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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ionische Inseln

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Ionische Inseln (Geschichte).

vor dem Busen von Patras, umfaßt, während zur südlichen Gruppe die im Ägeischen Meer an der Südspitze des Peloponnes gelegene Insel Kythera (Cerigo) nebst mehreren kleinen Eilanden (Cerigotto, Dragonera, Pori u. a.) gehört. Administrativ bilden gegenwärtig die Ionischen Inseln (von Cerigo abgesehen, welches jetzt zu Argolis gehört) die drei Nomen:

Offiziell Nach Strelbitsky Einwohner

Q.-Kilometer Q.-Kilometer (1879)

Kerkyra 1107 1092 106109

Kephalonia 783 815 80957

Zakynthos 719 438 44522

Zusammen: 2609 2345 231588

In Bezug auf mineralische Produkte wie auf die der Pflanzen- und der Tierwelt stimmen die Inseln im allgemeinen mit dem übrigen Griechenland überein. Sie sind arm an Wald und Wasser, aber ziemlich gebirgig. Als höchste Punkte sind der Pantokratoras (945 m) auf Korfu und der Monte Nero (1620 m) auf Kephalonia namhaft zu machen. Von Mineralien finden sich Salz, Schwefel, Steinkohlen, Erdpech, Marmor. Das Klima ist im allgemeinen heiß, aber keineswegs ungesund. Die Zahl der jährlichen Regentage beträgt 100, der Winter ist zugleich die Zeit der Gewitter, Orkane und Erdbeben kommen nicht selten vor, doch befinden sich keine Vulkane auf den Inseln. Die Bewohner sind der Mehrzahl nach Griechen; 1879 zählte man 3661 Fremde, darunter 1458 Engländer, 1020 Italiener und 863 Ottomanen. Die herrschende Religion ist die griechisch-nichtunierte; außerdem zählte man 1879: 3142 Christen andrer Konfession und 2940 Nichtchristen. Die griechische Geistlichkeit, an deren Spitze auf jeder der Hauptinseln ein Bischof steht, ist dem Patriarchen von Konstantinopel untergeordnet; die Römisch-Katholischen haben einen Bischof in Korfu. Die geistige Kultur der Inseln hat sich unter dem Protektorat Englands wesentlich gehoben; Elementarschulen finden sich in jedem Dorf, ein Lyceum auf jeder Insel. In sozialer Hinsicht zerfallen die Einwohner in den grundbesitzenden Adel und in Bürger und Bauern, die meist Pachter sind. Eigentlicher Landbau wird nicht viel betrieben, in desto höherm Grad Weinbau, Oliven- und Baumwollkultur. In Bezug auf Viehzucht ist nur die Schaf- und Ziegenzucht bemerkenswert; daneben blüht die Bienen-, Tauben- und Seidenwürmerzucht. Hauptbeschäftigung aber bilden Fischfang und Seefahrt. Genaueres s. die einzelnen Inseln. Die Verfassungsurkunde der frühern Republik datierte vom 2. Mai 1817. Die britische Regierung hatte das Recht, sich auf den Inseln durch einen Lord-Oberkommissar repräsentieren zu lassen, der allen Beschlüssen des Landes erst gesetzliche Kraft gab, sowie das Recht, Besatzungen in die Festungen zu legen und die Militärmacht ihren Befehlshabern unterzuordnen. Sitz der Zentralregierung war Korfu. Die ausübende Gewalt hatte ein Senat, dessen Präsidenten die englische Krone auf fünf Jahre ernannte; er zählte außerdem fünf Mitglieder und einen Staatssekretär. Die gesetzgebende Gewalt hatte die Versammlung der Volksvertreter (Parlament), bestehend aus 42 Abgeordneten; dieselben wurden frei gewählt und traten alle zwei Jahre in Korfu zusammen. Jede Insel hatte außerdem ihren vom Volk gewählten Munizipalrat sowie ein Zivil-, Kriminal- und Handelstribunal nebst einem Appellationsgericht. Zu Korfu befand sich der oberste Appellhof. Das ionische Wappen war ein gehender geflügelter, goldener Löwe in blauem Feld, an der rechten Vorderpranke einen Bund von sieben Pfeilen mit einem Kreuz, in der linken ein Evangelienbuch haltend. Hauptfestung war Korfu (jetzt geschleift).

[Geschichte.]

Durch Homers Gesänge und Odysseus' Irrfahrt im Andenken der spätesten Nachwelt erhalten, blühten die sieben Eilande in älter Zeit unter Hellas' Schutz als besondere kleine Staaten, doch ohne hervorragende politische Bedeutung. Nur auf dem heutigen Korfu, dem Scheria der Sage, dem Lande der Phäaken, das im Altertum Korkyra (Corcyra) hieß, legte im 8. Jahrh. v. Chr. Korinth eine Kolonie an; dieselbe wetteiferte bald an Macht und Schifffahrt mit der Mutterstadt. Später, als Griechenland unter Roms Herrschaft gekommen war, verloren die Ionischen Inseln ihre Selbständigkeit und unter Vespasian ihre Freiheit. Bei der Teilung des römischen Reichs fielen sie an das byzantinische Kaisertum. 466 n. Chr. ward Korfu von den Vandalen unter Geiserich und 550 von Ostgoten und slawischen Scharen verheerend heimgesucht; 1147 eroberte es der Normanne Roger von Sizilien, und seitdem gehorchte es den Königen von Neapel. Unter solchen Wechseln war das Schicksal der immer mannigfaltiger gemischten Bevölkerung ein außerordentlich verschiedenes: Perioden roher Unterdrückung wurden durch Zwischenpausen gänzlicher Vernachlässigung unterbrochen, in welchen die Einwohner den Folgen anarchischer Willkür unterlagen. 1401 erkaufte die Republik Venedig den Besitz Korfus um 30,000 Dukaten von Neapel, um die Stadt Korfu als eine Vormauer gegen die Türken zu befestigen, und bemächtigte sich sodann auch der übrigen Ionischen Inseln, die sie durch Provveditoren regieren ließ. Die Ionischen Inseln bildeten damals, nebst den venezianischen Besitzungen auf dem festen Land (in Albanien), die Provinz Levante Veneto. Die vier Jahrhunderte der venezianischen Herrschaft waren für die Inseln nichts weniger als glückliche, da es ihren Schutzherren nur auf Ausbeutung aller im Bereich ihrer Macht liegenden Mittel für eigne Zwecke ankam. Die Beamten waren ausschließlich geborne Venezianer, welche ihre Stellen nach Möglichkeit zu ihrer Bereicherung benutzten und der Bestechung zugänglich waren. Die Sprache sank unter dem Überhandnehmen italienischer Formeln und Wendungen zu einem Mischdialekt herab. Nach der Teilung der Republik Venedig 1797 kamen die Inseln an Frankreich; aber schon 1799 bemächtigten sich ihrer die verbündeten Türken und Russen, worauf der Kaiser Paul die alte Freiheit scheinbar wiederherstellte, indem er durch den Vertrag mit der Pforte vom 21. März 1800 den Freistaat der sieben vereinigten Inseln gründete, der, von den Vornehmen des Landes regiert, unter der Hoheit der Pforte stehen und dieser tributär sein sollte. Indes dieser Freistaat, von innern Unruhen und Verfassungskämpfen zerrissen, bestand nicht lange, und nach dem Frieden zu Tilsit (1807) kamen die Inseln wieder an Frankreich; die Ionischen Inseln wurden ein Bestandteil der illyrischen Provinzen. Am 2. Okt. 1809 erschien jedoch eine Abteilung der englischen Flotte vor Zante und verdrängte in kurzem die französische Garnison von sämtlichen Inseln, Korfu ausgenommen. Der erste Pariser Friede von 1814 bestimmte die Abtretung der Republik der Ionischen Inseln an die Alliierten, und diese entschieden 5. Nov. 1815 zu Paris dahin, daß die sogen. Sieben Inseln als Vereinigte Staaten der Ionischen Inseln einen unabhängigen Staat bilden und unter das Protektorat Großbritanniens gestellt werden sollten. Dieses sollte einen Lord Kommissar ernennen mit der Vollmacht, eine Gesetzgebende Versammlung des ionischen Inselstaats zu