Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechische Kirche

719

Griechische Kirche (geschichtliche Entwickelung).

Teil freilich nur um den Preis einer schismatischen Absonderung der Nestorianer, Monophysiten und Monotheleten, so daß die kirchliche Einheit im Orient bald ganz verloren ging. Die griechisch-kirchliche Litteratur hatte sich während ihrer Blütezeit im 4. bis 6. Jahrh. in außerordentlicher Fülle und Vielseitigkeit entwickelt; wir erinnern nur an die dogmatischen Werke Theodorets und des Areopagiten Dionys, an die kirchenhistorischen Werke des Eusebios und Epiphanias, an die Homilien und Reden des Chrysostomos, Gregor von Nyssa, Basilius d. Gr. und Gregor von Nazianz, an die exegetischen Werke des Diodoros von Tarsos und Theodoros von Mopsuestia, an die liturgischen Erzeugnisse, welche unter den Namen des Markus und Jakobus, des Basilius und Chrysostomos gehen, an die Katechesen des Cyrillus von Jerusalem und die Beiträge zur geistlichen Poesie und Hymnologie. Unter den Epigonen stellte der Mönch Johannes Damascenus (s. d.) die Resultate der Glaubensstreitigkeiten zusammen und schloß damit die Dogmatik für seine Kirche auf ein Jahrtausend ab. Verschiedene Umstände lockerten gleichzeitig die Gemeinschaft der griechischen Kirche mit der abendländischen. Schon 484 trat infolge eines vom Kaiser Zeno 482 erlassenen, den Lateinern anstößigen Edikts (Henotikons) ein förmliches Schisma ein, welches bis 519 währte. Das zweite trullanische Konzil von 692 war in seinem Resultat geradezu eine Beleidigung Roms, und in den Streitigkeiten über Bilderdienst und Bilderverehrung (s. d.) stand der Papst gewöhnlich auf der Gegenseite zu den griechischen Kaisern.

Der wirksamste Grund zur wachsenden Entzweiung ist aber in der fortschreitenden Zentralisation der occidentalischen Kirche unter dem römischen Papsttum zu suchen. Schon Photius (s. d.) beschwerte sich über die Herrschsucht des römischen Bischofs, welcher auch den byzantinischen Patriarchen sich zu unterwerfen trachte, und die Erbitterung wurde noch gesteigert, als der von griechischen Priestern bekehrte König der Bulgaren, Bogoris, in den Verband der abendländischen Kirche gezogen wurde (866). Photius erließ zur Abwehr der römischen Übergriffe ein Rundschreiben (867), welches die abweichenden Gebrauche der abendländischen Kirche, das Fasten am Sonnabend, die Erleichterung der großen Fasten, die Verwerfung der Firmung durch die Hand des Presbyters und das Verbot der rechtmäßigen Priesterehe als Ketzereien rügte und gegen die lateinische Kirche zugleich den Vorwurf der Symbolfälschung erhob, da die noch vom Papst Leo III. zwar an sich gebilligte, aber als Zusatz im Symbol gemißbilligte Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes "auch vom Sohn" (filioque) in die lateinische Fassung des Symbols aufgenommen worden war. Das gute Einvernehmen mit Rom wurde zwar durch den Sturz des Photius wiederhergestellt, aber des letztern Rundschreiben war ein bleibendes Zeugnis der Verschiedenheit beider Kirchen. Als vollends ein Schreiben des Patriarchen Michael Cärularius (s. d.) zu den hergebrachten Vorwürfen wider die römische Kirche noch den Gebrauch von ungesäuertem Brot beim Abendmahl als jüdische Ketzerei hinzufügte, legten die römischen Legaten 16. Juli 1054 den päpstlicherseits gegen den Patriarchen erlassenen Bannspruch auf dem Hochaltar der Sophienkirche nieder. Michael säumte nicht, im Verein mit den übrigen orientalischen Patriarchen den Fluch zu erwidern, und so waren von jetzt an die Kirchen des Morgenlandes und des Abendlandes, die beide ausschließende Ansprüche auf Katholizität machten, auf immer getrennt. Voll zähen Selbstgefühls, stolz auf den Besitz der ältern kirchlichen Verfassung und Sitten sowie mancher einfacherer Lehrbestimmungen und echterer Überlieferungen, schloß sich die g. K. immer schroffer gegen die Fortentwickelung im Occident ab. Einzelne Versuche der Ausgleichung dienten nur dazu, den Riß zu erweitern, und die Heereszüge der Kreuzfahrer steigerten den kirchlichen Gegensatz zum Nationalhaß. Solange das lateinische Kaisertum bestand, verhinderte ebensowohl der gereizte Widerwille der Griechen gegen ihre politischen Unterdrücker wie die Anmaßung der triumphierenden lateinischen Kirche eine Aussöhnung. Das Gebiet der griechischen Kirche erweiterte sich zwar durch die Wiedergewinnung der Bulgarei, durch die Bekehrung sowohl der Mainoten als der Slawen in Böhmen und Mähren, die jedoch im 10. Jahrh. meist zum römischen Kultus übertraten, und durch die Gründung der russischen Kirche unter Wladimir d. Gr., erlitt aber anderseits Abbruch durch die von den Lateinern und Türken gemachten Eroberungen. Die kirchliche Wissenschaft beschränkte sich auf eine mechanische und äußerliche Fortpflanzung des Ererbten. Erwähnenswert von Schriften der griechischen Kirche im Mittelalter sind außer den Katenen (s. Exegetische Sammlungen) die kirchenhistorischen des Photius; die dogmatisch-polemischen des Euthymios, Niketas Choniates, Nikolaus von Methone; die liturgischen des Maximus, Sophronios, Simeon aus Thessalonich. Die Beziehungen zur römischen Kirche blieben im ganzen feindlich. Nur die wachsende Gefahr von seiten der Türken drängte wiederholt zu einer hilfesuchenden Annäherung an das Abendland. Aber weder zu Lyon (1274) noch zu Florenz (1439) wurde eine dauernde Union (s. d.) erreicht. Als schon die Zelte der Türken Konstantinopel umgaben, wurde noch einmal ein Versöhnungsfest (Dezember 1452) gefeiert und von einem römischen Kardinal-Legaten in der Sophienkirche Messe gelesen; aber dadurch wurden nur neue Schwierigkeiten hervorgerufen. Verlassen vom Abendland, wurde Konstantinopel endlich (29. Mai 1453) von den Türken erobert und die Sophienkirche zur Moschee entweiht. Zahllose Gelehrte flohen nach Italien, um daselbst ihre Bildung und Kenntnisse belebend auf die Wissenschaft des Abendlandes einwirken zu lassen und dadurch die geistigen Umwälzungen des folgenden Jahrhunderts vorzubereiten.

Aus der nachfolgenden Zeit sind besonders die Berührungen erwähnenswert, in welche die g. K. mit dem Protestantismus trat. Nachdem schon Melanchthon (1559) einem Griechen die griechische Übersetzung der Augsburgischen Konfession nebst einer Begrüßung an den Patriarchen Joasaph II. eingehändigt hatte, wurden die Tübinger Theologen J. ^[Jakob] Andreä und M. Crusius durch einen protestantischen Gesandtschaftsprediger in Konstantinopel veranlaßt, dem Patriarchen Jeremias II. eine andre Übersetzung mit der Bitte um sein Urteil zu übersenden (1574). Es erfolgte eine Antwort, die im Sinn der beschränktesten Orthodoxie der morgenländischen Kirche abgefaßt war und den fernern Schriftenwechsel abschnitt (1581). Ein glücklicherer Erfolg schien die Annäherungsversuche des Cyrillus Lukaris (s. d.) krönen zu wollen. Nachdem dieser Patriarch von Konstantinopel geworden war, sandte er ein Glaubensbekenntnis nach Genf in der Absicht, eine Wiedergeburt der griechischen Kirche im Sinn der reformierten Kirche zu bewirken; aber die obsiegende Gegenpartei erwiderte seine reformatorischen