12° 22' 13'' - 705,257,21 Toisen von Dünkirchen (51° 2' 9'' nördl. Br.) bis Formentera (38° 39' 56'' nördl. Br.) umfaßt. Hauptzweck dieses Unternehmens war die genaue Ermittelung der neuen französischen Längeneinheit, des Meters, welches nach Dekret vom 26. März 1791 der zehnmillionte Teil des Erdmeridianquadranten sein sollte. Aus den Messungen von Méchain und Delambre ergab sich das Meter = 443,296 Pariser Linien = 0,5130740 Toisen, und diese Länge wurde durch einen in Paris aufbewahrten Platinmaßstab bei der Temperatur von 0° C. fixiert. Bessel hat indessen später gezeigt, daß dieser Wert nicht ganz den Bestimmungen jenes Dekrets entspricht; es hat nämlich der Erdquadrant in Wirklichkeit 10,000,856 m statt 10,000,000, und das Meter müßte, um der gesetzlichen Bestimmung zu genügen, 443,834 Pariser Linien betragen, - Aus dem 19. Jahrh. ist zunächst die Revision der Maupertuisschen Gradmessung durch Svanberg und Ofverbone ^[richtig: Öfverbom] zu erwähnen; dieselben verlängerten 1801-1803 den Bogen bis zu 1° 37' 19,6'' von Malörn bis Pahtawara. In England wurde 1800 die von Roy begonnene Messung bis auf etwa 3° fortgesetzt, später aber mit der allgemeinen Triangulation Großbritanniens noch auf 10° 21' 31,4'' erweitert (von Dunnose auf der Insel Wight bis Saxaford [Shetlandinseln]). Die englische Gradmessung ist übrigens mit der französischen in Verbindung gesetzt worden, beide zusammen umfassen einen Bogen von 22°. Zu den größten Meridianmessungen gehört die zweite ostindische. 1802 bestimmte Lambton die Länge eines Bogens von 1° 34' 56,4'' zwischen Trivandeporum (11° 44' 53'' nördl. Br.) und Pandrin (13° 19' 49'' nördl. Br.),