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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Haïti

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Haïti (Geschichte).

ein kleines besonderes Gebiet zu Boya, 67 Meilen nordöstlich von San Domingo, wo ihre wenig zahlreichen Nachkommen sich noch jetzt unter eignen Kaziken erhalten haben.

Die Insel verlor durch den Untergang der Urbewohner ungemein. Noch nachteiliger für das Gedeihen der Kolonie war der Umstand, daß sich 1630 die französischen und englischen Bukanier oder Flibustier auf dem nahen Eiland Tortuga festsetzten. Zwar wurden sie endlich von da vertrieben, aber ein vorwiegend aus Franzosen bestehender Überrest derselben siedelte sich als Pflanzer auf der menschenleeren Nordküste der Insel H. an und wendete sich um Hilfe gegen die Spanier an Frankreich. Dieses sandte denn auch 1661 Dogeron als Gouverneur nach H. und gründete im westlichen Teil der Insel 1665 eine französische Kolonie, welche indes 1686 von den Spaniern zerstört wurde. Schon 1691 aber ward eine neue französische Kolonie durch Ducasse gegründet, und im Frieden von Ryswyk 1697 erhielt Frankreich den ganzen westlichen Teil der Insel abgetreten. Spanien behielt zwar die größere Osthälfte, aber die Industrie der Franzosen gab ihrem kleinern Anteil bald ein entschiedenes Übergewicht über den spanischen, und in dem langen Frieden, welcher auf den spanischen Erbfolgekrieg folgte, gelangte St. Domingue, wie die Franzosen ihren Anteil nannten, zur höchsten kolonialen Blüte. Mit jedem Jahr stieg die Zahl der Pflanzer und der Sklaven, und der Plantagenbau hob sich ungemein. Nach der Regulierung der Grenze zwischen dem spanischen und dem französischen Anteil 1776 zählte der französische Anteil 28,000 qm und auf diesen 1788: 27,717 Weiße, 21,808 freie Farbige und 405,564 Sklaven, zusammen 455,089 Einw. Der spanische Anteil hatte auf 48,500 qm im J. 1790: 125,000 Einw., darunter nur 15,000 Sklaven.

Im spanischen Anteil wurden die Sklaven sehr mild behandelt, desto härter im französischen. Hier entwickelte sich durch das Mißverhältnis zwischen den Weißen und der Überzahl der eingeführten Negersklaven auch der Keim eines Aufstandes. Durch die zur Zeit der französischen Revolution in Paris entstandene Gesellschaft der Freunde der Schwarzen und die englische Gesellschaft zur Abschaffung des Sklavenhandels auf ihre Menschenrechte hingewiesen und von den durch die Revolution unter die weiße Bevölkerung Haïtis selbst gebrachten Spaltungen in die großen und kleinen Weißen (Grundbesitzer und Gewerbsleute), die Konstitutionellen und Monarchisten, die Anhänger und Gegner der Kolonialregierung noch mehr aufgeregt, sandten die Farbigen, Mulatten (meist frei, aber den Weißen nicht ebenbürtig) und Neger, schon 1789 eine Gesandtschaft nach Frankreich und erwirkten 1790 einen Beschluß der Nationalversammlung, nach welchem der Kolonie Autonomie zugestanden ward. Der dem gegenüber gefaßte Beschluß der Weißen, um keinen Preis ihre politischen Rechte mit einer "entarteten Menschenrasse" zu teilen, brachte die Gärung zum offenen Ausbruch. Am 23. Aug. 1791 begann der Aufstand der Mulatten und Neger in der Umgegend des Kap François und verbreitete sich unter den greulichsten Verwüstungen und den blutigsten Metzeleien, denen die vom Mutterland zur Ordnung der Angelegenheiten der Kolonie gesendeten Bevollmächtigten Polverel und Santhonax weder wehren konnten noch wollten, nach der Einnahme von Kap François durch die Neger (21-23. Juni 1793) über die ganze Kolonie. Als 1793 die Spanier und Engländer mehrere Plätze der Kolonie besetzten, verband sich das Negerheer mit den unter General Lavaux zur Behauptung der Insel gelandeten französischen Truppen. Die Spanier mußten daher im Baseler Frieden von 1795 den östlichen Teil der Insel an die Franzosen abtreten, und die weißen Kolonisten wurden von den Insurgentengeneralen Rigaud und Toussaint l'Ouverture schließlich (1797) gezwungen, die Insel ganz zu verlassen, worauf das französische Direktorium 4. Febr. 1798 den Negern in den französischen Kolonien völlige Freiheit und gleiche Rechte mit den Weißen bewilligte. Gleichzeitig ward Toussaint l'Ouverture zum Obergeneral aller Truppen auf H. ernannt. Dieser suchte sich jedoch unabhängig von Frankreich zu machen und gab der Insel 9. Mai 1801 eine eigne zweckmäßige Verfassung. Der Erste Konsul Bonaparte schickte hierauf 1801 den General Leclerc mit 25,000 Mann als Generalkapitän nach H. Toussaint widersetzte sich anfangs seiner Landung bei Kap François, mußte sich jedoch bald ins Innere zurückziehen und sich unterwerfen, worauf er 1802 nach Frankreich geschickt wurde. Da die noch übrigen weißen Pflanzer die Sklaverei wiederherzustellen suchten, brach der Aufstand unter dem Negergeneral Dessalines von neuem aus; die französischen Truppen und ihr Anführer Leclerc selbst wurden durch Krankheiten aufgerieben, und im November 1803 mußte Rochambeau mit dem Reste der Franzosen die Insel räumen, auf welcher nun das Regiment der Weißen gänzlich aufhörte.

Dessalines warf sich zum Herrn der ganzen Insel auf, ließ sich 8. Okt. 1804 unter dem Namen Jakob I. zum Kaiser ausrufen und gab 20. Mai 1805 eine neue Verfassung; doch rief seine Grausamkeit schon im folgenden Jahr eine Verschwörung unter dem Neger Heinrich Christophe und dem Mulatten Alexander Pétion hervor, durch welche er gestürzt wurde. Alsbald brach auch die seither durch den gemeinsamen Haß gegen die Weißen in den Hintergrund gedrängte Rivalität zwischen Mulatten und Negern offen aus und blieb fortan das Motiv aller innern Kämpfe des neuen Staats. Pétion, als Haupt der Mulatten, und Christophe, als Haupt der Neger, kämpften miteinander um die Oberherrschaft bis 1808. Das Resultat dieses Kampfes während dessen die Spanier 1808 ihren Anteil an der Insel wiedereroberten, war eine Trennung der französischen Hälfte der Insel in eine Mulattenrepublik, mit Pétion als Präsidenten, im Süden und in den Negerstaat H. im Norden, mit Christophe als Präsidenten. Beide Staaten trennte ein zehn Stunden breiter Landstrich, den man absichtlich unbebaut ließ, und der bald, von Lianen und Dorngesträuch überdeckt, eine natürliche Scheidemauer bildete. 1811 verwandelte Christophe den nördlichen Staat in eine erbliche Monarchie und ließ sich unter dem Namen Heinrich I. zum Kaiser krönen. Zugleich erschien ein neues Staatsgesetzbuch (Code Henri) und ein von den komischten Titeln, Hof- und Staatsämtern strotzender Staatskalender; auch andre Einrichtungen der europäischen Überbildung wurden auf lächerliche Weise nachgeahmt und namentlich der Hofstaat nach französischem Muster eingerichtet. Die Sklaverei blieb im Grunde die alte, nur trat an die Stelle der Peitsche der Säbel. Zwischen beiden Staaten herrschte unversöhnliche Feindschaft, und nur in der Zurückweisung der nach dem Wiener Kongreß erneuerten Ansprüche Frankreichs waren sie einig. Pétion gab 2. Juni 1816 der Republik eine Verfassung, welche Abschaffung aller Sklaverei, Preßfreiheit etc. festsetzte. Nach Petions