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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Mohammedsfahne; Mohammera; Mohar; Mōhatra

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Mohammedsfahne - Mohatra.

wirkenden Bildungselemente nirgends ganz entziehen, daher die große Anzahl von mohammedanischen Sekten. Ein vollständiges Verzeichnis derselben findet sich in Aschschahrastanis "Religionsparteien und Philosophenschulen" (arabisch, Lond. 1842-46; deutsch von Haarbrücker, Halle 1850-51).

Die streitigen Fragen waren teils dogmatischer, weit häufiger aber zugleich politischer Natur. Der Streit über die Freiheit oder Unfreiheit des menschlichen Willens rief die Gegensätze der Kadarija, später meist Mutazila genannt, und der Dschabarija hervor. Es folgten Streitigkeiten über die Ewigkeit oder Geschaffenheit des Korans, die Eigenschaften und Attribute Gottes, die von den einen wörtlich genommen, von andern allegorisch gedeutet wurden. Seit die Araber die Philosophie der Griechen kennen gelernt, gewannen die theologischen Streitigkeiten ein wissenschaftlicheres, spekulatives Gepräge. Die dogmatisch-politischen Kämpfe drehen sich hauptsächlich um das Imamat (Kalifat) oder die Vorsteherschaft der Gemeinde aller Moslems. Nach dem Tode des Kalifen Othman wählte man in Medina Mohammeds Schwiegersohn Ali, in Syrien dagegen Muawija zum Kalifen, während eine dritte Partei, die Chawaridsch ("Aufständischen"), beide Bewerber als Gewaltherrscher des Throns für unwürdig erklärte. Fortan stehen sich nun drei Parteien: die Schia (eigentlich Schiat Ali, "Anhängerschaft Alis", Schiiten), sodann die Anhänger der gerade herrschenden Kalifen, welche sich selbst "Leute der Sunna", d. h. der Tradition (Sunniten), nennen (an 96 Proz. aller Mohammedaner), und die Chawaridsch, welche fortan einem weitgehenden Independentismus huldigen, gegenüber. Näheres über die weitern Kämpfe s. Kalifen. In der Folge entwickelte sich unter den Schiiten die mystische Lehre von der Gottähnlichkeit der Imame, der Übertragung ihres Geistes auf ihre Nachfolger etc., welche dem Geiste des Islam offenbar entgegen ist. Diese große Abweichung vom ursprünglichen Islam machte es leicht, daß sich auch rein heidnische Ideen mit schiitischen vermengten, so daß z. B. die Ismaeliten (s. d.) nur noch ganz lose mit dem Islam zusammenhängen. Sunniten und Schiiten sind bis auf den heutigen Tag die erbittertsten Gegner. Die vier großen theologisch-juristischen Schulen der Sunniten, nämlich die Schafiiten, Hanefiten, Malikiten und Hanbaliten, weichen nicht im Dogmatischen voneinander ab, sondern nur in den Bestimmungen über die zahllosen Einzelheiten der Rechtsgelehrsamkeit und der religiösen Gebräuche. Eine Restauration des ursprünglichen Islam beabsichtigt die im vorigen Jahrhundert in Arabien aufgetauchte Sekte der Wahabiten. Gegenwärtig ist der Islam nur in Afrika und in der Tatarei im Wachstum begriffen; überall sonst hat er, von europäischer Kultur umlagert, ein Gift aufgenommen, welches ihn mit der Zeit notwendig zersetzen muß. Verschieden vom Juden- und Christentum, hat der Islam den Umfang der Alten Welt nicht überschritten und trieb selbst hier, ungeachtet aller Kriege um Gewinnung neuer Sitze, nur in den Ländern der heißen Zone oder eines südlichen Klimas üppig weiter. Nur zwei nichtorientalische Staaten zählen größere Mengen von Mohammedanern zu ihren Unterthanen. Im russischen Reich wohnen 8 Mill. und in Ostindien, im englischen Reichsgebiet, 45 Mill., in den Vasallenstaaten 6 Mill. Mohammedaner. Die staatsbürgerliche Stellung der Bekenner des Islam den Bekennern andrer Religionen, speziell der christlichen, gegenüber ist in Indien eine völlig gleiche, in Rußland sind aber die staatsbürgerlichen Rechte der Mohammedaner durch Ausnahmegesetze beschnitten. In innern Religionsangelegenheiten wird ihnen jedoch volle Freiheit gelassen; nur gegen die Ordensbrüder, welche sich zu Heiligen zu stempeln wissen, geht die russische Regierung mit größter Strenge vor und verbannt sie in Gouvernements, wo keine Mohammedaner wohnen. Die mohammedanischen Schulen sind dem russischen Reichsunterrichtsministerium unterstellt. In Ostindien gewährt die englische Regierung in Religionsfragen die freieste Bewegung und hat auch die Hindernisse beseitigt, welche die mohammedanische Bevölkerung über Gebühr von Staatsämtern zurückhielt. Die Zahl sämtlicher Mohammedaner auf der Erde beträgt gegenwärtig etwa 218 1/5 Mill., wovon 6,7 Mill. auf Europa, 121 1/5 Mill. auf Asien, der Rest auf Afrika entfällt. Im einzelnen verteilen sie sich in folgender Weise:

^[Liste]

Europäisches Rußland 2830000

Griechenland, Serbien, Montenegro, Rumänien 44000

Asiatisches Rußland:

- Kaukasus 2900000

- Zentralasien 4700000

- Sibirien 58000

Nichtrussisches Zentralasien 2650000

Türkisches Reich in Europa 3850000

[Türkisches Reich in] Asien 12750000

Persien, Afghanistan, Belutschistan 12300000

Unabhängiges Arabien 3690000

China 3000000

Vorderindien 50200000

Hinterindien 550000

Ostindische Inseln 28700000

Afrika 90000000

Zusammen: 218222000

Nimmt man die Gesamtbevölkerung der Erde zu 1495 Mill. Menschen an (s. die statistische Tabelle bei Art. "Bevölkerung", mit Karte), so entfallen davon auf Mohammedaner 14,6 Proz. Vgl. Kremer, Geschichte der herrschenden Ideen des Islam (Leipz. 1868); Deutsch, Der Islam (Berl. 1873); Arnold, The Islam, its history, character and relation to christianity (3. Aufl., Lond. 1874; deutsch, Gütersl. 1878); Garcin de Tassy, L'islamisme (Par. 1874); Vambéry, Der Islam im 19. Jahrhundert (Leipz. 1875); Lüttke, Der Islam und seine Völker (Gütersl. 1878); Pischon, Der Einfluß des Islam auf das häusliche, soziale und politische Leben seiner Bekenner (Leipz. 1881); Hauri, Der Islam in seinem Einfluß auf das Leben seiner Bekenner (Preisschrift, Leiden 1882); A. Müller, Der Islam im Morgen- und Abendland (geschichtlich, Berl. 1885); Hughes, Dictionary of Islam (Lond. 1885).

Mohammedsfahne (Fahne des Propheten), s. Fahne, S. 1017; auch Name des Schellenbaums in der Regimentsmusik (s. Halbmond, S. 12).

Mohammera, Stadt in der pers. Provinz Chusistan, unweit der türkischen Grenze, am Zusammenfluß des Karun (Kuren) mit dem Schatt, ca. 40 km ostsüdöstlich von Basra, erst vor wenig mehr als vier Jahrzehnten durch einen Teil des großen Stammes Qa'âb gegründet und heute 15,000 (nach andern nur 2-3000) Einw. zählend. M. besitzt einen auf Dattelpalmstämmen gebauten Kai, einen kleinen Bazar und treibt viel Handel. Auf dem andern Ufer des Karun liegt eine Vorstadt mit zahlreichen Werften. Hunderte von Segelschiffen liegen in M. stets vor Anker, und namentlich zur Zeit der Dattelernte im September ist der Andrang groß.

Mohar, s. Setaria.

Mōhatra (Contractus mohatrae, mittellat., v. arab. muchâtarah, "Gefahr, Wagnis"), Scheinver-^[folgende Seite]