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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1867-1869).

der einzuberufen und in Ungarn sofort ein Ministerium zu ernennen, mit dem der Ausgleich abgeschlossen werden könne. Belcredi erhielt seine Entlassung, und Beust wurde 7. Febr. 1867 Ministerpräsident. In Ungarn wurde Graf Andrássy 17. Febr. zum Präsidenten eines verantwortlichen Ministeriums ernannt. Mit diesem und Deák wurden nun die Bedingungen des Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn vereinbart und nach der Sanktion durch den Kaiser in einer Reihe von Reskripten im Februar 1867 verkündigt. Der Ausgleich teilte das bisherige Reich, das nun den Namen "Österreichisch-Ungarische Monarchie" erhielt, in eine österreichische (Cisleithanien) und eine ungarische Hälfte (Transleithanien), welche außer durch die Person des Herrschers auch durch gemeinsame Institutionen verbunden waren. Siebenbürgen wurde mit Ungarn völlig verschmolzen, Kroatien und die Militärgrenze mit Vorbehalt gewisser Sonderrechte vereinigt. Der Ausgleich zerfiel in einen staatsrechtlichen und einen finanziellen Teil; der erstere, welcher die Errichtung gemeinsamer Reichsministerien für Auswärtiges, Krieg und Finanzen und die Bildung einer gemeinsamen Vertretung, der Delegationen, betraf, sollte für immer gelten, der andre, die finanziellen Leistungen und den Abschluß eines Zoll- und Handelsbündnisses festsetzende alle zehn Jahre revidiert werden. Von den gemeinsamen Ausgaben sollte Ungarn 30 Proz. zahlen, in den Delegationen aber der österreichischen Reichshälfte, die 70 Proz. zahlte, gleichberechtigt sein. Durch die Königskrönung 8. Juni 1867 fand die Versöhnung mit Ungarn ihren Abschluß.

Die Herrschaft der liberalen Verfassungspartei.

In der österreichischen oder cisleithanischen Reichshälfte wurde der Ausgleich mit Ungarn, welcher allerdings den Ungarn übermäßige Vergünstigungen eingeräumt hatte, und das dadurch begründete dualistische System von den um ihre Hoffnung auf Autonomie betrogenen Slawen heftig getadelt, während die Deutschen hierdurch das dauernde Übergewicht in der österreichischen Hälfte zu erlangen, ferner die liberale Verfassung wiederhergestellt zu sehen hofften und daher ihre Sympathien für einen zentralisierten Kaiserstaat zurückdrängten. In der That wurde zum 22. Mai 1867 der engere Reichsrat zusammenberufen, nachdem ein interimistisches österreichisches Ministerium unter Taaffe gebildet worden war. Der Kaiser gab in der Thronrede die Versicherung, daß sein ganzes Bemühen auf den Ausbau und die Erhaltung konstitutioneller Einrichtungen gerichtet sei, teilte den Ausgleich mit Ungarn als eine unwiderrufliche Thatsache mit und äußerte die zuversichtliche Hoffnung, daß der Reichsrat demselben seine Zustimmung nicht versagen werde. In diesem hatte die liberal gesinnte Partei, zu der die Polen hielten, die Mehrheit, und sie erfüllte den Hauptwunsch der Regierung, indem sie nach längern Verhandlungen über die finanziellen Bedingungen, namentlich die Verpflichtung Ungarns zur Verzinsung der Staatsschuld, im Dezember 1867 den Ausgleich genehmigte. Auch das Budget der Regierung wurde ohne wesentliche Änderungen angenommen, obwohl dasselbe ein Defizit von 46 Mill. Guld. aufwies; die Staatsschuld war auf 3046 Mill. Guld. angewachsen, welche 127 Mill. Guld. für Verzinsung und eine Amortisationsquote von 24 Mill. Guld. jährlich erforderten. Dagegen ging die Regierung auf den Wunsch der Reichsratsmehrheit ein, die verfassungsmäßigen Rechte des Volkes mit stärkern Bürgschaften zu umgeben. Sie gab ihre Zustimmung zu vier vom Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses ausgearbeiteten Staatsgrundgesetzen über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt, über die richterliche Gewalt und über die Errichtung eines Reichsgerichts, welche 21. Dez. 1867 vom Kaiser bestätigt wurden (Dezemberverfassung).

Nach der Genehmigung des ungarischen Ausgleichs durch den Reichsrat ernannte der Kaiser 24. Dez. 1867 das neue Reichsministerium, das aus drei Mitgliedern, Beust (seit 30. Juni Reichskanzler) für das Auswärtige, v. John, später v. Kuhn für den Krieg und v. Becke für die Finanzen, bestand. Zum erstenmal traten im Januar 1868 zu Wien die Delegationen zusammen und stellten das gemeinsame Reichsbudget für 1868 fest. Am 1. Jan. 1868 erfolgte die Ernennung eines neuen verantwortlichen Ministeriums für Cisleithanien, des sogen. Doktoren- oder Bürgerministeriums, welches aus den Führern der liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses, Giskra, Herbst, Brestel, Hasner, Plener und Berger, gebildet war. Die Aristokratie war durch den Ministerpräsidenten Fürsten Carlos Auersperg und die Grafen Taaffe und Potocki vertreten. Das neue Ministerium legte dem Reichsrat sofort drei Kirchengesetze vor, welche von diesem angenommen und 25. Mai vom Kaiser sanktioniert wurden; durch dieselben wurde die Gerichtsbarkeit in Ehesachen den weltlichen Gerichten überwiesen, die oberste Leitung und Aufsicht über das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen dem Staat zuerkannt und die interkonfessionellen Verhältnisse im Sinn der Gleichberechtigung geregelt. Der päpstliche Nunzius erließ sofort einen Protest gegen die Gesetze als eine Verletzung des Konkordats, und Pius IX. selbst erklärte sie 22. Juni in einer leidenschaftlichen Allokution an die Bischöfe für null und nichtig. Indessen die Regierung konnte sich auf die Zustimmung des größten Teils der Bevölkerung berufen, wenn sie diese Proteste unbeachtet ließ und den Klerus warnte, nicht durch seine Opposition gegen den Staat die bedeutenden Rechte, welche die Kirche noch besaß, zu gefährden. Gegen einen der heftigsten Bischöfe, Rudigier von Linz, wurde ein Strafverfahren eingeleitet, andre Bischöfe, welche sich weigerten, die Eheprozeßakten auszuliefern, durch Geldstrafen dazu gezwungen. Außer den Kirchengesetzen genehmigte der Reichsrat im Juni 1868 die Verwandlung sämtlicher Gattungen der Staatsschuld mit Ausnahme der Lose von 1854 und 1860 und des Steueranlehens von 1864 in eine einheitliche 5prozentige Schuld, deren Koupons mit einer hohen Steuer belegt wurden. In der nächsten Session, die 17. Okt. 1868 eröffnet wurde, beriet der Reichsrat das neue Wehrgesetz, welches für die nächsten 10 Jahre eine Dienstzeit von 12 Jahren, davon 3 in der Linie, bei allgemeiner Wehrpflicht, eine Kriegsstärke von 800,000 Mann und ein Heeresbudget von 80 Mill. Gulden festsetzte; die Landwehr sollte in beiden Reichshälften ihre besondere Organisation erhalten, die aktive Armee aber eine einheitliche sein. Der ungarische Reichstag hatte das Gesetz schon 7. Aug. genehmigt, der österreichische Reichsrat that es im November, und endlich wurde es von den Delegationen in Pest im Dezember bestätigt. Hierzu kam 1869 noch ein Gesetz über die Einführung der Schwurgerichte für politische und Preßprozesse. Hiermit schien aber die reformierende Kraft des Ministeriums erschöpft zu sein.

Unzweifelhaft hatte die Herstellung verfassungsmäßiger Zustände segensreich auf die Entwickelung Österreichs eingewirkt. Das geistige und materielle